Den Anwendern von Arzneimitteln - Ärzten und Verbrauchern - sowie Apothekern müssen alle Daten zugänglich sein, die für die
Abschätzung von Nutzen und Risiken entscheidend sind. Hierzu gehören alle klinischen Daten, auf denen die Zulassung beruht sowie alle Erkenntnisse
zu unerwünschten Wirkungen, die H ersteller und Behörden in der Phase nach Markteinführung erhalten. Dies gilt auch für Begründungen
von Indikationseinschränkung, Nichtzulassung oder Marktrücknahme, die allzu oft zwischen Behörden und Herstellern als vertraulich behandelt
werden.1 Das Recht auf Information muss gesetzlich geregelt werden, um Verheimlichung und Täuschung über Mängel der Wirksamkeit
oder Sicherheit durch Anbieter entgegenzuwirken.
Neue Technologien wie Literaturdatenbanken auf CDROM oder Daten aus dem Internet können die Qualität der Information verbessern. Beiträge
der Deutschen Zulassungsbehörde im Internet zu Zulassungs-, Sicherheits- und sonstigen Informationen zu Arzneimitteln fehlen jedoch. Die Bonner
Gesundheitspolitiker unterlassen es, für Bundesbehörden wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gesetzliche
Grundlagen für den freien Zugang zu Daten und Erkenntnissen über Arzneimittel zu schaffen und damit Anwendern die gleichen
Informationsansprüche zu gewähren wie Anbietern. Auf Einzelanfragen der Medien nimmt das BfArM gemäß der behördlichen
Auskunftsverpflichtung2 Stellung - ein unzuverlässiges, zeitaufwendiges und oft ineffizientes Verfahren. Ein gesetzlich garantierter Zugang zu den
Daten bleibt Ärzten und Apothekern sowie geschädigten Patienten verschlossen. So können Hersteller in Deutschland Arzneimittel auf den Markt
bringen, ohne dass eine einzige Studie veröffentlicht und nachlesbar ist, wie jüngst Eprosartan (TEVETEN; a-t 8
[1997], 82).
Andere Zulassungsbehörden sind weiter. Das fängt im Kleinen an. In Österreich wird eindeutig zwischen Hersteller und Vertreiber von
Arzneimitteln unterschieden. Jeder kann in den Produktinformationen nachlesen, dass beispielsweise die von Bayer Austria vertriebenen Azetylsalizylsäure-
haltigen Tabletten (ASPIRIN, ASPIRICOR) in Deutschland bzw. von Quimica Farmacéutica Bayer in Spanien hergestellt werden, während von Glaxo
(Wien) vertriebene BETNESOL Augensalbe und -Tropfen aus britischen bzw. südafrikanischen Niederlassungen der Firma stammen. Die fehlende Deklaration
der tatsächlichen Hersteller in Deutschland verschleiert, dass zahlreiche unter verschiedenen Handelsnamen angebotene wirkstoffgleiche Präparate
tatsächlich aus demselben Dragierkessel bzw. derselben Tablettenpresse eines Lohnherstellers stammen.
Auch die Diskussion um die vielfach angegriffenen Importarzneimittel ("Oft stimmt nur der Name"3) wird auf den Boden der Tatsachen
zurückgeführt, wenn per Deklaration klar ist, dass es sich bei den "deutschen" Originalen bereits um Importe handeln kann.
In Deutschland wird der Unterschied zwischen Hersteller und Vertreiber allenfalls durch Pannen in der Produktion offenkundig, beispielsweise als die Hoechst AG mit
Methylprednisolon (URBASON) verunreinigte Parazetamol-Tabletten auslieferte, die sie als Lohnhersteller für Ratiopharm gefertigt hatte (a-t 2 [1992], 18). Der Arzneimittelsicherheit käme zugute, wenn auch die H erkunft der verwendeten, oft auf dem
Weltmarkt zusammengekauften Wirkstoffe offengelegt würde. Als Ende der 80er Jahre Verunreinigungen des von einer japanischen Firma hergestellten L-
Tryptophan in Verdacht gerieten, Auslöser schwerer Immunerkrankungen in Form des Eosinophilie-Myalgie-Syndroms zu sein (a-t 3 [1993], 26), war es auch Behörden zunächst unmöglich festzustellen, in welchen Fertigarzneimitteln
diese Ware zu Tabletten verpresst war.
Schweden gewährt seinen Bürgern einen gesetzlichen Informationsanspruch, der für deutsche Behörden undenkbar wäre,
beispielsweise mit Recht auf Bescheid innerhalb von 24 Stunden. Jeder in einer Behörde Tätige hat zudem selbst "Mitteilerfreiheit" und darf
auch interne Vorgänge öffentlich kritisieren, ohne dafür belangt zu werden. Schwedens Bürokraten sind durch ein
"Nachforschungsverbot" vor internen Ermittlungen, wer Informationen an die Medien weitergeleitet haben könnte, geschützt.4
Hierzulande gilt die Mitteilung von "Interna" rechtlich als "Dienstpflichtverletzung", der angeblich "aus gutem Grund"
Disziplinarmaßnahmen unter Verweis auf "Weisungsgebundenheit, Unterstützungsangebot, Verschwiegenheitspflicht, Dienstwegprinzip" folgen
können (a-t Sonderausgabe 10 [1993], 120).
Während in Australien und Kanada sowohl Datenschutz als auch Information in der H and sogenannter Informationsbeauftragter liegen,
scheinen sich in Frankreich Kommissionen für Datenschutz und solche für Information eher gegenseitig zu blockieren.5 In den USA ist
die Arzneimittelbehörde FDA auf Grundlage des seit mehr als zwei Jahrzehnten bestehenden Freedom of Information Act zur Auskunft über
amtsinternes Wissen an Ärzte und Verbraucher verpflichtet. Im Unterschied zum deutschen BfArM finden sich bei der FDA amtliche Vorgänge im Internet
(siehe Tabelle).
Die Unfähigkeit der Behörden der Europäischen Union (EU), Verbraucher zu schützen, fällt am Beispiel BSE auf, wie
unzureichend sie sich vor H erstellereinflüssen verschließt am Beispiel der Bestechlichkeit von Eurobürokraten wie dem Ex-Vorsitzenden des
Ausschusses für Arzneispezialitäten (CPMP) POGGIOLINI7. Doch selbst diese "an Intransparenz nicht zu überbietene EU-
Bürokratie"6 öffnet sich zumindest ansatzweise der Informationsverpflichtung. Bei der Europäischen Agentur zur Beurteilung von
Arzneimitteln (EMEA) lassen sich sogenannte öffentliche Bewertungsberichte (European Public Assessment Report
[EPAR]) im Internet abrufen. Auf welchen Grundlagen die Zulassungen erfolgt sind, geht aus diesen Surrogaten der ursprünglich viel umfangreicheren Reports
jedoch nur unzureichend hervor. Informationen, die der Öffentlichkeit zugestanden werden, sind ein kleiner Ausschnitt der vorhandenen Daten. Nur solche
Dokumente sollen prinzipiell zugänglich sein, die von der EMEA selbst verfasst sind und nicht von Dritten einschließlich anderer EU-Institutionen und EU-
Mitgliedstaaten stammen.8 Der versprochene "weitestgehende Zugriff auf die von der EMEA verfertigten Dokumente"8 wird durch
unpräzise und ausufernde Vertraulichkeitsregelungen zur Karikatur, wenn der Öffentlichkeit Informationen etwa zum "Schutz des öffentlichen
Interesses"8 vorenthalten werden sollen.
Die derzeitige Praxis, dass das Ausmaß der Information davon abhängt, ob ein Arzneimittel in der EU zentralisiert oder national zugelassen wurde, ist weder
logisch noch wissenschaftlich zu rechtfertigen.9
Der international wachsende Zugang zu Informationen hat Folgen. Studien mit negativem Ergebnis, die im deutschen Sprachraum oft unveröffentlicht bleiben,
lassen sich nicht mehr lückenlos unterdrücken. Dadurch wird es schwerer, Versuchsreihen mit ungünstigem Ergebnis bei solchen Metaanalysen zu
umgehen, die Hersteller gerne zum Nachweis einer angeblichen Wirksamkeit präsentieren. Es verwundert nicht, dass sich deren positive Ergebnisse oft durch
nachfolgende große randomisierte, kontrollierte Studien nicht reproduzieren lassen.10
Unterdrückung von Daten kann teuer werden. So muss in den USA jetzt die Firma Boots (inzwischen Knoll [BASF]) zwischen
98 und 135 Millionen Dollar Entschädigung an etwa 5 Millionen Käufer ihres teuren Schilddrüsenhormonpräparates SYNTHROID zahlen, weil
sie mehr als fünf Jahre lang eine Studie zur Gleichwertigkeit preiswerter Nachfolgeprodukte unterdrückt hat. Allerdings soll die Firma zwischen 1992 und
1997 mit dem überteuerten Produkt einen Profit von 2,1 Milliarden Dollar erzielt haben.11
Die negativen Auswirkungen der Untätigkeit der deutschen Gesundheitspolitik in Sachen Recht auf Information werden immer offenkundiger. Versuche, das
Grundrecht auf Informations- und Meinungsfreiheit offen auszuhöhlen und zu unterlaufen, nehmen zu:
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) versucht, per Unterlassungsklage das Erscheinen des Arzneiverordnungs-Report
'97 (AVR) zu verhindern, weil dieser Arzneimittel nennen soll, die wegen "fehlenden Nutzens durch die Arzneimittel-Richtlinien von der
Verordnungsfähigkeit ausgenommen" sein sollen.12 Präventive Verbote kritischer Bewertungen dienen dazu, den ungehinderten
Weiterverkauf unsicherer oder nutzloser Arzneimittel zu gewährleisten. Kein Gericht erörtert dabei den Betrug am Patienten, wenn er ein nutzloses
Arzneimittel erhält. Kurz vor Erscheinen des AVR geht soeben die Firma Schwabe per Klage gegen die Veröffentlichung vor.
Der Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) protestiert beim Bundesgesundheitsministerium (BMG) gegen die Veröffentlichung
einer Liste von über 2.000 Arzneimitteln, deren Nachzulassungsanträge wegen unvollständiger Unterlagen bzw. mangelhafter Belege der
Wirksamkeit negativ beschieden wurden. Prompt wird die Veröffentlichung unterbunden. Die mutmaßlich nutzlosen oder unsicheren Präparate
dürfen bis 2005 "abverkauft" werden (a-t 7 [1997], 79).
Am gleichen Strang zieht die Berufsvertretung der Apotheker: "Aus haftungsrechtlichen Gründen" verhinderte sie im vorauseilenden
Gehorsam Ende letzten Jahres, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine indikationsbezogene Liste umstrittener Arzneimittel vom wissenschaftlichen
Institut der Ortskrankenkassen erhielt. Da mag es auch kein Zufall sein, wenn in der diesjährigen Ausgabe der vom BMG herausgegebenen
Schriftenreihe "Daten des Gesundheitswesens" die bisher regelmäßig aus dem Arzneiverordnungs-Report nachgedruckte Tabelle
mit Arzneigruppen umstrittener Wirksamkeit voraussichtlich fehlen wird.
Manche Hersteller, z. B. Akzo Nobel (Organon) oder Leipziger Arzneimittelwerk (Wyeth) wollen auch heute noch ihren
Auskunftsverpflichtungen zu Risiken ihrer Produkte, z. B. zum Kenntnisstand über Cholestase in Verbindung mit Estriol (OVESTIN, ESTRIOLSALBE u.a.),
"aus grundsätzlichen Erwägungen ... leider nicht"13 oder "nur gegenüber den zuständigen Bundesoberbehörden
nachkommen"14. Lilly verklagte in Belgien den Koordinator einer Studie, mit der unerwünschte Wirkungen in Verbindung mit Fluoxetin (FLUCTIN)
bei niedergelassenen Ärzten erfasst wurden - allerdings ohne Erfolg.15 Verordnende Ärzte sollten unseres Erachtens Anbieter meiden, die auf
Anfrage Auskunft über Risiken ihrer Produkte verweigern oder den Erkenntnisgewinn unterbinden.
Manche Hersteller versuchen, das System unabhängiger wissenschaftlicher Begutachtung auszuhebeln. Sie verfolgen Sachverständige
mit persönlicher Herabsetzung, Beschimpfung, Bespitzelung bzw. Ordnungsgeldforderungen in existenzbedrohender Höhe von mehreren hunderttausend
DM, wenn sie vor Gericht gegen geringes Entgelt bereit sind, wissenschaftliche Sachverhalte firmenunabhängig zu beurteilen.16 Solche Versuche
haben zum Ziel, kritische Gutachter so einzuschüchtern und zu demotivieren, dass sie nicht mehr dazu bereit sind, weitere Gutachten abzufassen. Z. B.
versucht die Firma Mucos, einen ihr nicht genehmen Sachverständigen dadurch einzuschüchtern, dass sie von ihm verlangt, eine Firmenstellungnahme zu
seinem Gutachten "unverzüglich an alle Personen bzw. Institutionen weiterzuleiten", denen er seine Stellungnahme ohne "Wissen und
Einverständnis" der Firma übergeben habe17 - als ob ein Sachverständiger für seine Beurteilung eine Erlaubnis des H erstellers
einzuholen hätte.
Angriffe richten sich auch gegen Organisationen der Ärztlichen Selbstverwaltung, sofern diese Vertragsärzte kritisch über Arzneimittel
informieren. So verlangt die Firma Mucos, die rund 95% eines Jahresumsatzes von über 110 Millionen DM (Fabrikabgabepreise) mit den umstritten
wirksamen Enzymkombinationen PHLOGENZYM, WOBE-MUGOS E (a-t 7 [1997], 77; 8 [1997], 86) und WOBENZYM erwirtschaftet, von der KV Hessen in einem Vergleich, dass diese in Beratungsverfahren
bis Mitte 1998 die Verordnungsfähigkeit dieser umstrittenen Produkte zu Lasten der GKV nicht mehr anzweifeln darf. Während es der Mucos
GmbH gestattet ist, ihre Pharmavertreter darüber in Kenntnis zu setzen, ist dies der KV nur auf gezielte Anfrage der Vertragsärzte erlaubt. Solch ein
klassischer Knebelvertrag erscheint uns rechtlich fragwürdig, da er eine Vereinbarung zwischen zwei Partnern ist zu Lasten einer am Vertrag unbeteiligten
Dritten, der gesetzlichen Krankenversicherung.
Auch Verschwiegenheitsklauseln in außergerichtlichen Einigungen über Arzneimittelschäden schränken die Informationsfreiheit
ein. Indem die Geschädigten keine Details zum Verfahren weitergeben dürfen, schützen sich die Hersteller vor Ansehensverlust und weiteren
Schadenersatzforderungen. Würden solche Entscheidungen und Vergleiche mit ihren Details einschließlich der Höhe der gezahlten
Entschädigung automatisch veröffentlicht, ließen sich Ansprüche anderer Geschädigter besser durchsetzen. In England wird jetzt eine
Ergänzung des geplanten Freedom of Information Bill diskutiert, nach der Vereinbarungen mit Verschwiegenheitsklauseln in Vergleichen mit
Arzneimittelgeschädigten null und nichtig sein sollen.18 Lässt sich dies nicht durchsetzen, müssten medizinische Gutachter davon
überzeugt werden, nur dann tätig zu werden, wenn der öffentliche Zugang zu ihrer wissenschaftlichen Stellungnahme gewährleistet
ist.18
FAZIT: Die weltweite Diskussion, wie sich Informationsfreiheit bei Arzneimitteln gewährleisten lässt, findet ohne deutsche Beteiligung statt.
Hierzulande manipulieren einige Hersteller ungehemmt Informationen, sei es, dass sie Auskünfte zu Arzneimittelrisiken Ärzten gegenüber verweigern,
kritische Informationen per Unterlassungsklage unterdrücken, Gutachter durch juristische Pressionen oder persönliche Diffamierung einschüchtern,
Selbstverwaltungsorgane der Ärzteschaft daran hindern, vor unnützen Produkten zu warnen oder bei Vergleichen in Schadenersatzprozessen die
erworbenen Kenntnisse durch Verschwiegenheitsklauseln zu Tresorwissen verdammen und so anderen Geschädigten vorenthalten. Um diesem Treiben Einhalt
zu gebieten, erscheint ein Gesetz über die Informationsfreiheit bei Arzneimitteln nach Vorbild des schwedischen bzw. U S-amerikanischen Freedom of
Information Act dringend erforderlich.
|