Mit patentgeschützten selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern wie Fluoxetin (FLUCTIN) steht eine neuere Wirkstoffgruppe zur
Verfügung, die das Behandlungsrepertoire bei Depression erweitert und gegenüber den seit Ende der 50er Jahren gebräuchlichen patentfreien
trizyklischen Antidepressiva erheblich verteuert. Ohne sedierende und wesentliche anticholinerge Störwirkungen sollen sie die Stimmung aufhellen und die
Ausführung von Selbsttötungsabsichten erschweren. Die in Deutschland im Februar des Jahres mit Sertralin (GLADEM, ZOLOFT) neben Fluvoxamin
(FEVARIN; a-t 12 [1988], 108), Paroxetin (SEROXAT, TAGONIS; a-t 5 [1993], 50) und Citalopram (CIPRAMIL; a-t 11 [1996], 106) als Antidepressivum eingeführte fünfte Spielart des Prototyps Fluoxetin ist in den USA auch
zur Behandlung von Zwangsstörungen zugelassen.1
Obwohl sich die verfügbaren Serotonin-Wiederaufnahmehemmer chemisch zum Teil erheblich voneinander unterscheiden, lassen sich im klinischen Gebrauch
keine relevanten Unterschiede festmachen. Nach großen Metaanalysen wirken sie nicht besser antidepressiv als Trizyklika. Täglich 50 bis 200 mg
Sertralin schneiden im direkten Vergleich zwar besser ab als Plazebo, aber ähnlich gut wie Fluoxetin (täglich 20-60 mg) oder trizyklische Antidepressiva (z.
B. täglich 50-150 mg Amitriptylin [SAROTEN]).2,3 Eine systematische Langzeitprüfung steht aus.
Eine klare Dosis-Wirkungsbeziehung fehlt, Störwirkungen nehmen aber mit steigender Dosis zu. Der Hersteller empfiehlt täglich 50 mg.4 Dass
auch eine niedrigere Dosis wirkt, lässt sich nicht ausschließen.5 Sertralin wird wie Paroxetin mit einer Eliminationshalbwertszeit von etwa einem
Tag ausgeschieden und damit doppelt bzw. siebenfach rascher als Fluoxetin bzw. dessen aktiver Metabolit Norfluoxetin.6
STÖRWIRKUNGEN: Wie Fluoxetin besitzt Sertralin zentralnervös stimulierende Effekte. Zu den häufigsten unerwünschten Folgen
gehören neben Übelkeit (26%) und Durchfall (18%) Kopfschmerzen (20%), Tremor (11%), Schlaflosigkeit (16%), Agitation (6%) und Unruhe (3%).7
Sexuelle Funktionsstörungen wie Ejakulationsstörungen betreffen 17% der Anwender.6 Das von anderen Serotonin-Wiederaufnahmehemmern
bekannte Syndrom der inadäquaten ADH*-Sekretion mit Hyponatriämie ist auch in Verbindung mit Sertralin beschrieben.8 Wegen der Gefahr des
Serotonin-Syndroms (a-t 5 [1995], 55) mit Agitation, Verwirrtheit, Fieber und Rigor oder Myoklonien soll bei Wechsel
von Sertralin auf MAO-Hemmer und umgekehrt eine Auswaschphase von mindestens 14 Tagen eingehalten werden. Die gleichzeitige Anwendung ist
kontraindiziert.2
Unter den in der britischen Spontanerfassung am häufigsten mit tödlichen Anwendungsfolgen in Verbindung gebrachten Arzneimitteln stehen die
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Fluoxetin (12 Berichte), Sertralin (12) und Paroxetin (10) auf Rang vier bis sechs hinter dem Neuroleptikum Clozapin (LEPONEX;
34), dem Antirheumatikum Diclofenac (VOLTAREN u.a.; 22) und Ethinylestradiol-haltigen "Pillen" (21).9
Überdosierungen von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern enden seltener tödlich als Vergiftungen mit Trizyklika. Das Suizidrisiko im Rahmen der
depressiven Störung bleibt jedoch unabhängig von der antidepressiven Behandlung offenbar gleich.10 Bessere kardiovaskuläre Verträglichkeit
gilt - neben selteneren anticholinergen Störwirkungen - als wichtiger Vorzug der neuen Stoffgruppe gegenüber Trizyklika. Über Nutzen und Risiken
bei vorbestehenden Herzerkrankungen ist indes wenig bekannt.11 In den USA darf Sertralin-Hersteller Pfizer nicht mehr für die Anwendung bei
Herzinfarktpatienten mit Depression werben. Nach Auffassung der Arzneimittelbehörde FDA bestehen Sicherheitsbedenken wegen kardiovaskulärer
Störwirkungen. In klinischen Studien traten Tachykardie, Blutdruckveränderungen (bei Hypertonie an Arzneimittelinteraktion oder Phäochromozytom
denken),12 periphere Ischämie und Herzinfarkt auf.13 Als Ursache für ungewöhnlich lang anhaltende Brustschmerzattacken unter
Sertralin bei einem Arzt mit koronarer Herzkrankheit werden serotoninerg bedingte Koronarspasmen diskutiert.14
KOSTEN: Das vor sieben Jahren eingeführte Fluoxetin kommt die gesetzlichen Krankenkassen mit 50 Millionen DM (1995) bereits teurer als das
marktführende trizyklische Standardtherapeutikum, das Amitriptylin-Original SAROTEN (41 Mio. DM), mit dem dreimal mehr Personen behandelt werden.15
Sertralin wird jetzt mit monatlich 90 DM für täglich 50 mg auf dem Preisniveau von Citalopram eingeführt und etwa 25% preiswerter als Fluoxetin (117
DM für 20 mg/Tag). Es verteuert die Behandlung gegenüber Amitriptylin (täglich 150 mg) jedoch um das Eineinhalb- (SAROTEN, 53 DM) bis
Dreifache (AMINEURIN, 37 DM).
FAZIT: Die fünf erhältlichen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer lassen im klinischen Gebrauch keine relevanten Unterschiede in der
Behandlung von Depressionen erkennen. Der jüngste Vertreter Sertralin (GLADEM, ZOLOFT) wird jetzt 25% preiswerter eingeführt als Fluoxetin
(FLUCTIN). Auch gegenüber trizyklischen Antidepressiva sehen wir für Sertralin keinen Wirkvorteil, der die bis zu dreifach höheren
Behandlungskosten rechtfertigen würde. Kardiovaskuläre Störwirkungen der Neuerung sind in den Blickpunkt geraten. Die im Vergleich zu Trizyklika
selteneren anticholinergen Effekte mögen die Neuerung attraktiv erscheinen lassen, werden jedoch mit häufigen anderen unangenehmen Effekten wie
Ängstlichkeit und Schlafstörungen sowie Kopfschmerzen, Durchfall und Ejakulationsverzögerung erkauft.
* ADH = antidiuretisches Hormon
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