Es war ein langer Weg bis zur Warnung der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA,1 dass Kinder und Jugendliche den selektiven
Serotoninantagonisten (SSRI) Paroxetin (TAGONIS u.a.) wegen erhöhten Suizidrisikos, verstärkter Feindseligkeit und fehlender Wirksamkeitsbelege (a-t 2003; 34: 63-4 und 114) nicht einnehmen sollen:
Mitarbeiter des Herstellers GSK (damals noch SmithKline Beecham) wurden in den Jahren zuvor angewiesen, Negativdaten zu unterdrücken (a-t 2004; 35: 29-30), und Suizidalität war in Studien fälschlich als "emotionale Labilität"
kodiert worden (a-t 2004; 35: 45-6). Untersuchungen der britischen Arzneimittelbehörde MHRA
zu den Vorgängen sind noch nicht beendet, eine Strafverfolgung (siehe a-t 2004; 35: 61-2) ist
auch in Großbritannien nicht ausgeschlossen.2
Ähnliche Probleme im Umgang mit Studiendaten sind auch bei anderen Herstellern von SSRI aufgefallen, die nach Bewertung der EMEA in dieser Altersgruppe
ebenfalls nicht verordnet werden sollen.3 Ausgenommen sind lediglich das in Deutschland bei Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörungen
zugelassene Fluvoxamin (FEVARIN u.a.) und Fluoxetin (FLUCTIN u.a.), das soeben bei Versagen einer alleinigen psychologischen Therapie bei depressiven
über 8-Jährigen zugelassen worden ist.4 Prinzipiell ist jedoch aufgrund der besonders stark ausgeprägten exzitatorischen
Störwirkungen der SSRI unabhängig vom Alter der Patienten ein Risiko suizidaler Handlungen anzunehmen.5 Noch im August 2005 weist GSK
Resultate einer norwegischen Analyse von Daten aus 16 überwiegend unveröffentlichten Kurzzeitstudien zurück, in der Suizidversuche
Erwachsener unter Paroxetin mit 0,8% (7/916) häufiger sind als unter Scheinmedikament (0,2%, 1/550).6,7 Inzwischen räumt der Hersteller nach
einer eigenen Metaanalyse jedoch ein, dass bei Erwachsenen mit schwerer Depression (major depressive disorder nach DSM IV) Suizidversuche unter
Paroxetin mit 0,32% (11/3455) signifikant zunehmen und ungefähr sechsmal so häufig sind wie unter Plazebo (0,05%,1/1978; odds ratio [OR] 6,7; 95%
Konfidenzintervall [CI] 1,1-149,4). Acht der elf Betroffenen sind zwischen 18 und 30 Jahre alt. Zudem ist auch bei jungen Patienten zwischen 18 und 24 Jahren mit
verschiedenen anderen Grunderkrankungen unter Paroxetin das Risiko suizidaler Handlungen im Vergleich zu Plazebo erhöht (2,19% versus
0,92%).8,9
Ob sich die erhöhte Gefährdung vor allem auf junge Erwachsene und auf Paroxetin beschränkt, ist fraglich: Nach einer aktuellen kanadischen
Beobachtungsstudie, die 1.329 Suizide über 65-Jähriger auswertet, ist die Einnahme eines SSRI im Vergleich zu anderen Antidepressiva innerhalb des
ersten Monats mit einer fast fünffach höheren Rate an Selbsttötungen verbunden (adjustierte OR 4,8; 95% CI 1,9-12,2).10
- Nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene sind bei Einnahme des Antidepressivums Paroxetin (TAGONIS u.a.) stärker
suizidgefährdet als unter Scheinmedikament.
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