Jeder Mensch entwickelt degenerative Gelenkveränderungen sofern er ein genügend hohes Lebensalter erreicht. Größte
Bedeutung kommt Arthrosen der Knie- (Gonarthrosen) und Hüftgelenke (Coxarthrosen) zu. Röntgenologische Veränderungen finden sich bei 70% der
über 65jährigen, gehen jedoch nur bei etwa 30% mit Beschwerden einher. Weibliches Geschlecht, Übergewicht sowie lokale Faktoren (z.B.
frühere Gelenkinfektionen oder -verletzungen, Dysplasien, Fehlbelastungen) prädisponieren zu degenerativen Schäden.
Arthrosen gelten heute als dynamisches Nebeneinander von Knorpeldestruktion und -reparation. Einer anfänglichen Schädigung folgen reparative
Vorgänge mit Neusynthese der Grundsubstanz. Reichen die reparativen Prozesse nicht aus, schreitet die Arthrose fort. Als Reaktion des angrenzenden
Knochengewebes vor allem auf chronische Fehl- und Überlastung bilden sich Randwülste (Osteophyten) an den Gelenken.
Bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen sowie Einschränkung der Gelenkfunktion stehen klinisch im Vordergrund. Krepitationen, deformierte
und instabile Gelenke sowie Schwäche angrenzender Muskelgruppen fallen auf. Nur bei deutlicher Weichteilschwellung, Überwärmung und
Erguß ist an eine entzündliche Begleitkomponente zu denken.1-3
NICHTMEDIKAMENTÖSE MASSNAHMEN: Das Hauptaugenmerk richtet sich auf Schmerzbekämpfung und Funktionsbesserung.
Wünschenswert wäre, das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten. Die Gelenke sollen entlastet und Fehlbelastungen vermieden werden.
Übergewichtigen ist Gewichtsreduktion anzuraten. Gehstöcke entlasten das Hüftgelenk um bis zu 60%. Orthopädisches Schuhwerk oder
Einlagen mögen die Biomechanik der Gelenke verbessern. Durch klinische Studien ist ihre Wirksamkeit nicht hinreichend abgesichert. Körperliche
Aktivität und Training z.B. des Quadrizeps unter physiotherapeutischer Anleitung verhindern Muskelatrophien und tragen zur Schmerzlinderung und
Funktionsbesserung bei.2-4 Bei patello-femoralen Formen der Gonarthrose lindert eine Medialverlagerung der Patella durch Pflasterverband den Schmerz
(a-t 4 [1994], 36).5
Ist die Gelenkfunktion stark eingeschränkt oder zerstört und lassen sich Schmerzzustände durch Analgetika und Antiphlogistika nicht kontrollieren,
kommt Gelenkersatz in Betracht. Noch nach zehn Jahren ist bei über 90% der Patienten mit guten funktionellen Ergebnissen zu rechnen. Ein arthrotisches
Gelenk soll jedoch möglichst spät ersetzt werden.6
MEDIKAMENTÖSE THERAPIE: Zahlreiche klinische Studien belegen die Wirksamkeit nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR) zur symptomatischen
Behandlung von Arthrosen (Schmerzlinderung, Funktionsbesserung). Relevante dosis- oder substanzspezifische Wirkunterschiede lassen sich nicht
erkennen.7 Da NSAR in Dosierungen analgetisch wirken, die zur Entzündungshemmung noch nicht ausreichen, sind antiphlogistische Effekte bei
Arthrose möglicherweise nicht notwendig.
ANALGETIKA UND ANTIRHEUMATIKA IM VERGLEICH: In zwei Vergleichsstudien an insgesamt 360 Patienten mit Gonarthrose beeinflussen
Ibuprofen (BRUFEN u.a.) in hoher (dreimal 800 mg) oder niedriger, vorwiegend analgetisch wirksamer Tagesdosis (dreimal 400 mg) bzw. täglich 750
mg Naproxen (PROXEN u.a.) nach vier und sechs Wochen nur den Ruheschmerz günstiger als 4 g bzw. 2,6 g Parazetamol/Tag (BENURON
u.a.). Hinsichtlich Belastungsschmerz, schmerzfreier Gehstrecke und Gesamtbeurteilung schneidet das Analgetikum ebenso gut ab wie die
Antirheumatika.8,9 Radiologische Veränderungen schreiten innerhalb von zwei Jahren unter Naproxen ebenso fort wie unter Parazetamol. Die in
beiden Studienarmen gleich häufigen Abbrüche werden in der Parazetamolgruppe meist mit unzureichender Wirksamkeit, unter Naproxen eher mit
Magen-Darm-Unverträglichkeit begründet.9 Patienten mit schmerzhafter Gelenkschwellung im Sinne einer "aktivierten Arthrose"
sprechen auf Parazetamol oder niedrigdosiertes Ibuprofen genausogut an wie auf die antiphlogistisch wirksame Ibuprofen-Dosis.10 Bei
Kniegelenkserguß erscheinen NSAR jedoch günstiger.11
Auch langjährig mit Antiphlogistika behandelte Patienten kommen zum Teil gut mit einem reinen Schmerzmittel aus. Von 38 NSAR-Anwendern mit Arthrosen
großer Gelenke können 22 auf ein Analgetikum umgestellt werden. Sechs benötigen nach einem Monat auch das Schmerzmittel nicht mehr
regelmäßig, weitere vier Patienten reduzieren die NSAR-Dosis.12 Um das individuell günstigste Medikament zu ermitteln, empfehlen
australische Rheumatologen auch für die Praxis sogenannte n-of-1-Studien mit doppelblinder Sequenztherapie an einzelnen Patienten. Unter Dokumentation
von Schmerzen, Gelenksteifigkeit und gastrointestinalen oder zentralnervösen Beschwerden im Tagebuch werden in zufälliger Reihenfolge jeweils zwei
Wochen lang ein Antiphlogistikum oder ein reines Analgetikum eingenommen. In einem Versuch mit n-of-1-Studien wechseln sieben von 16 Teilnehmern, die zuvor
NSAR eingenommen haben, auf Parazetamol (a-t 12 [1994], 118).13
Kombinationen mit einem schwach wirksamen Opioid lindern Schmerzen zwar wirksamer als Parazetamol allein, werden aber schlechter vertragen. Ein Vergleich von
hochdosiertem Kodein (täglich 180 mg; CODI OPT u.a.) zusätzlich zu Parazetamol (3 g/Tag; Fixkombination z.B. TALVOSILEN FORTE) mit dem
Nichtopioid-Analgetikum allein an 158 Patienten mit Gonarthrose muß wegen häufiger Störwirkungen wie Übelkeit, Schwindel, Erbrechen,
Obstipation unter der Zweifach-Behandlung vorzeitig abgebrochen werden.14 Kombinationen aus Parazetamol mit Kodein oder Dextropropoxyphen
(DEVELIN) wirken bei 141 an Cox- oder Gonarthrose Erkrankten gleich gut, werden jedoch ebenfalls schlecht vertragen mit Studienabbrüchen bei jedem
zweiten bzw. dritten.15
VERTRÄGLICHKEIT: In zwei umfangreichen Fall-Kontrolluntersuchungen kommen Ulkuskomplikationen unter NSAR drei- bis vierfach häufiger
vor als bei Nichtanwendern. Besonders gefährdet sind Patienten im hohen Alter, mit peptischem Geschwür in der Vorgeschichte und bei zusätzlicher
Einnahme von Kortikosteroiden oder Antikoagulantien (a-t 9 [1994], 89). Die Kombination mehrerer NSAR verdoppelt
das Risiko nochmals. Unter hohen Tagesdosen treten Ulkus-Komplikationen zudem dreimal häufiger auf als unter niedrigen. Mittel mit kurzer Halbwertszeit wie
Diclofenac (VOLTAREN u.a.), Azetylsalizylsäure (ASPIRIN u.a.) und Ibuprofen schneiden günstiger ab. Langwirksame Substanzen wie Azapropazon
(TOLYPRIN) und Piroxicam (FELDEN u.a.) bedeuten dagegen ein deutlich höheres Ulkusrisiko als alle anderen NSAR (a-t 5 [1994], 45; vgl. a-t 10 [1994], 94).16,17
Parazetamol kann die Leber schädigen. Bei strikter Einhaltung einer Tageshöchstdosis von 4 g ist das Risiko gering. Chronische Lebererkrankungen,
Alkohol und Fasten erhöhen die Gefahr.18,19 Die Langzeiteinnahme (über 365 Einzeldosen pro Jahr, mehr als 1000 Einzeldosen insgesamt)
verdoppelt das Risiko eines chronischen Nierenversagens (vgl. a-t 11 [1993], 128). Für Azetylsalizylsäure
läßt sich ein solches Risiko auch bei höheren Dosierungen nicht erkennen.20,21
INTRAARTIKULÄRE INJEKTIONEN: Injektionen in ein arthrotisches Gelenk lindern den Schmerz wahrscheinlich schon durch Einbringen von
Flüssigkeit zwischen die Gelenkflächen.28 Bei 30% bis 80% ist mit deutlichen Plazeboeffekten zu rechnen.2 Intraartikuläre
Spülungen sollen durch Auswaschen von abgeriebenen Knorpelpartikeln (Debris) Beschwerden günstig beeinflussen.22
Die Häufigkeit entzündlicher Reaktionen nach Gelenkinjektionen wird mit ein bis zehn Prozent, in einzelnen Studien mit 26% angegeben.23,24
Selbst einfache Kochsalzspritzen können Entzündungen auslösen. Nach etwa jeder 10.000sten Injektion ist mit schwerwiegender bakterieller
Infektion zu rechnen, die das Gelenk zerstören kann. Strengste aseptische Kautelen sind deshalb immer einzuhalten.
Für die Wirksamkeit intraartikulär gespritzter Kortikosteroide bei akut entzündlichen Reaktionen im Rahmen einer Arthrose fehlen
ausreichende Belege aus kontrollierten Studien.25 In einigen Untersuchungen lindert Triamcinolon (VOLON A u.a.) Schmerzen kurzfristig besser als ein
Scheinmedikament.23,26,27 Britische Autoren halfen dagegen Patienten mit Coxarthrose durch Injektion von Kochsalz deutlich besser als mit Kortikosteroid-
oder Lokalanästhetika-Spritzen.28
Die Superoxiddismutase Orgotein (PEROXINORM) wurde 1994 auch vom deutschen Markt zurückgerufen, nachdem das Rinderenzym
schwerwiegende Unverträglichkeiten bis zum anaphylaktischen Schock ausgelöst hatte (a-t 2 [1994], 23).
Beliebtheit erfreut sich derzeit die intraartikuläre Gabe von Hyaluronsäure (HYALART). Dieser aus Hahnenkämmen gewonnene, auch in der
Synovialflüssigkeit vorkommende hochvisköse Stoff stammt aus der Veterinärmedizin. Die bisher vorliegenden Daten aus klinischen Studien
können eine besondere therapeutische Wirksamkeit bei Arthrose nicht hinreichend glaubhaft machen (a-t 5 [1993],
45).2-4,29
Unter Abwägung von Nutzen und Risiken halten wir die intraartikuläre Behandlung der Arthrose für nicht vertretbar. Abszeß und Empyem nach
intramuskulärer oder intraartikulärer Injektion gehören zu den häufigsten Behandlungsfehlern, die ärztliche Schlichtungsstellen
beschäftigen.
"RHEUMAEXTERNA": Allein das Einreiben von Arzneimitteln ruft bei 40% bis 60% eine Plazebowirkung hervor. Viele Zubereitungen zur
örtlichen Anwendung enthalten Komponenten, die einen kühlenden (z.B. Menthol) oder wärmenden Effekt (z.B. Nikotinsäureester) erzeugen,
der zur Schmerzlinderung beitragen kann.37
Plazebo-kontrollierte Doppelblindstudien mit örtlich aufgetragenen NSAR für die Indikation Coxarthrose fehlen. Piroxicam-Gel lindert Beschwerden
bei jedem zweiten, Plazebo bei jedem dritten Patienten mit Gonarthrose.30 Diclofenac-Pflaster am Knie hilft besser gegen Schmerzen als Pflaster ohne
Aktivstoff.31 85% des örtlich aufgebrachten Diclofenac erreichen den Wirkort jedoch über den Blutkreislauf mit nahezu identischen
Konzentrationen in der Synovialflüssigkeit des behandelten und unbehandelten Knies.32 Mit systemischen Störwirkungen wie Magen-Darm-
Geschwür (a-t 8 [1993], 83) oder Nierenschaden (a-t 2 [1994], 22)
durch NSAR-Externa ist in Einzelfällen zu rechnen. Aussagekräftige Vergleichsstudien topischer Rheumamittel mit Analgetika oder NSAR per os fehlen
für die Therapie von Gonarthrosen.33
Zunehmendes Interesse finden Capsaicin-Externa (in CAPSAMOL u.a.; vgl. a-t 9 [1992], 88). Der Scharfstoff
des Cayennepfeffers führt an Nervenendigungen zu Verarmung des Schmerz- und Entzündungsvermittlers "Substanz P". In kleineren
plazebokontrollierten Studien an Patienten mit Gonarthrose bessern sich Schmerzen, nicht jedoch die Gelenkfunktion.34,35 Vergleiche mit oralen Analgetika
und Antiphlogistika stehen aus.4,36
Bis der therapeutische Stellenwert externer Arthrosemittel abgeklärt ist, dient der Preis als wesentliches Auswahlkriterium, sofern die äußerliche
Behandlung ratsam erscheint.37
EINFLUSS AUF DEN KRANKHEITSVERLAUF: Sogenannte Chondroprotektiva wie Glukosaminglykanpolysulfat und Glukosaminglykanpeptidkomplex
steigern in vitro und im Tierversuch den Knorpelumsatz. Ein Knorpelschutz läßt sich in kontrollierten klinischen Studien nicht belegen.4,29,36,38
Die teils synthetisch, teils aus Gewebsextrakten (ARTEPARON, ARUMALON) hergestellten Präparate wurden mittlerweile wegen schwerwiegender
Störwirkungen aus dem Verkehr gezogen (a-t 6 [1992], 59; vgl. a-t 3
[1993], 26). Für Hyaluronsäure ist ein chondroprotektiver Effekt ebenfalls nicht ausreichend dokumentiert.36,39 Gleiches
gilt für Oxaceprol (AHP 200; a-t 11 [1988], 101), Glukosaminsulfat (DONA 200-S u.a.; a-t 1 [1986], 3) oder Ademetionin (GUMBARAL;
vgl. a-t 1 [1987], 4).
Tierexperimentell und in vitro verzögern nichtsteroidale Antirheumatika den Knorpelabbau, hemmen aber auch die Synthese von Proteoglykanen,
wesentlichen Bestandteilen der Knorpelmatrix.39-41 Für einzelne Stoffe (Diclofenac, Piroxicam, Tiaprofensäure [SURGAM u.a.]) behauptet die
Werbung Vorteile für den Knorpel oder die Gelenkflüssigkeit. Klinische Nachweise, daß Arthrosen unter NSAR günstiger verlaufen,
fehlen.39-42 Im Gegenteil: Seit langem wird befürchtet, daß die chronische Einnahme das Fortschreiten der Gelenkzerstörung beschleunigen
könnte. In besonderen Verdacht geriet dabei Indometacin (AMUNO u.a.).43 Schädigende Einflüsse auf den Knorpelstoffwechsel und
Überbelastung der arthrotischen Gelenke durch Fortfall schmerzvermittelter Schutzreflexe werden ursächlich diskutiert.4 Die Existenz einer
"NSAR-Arthropathie" ist umstritten, durch klinische Untersuchungen jedoch nicht zweifelsfrei widerlegt.4,29,40-42
Ob die langfristige Einnahme reiner Analgetika den Verlauf der Arthrose beeinflußt, bleibt zu klären. Schädigende Effekte sind nicht bekannt.
Intraartikulär verabreichte niedrigdosierte Steroide mindern im Tierexperiment Knorpelläsionen und reaktive Bildung von Osteophyten.
Höhere Konzentrationen hemmen jedoch die Proteoglykan- und Kollagensynthese und schädigen das Gelenk. Klinisch ist der Einfluß
intraartikulärer Steroide auf den Verlauf der Arthrose nicht hinreichend untersucht. Berichtet werden Arthropathien nach wiederholten Hydrocortison
(HYDROCORTISON HOECHST u.a.)-Injektionen.29,41
FAZIT: Lassen sich (Fehl-)Belastungen von Knie- und Hüftgelenken durch Abnehmen bei Übergewicht und orthopädische Hilfen reduzieren, ist
die erste Hürde zur Vorbeugung und Therapie der Arthrose genommen. Schmerzen sollen vorrangig mit Analgetika wie Parazetamol (BENURON u.a.) behandelt
werden, bei ungenügender Wirkung mit kurzwirkenden nichtsteroidalen Antirheumatika in geringeren als zur Rheumatherapie üblichen Dosierungen.
Für die intraartikuläre Injektion von Steroiden gibt es selten einen stichhaltigen Grund. Die Beliebtheit äußerlich anzuwendender Rheumamittel
dürfte wesentlich auf Plazebo- und unspezifischen Effekten beruhen. Chondroprotektive Wirkungen wären wünschenswert, sind jedoch für
keine Substanzklasse gesichert.
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