Mit mehr als 3 Milliarden Euro pro Jahr subventionieren die Versicherten Scheininnovationen der Pharmaindustrie, die nichts zur Verbesserung der
Gesundheitsversorgung beitragen. Fast die Hälfte des Betrages ließe sich ohne Qualitätseinbuße für die Patienten einsparen (vgl. a-t 2001; 32: 77-9).1 Das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) sieht vor,
dass zur Kostendämpfung auch für patentgeschützte Arzneimittel Festbetragsgruppen gebildet werden. Eine solche Regelung gab es schon bis
1995, ehe sie durch den damaligen Gesundheitsminister SEEHOFER gekippt wurde. Der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss (GemBA) hat jetzt erste
Festbetragsgruppen für Statine, Protonenpumpenhemmer, Sartane und Triptane beschlossen, um das vom Gesetzgeber anvisierte jährliche
Einsparvolumen von einer Milliarde Euro zu realisieren.2 Ein durchsetzungsfähiger Ausschuss ist jedoch bei den Herstellern nicht erwünscht und
neuerdings auch nicht beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS).
Die forschenden Pharmafirmen sehen ihr wesentliches Umsatzstandbein gefährdet und setzen den als industriefreundlich bekannten Bundeskanzler mit der
Argumentation unter Druck, dass der Forschungsstandort Deutschland in Gefahr sei. Dieser versprach beim Lobby-Gespräch im Kanzleramt ("Bordeaux-
Runde") Schonung. Dass die Pharmaindustrie hierzulande im Wesentlichen auf niveaulose Studien zur Produktpromotion setzt und qualitätsorientierte
unabhängige Forschung mit wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn eher als kontraproduktiv erachtet, ist Kanzleramt und zuständigem Ministerium
anscheinend entgangen.
Während die Ministerin per Presseerklärung Aktivität und Fortschritt suggeriert: "Ulla SCHMIDT: Festbeträge senken die
Arzneimittelausgaben und stärken Arzneimittelinnovationen",3 versucht ihr Staatssekretär - sicher nicht ohne ihre Zustimmung - unter dem
Druck der Pharmaindustrie das eigene Gesetz zurückzudrehen und baut in einem Schreiben an den Gemeinsamen Bundesausschuss eine Drohkulisse auf, um
diesen von der Bildung weiterer kostensparender Festbetragsgruppen abzuschrecken:4
Gemeinsame Festbetragsgruppen dürfen demnach nicht gebildet werden, wenn eine neue Substanz weniger unerwünschte Wirkungen hat, ohne dass
diese Regelung auf relevante schwerwiegende Schadwirkungen beschränkt wird. Eine als besser verträglich erachtete Substanz sei dann "den
anderen Wirkstoffen vorzuziehen." So können Wirkstoffe trotz unzureichender klinischer Absicherung aufgewertet werden.
Zur Beurteilung der Gleichwertigkeit therapeutischer Strategien darf der Gemeinsame Bundesausschuss keine direkten vergleichenden Endpunktstudien - wie es
Standard in der evidenzbasierten Medizin ist - fordern. Er soll sich unter anderen Quellen auch auf die Fachinformationen beziehen, die bekanntlich weitgehend von
Herstellern erstellt sind. Er soll außerdem die Bildung der Festbetragsgruppen begutachten lassen. Damit werden die Standards der vergleichenden Bewertung
auf niedrige Evidenzebenen (Expertenmeinung u.a.) gesenkt und gleichzeitig bürokratische Hemmnisse aufgebaut.
Bei bereits existierenden Festbetragsgruppen muss für jede neue Molekülvariante eine umfassende neue Bewertung durchgeführt werden,
insbesondere hinsichtlich der Verträglichkeit. Da bei neuen Wirkstoffen zur Zeit der Markteinführung naturgemäß nur wenige Nebenwirkungen
bekannt sind, wird so eine automatische Blockade gegen die Zuordnung von Molekülvarianten zu bestehenden Festbetragsgruppen etabliert.
Die Verpflichtung zur Offenlegung von Entscheidungen einschließlich der gesonderten fachlichen Aufarbeitung ist grundsätzlich zu begrüßen.
Da aber im Zuge der Zulassung neuer Arzneimittel seit Jahren die Forderung nach Transparenz der Entscheidungsprozesse vom gleichen Ministerium blockiert wird
(völlige Intransparenz der Entscheidungen des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte), lässt sich vermuten, dass die für den
Bundesausschuss geforderte Transparenz vornehmlich Herstellern Ansatzpunkte für deren Rechtsabteilungen liefern soll.
Das Gesundheitsministerium versucht mit diesen "Grundsätzen", dem Gemeinsamen Bundesausschuss medizinisch nicht begründbare und
kontraproduktive Hürden bei der Bildung neuer Festbetragsgruppen zu setzen. Es übernimmt nicht nur Argumente der Pharmaindustrie, sondern offenbart
auch fachliche und sachliche Kompetenzmängel. Und es öffnet Herstellern Möglichkeiten, die Bildung neuer Festbetragsgruppen durch Klagen zu
verzögern oder zu verhindern.
Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesausschuss gegenüber diesem Einschüchterungsversuch Rückgrat zeigt. Die Krankenkassen sind gefordert,
sich gegen die vom Ministerium gewünschte Reduzierung des finanziellen Beitrags der Pharmahersteller zu wehren, um finanziellen Schaden von den
Beitragszahlern abzuwenden.
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