Seit vor zwölf Jahren mit Fluvoxamin (FEVARIN; a-t 12 [1988], 108) der erste selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer eingeführt wurde,
reißt die Diskussion um echte oder vermeintliche Vorteile der neuen Antidepressivaklasse nicht ab. Geringere Herzschädlichkeit und größere
Sicherheit bei Überdosis werden als Vorteile gegenüber trizyklischen Antidepressiva propagiert. Mangelnde Erprobung bei schwerer Depression,
immunallergische Effekte und hohe Kosten schlagen negativ zu Buche. Nach Fluoxetin (FLUCTIN; a-t 7 [1990], 62, 6 [1991], 54) und Paroxetin (SEROXAT, TAGONIS; a-t 12 [1992], 121, 5 [1993], 50) ist jetzt der vierte Vertreter dieser Gruppe auf dem deutschen Markt: Citalopram (CIPRAMIL).
EIGENSCHAFTEN: Im Vergleich mit den übrigen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern beeinflußt Citalopram in vitro andere Botenstoffe
wie Noradrenalin am geringsten.1 Nach der Einnahme gehen 70% bis 100% der Dosis ins Blut über. Citalopram wird vor allem in der Leber
verstoffwechselt. Die Plasmahalbwertszeit von 33 Stunden bei jungen Menschen kann im Alter auf das Doppelte ansteigen.1 Die aktiven Metaboliten sollen
nicht wesentlich zur antidepressiven Wirkung beitragen.2
KLINISCHER NUTZEN: Täglich 20 mg gelten nach einer Metaanalyse plazebokontrollierter Studien als kleinste wirksame Dosis. Die Empfehlung des
Herstellers, die Dosierung bei Nichtansprechen bis maximal 60 mg (bei Älteren 40 mg) zu steigern, erscheint uns willkürlich: Die Dosiswirkungskurve
verläuft in diesem Bereich "sehr flach".3 Für täglich 40 mg lassen sich bei schwerer Depression gegenüber 20 mg keine
Wirkvorteile sichern ("Tendenz" für bessere Resultate3). In einer Kurzzeitstudie mit schwer depressiven Klinikpatienten findet sich zudem
kein Unterschied zwischen 20 mg Citalopram und Plazebo.3
Bei 357 ambulant behandelten depressiven Patienten wirken täglich 20 mg Citalopram gleich gut wie der meisterprobte selektive Serotonin-
Wiederaufnahmehemmer Fluoxetin in identischer Dosis.4 In drei kleineren Untersuchungen schneidet die Neuerung ähnlich ab wie die tetrazyklischen
Antidepressiva Mianserin (TOLVIN u.a.) und Maprotilin (LUDIOMIL u.a.).5,6,7 Ob Citalopram Depressionen insbesondere schwere so
zuverlässig bessert wie trizyklische Antidepressiva, steht in Frage.8 Bei 102 schwer erkrankten Patienten bleibt das Prüfpräparat (40
mg/Tag) dem trizyklischen Clomipramin (ANAFRANIL u.a., 150 mg/ Tag) unterlegen, vor allem bei Symptomen wie Schlafstörungen.9 Im dreiarmigen
Vergleich findet sich kein Unterschied zwischen Imipramin (TOFRANIL u.a. täglich 50-150 mg) und Citalopram in den Dosisbereichen 10 mg bis 30 mg und 20
mg bis 60 mg.10 Wegen fehlender standardisierter Diagnosekriterien bleibt offen, ob tatsächlich nur Patienten mit Depression behandelt
wurden.11 Die kleinen Teilnehmerzahlen in zwei Studien, nach denen Citalopram gleich gut wirkt wie Amitriptylin (SAROTEN u.a.),12,13 reichen
für eine Bewertung nicht aus.
UNERWÜNSCHTE FOLGEN: Das Störwirkungsspektrum ähnelt dem anderer selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer.
Übelkeit macht bis zu jedem Fünften zu schaffen. Häufig wird auch über Kopfschmerzen, Schwindel, Schwitzen, Schlaflosigkeit,
Rückenschmerzen und Ejakulationsstörungen geklagt.1,4,14 Anorgasmie ist beschrieben.15 Anticholinerge Effekte wie
Mundtrockenheit oder Tremor kommen seltener vor als unter Imipramin,1 aber deutlich häufiger als nach Scheinmedikament.14
Schwedische Mediziner berichten jetzt über sechs Selbsttötungen durch Überdosis Citalopram.16 Bei einem von sechs Suiziden während der
klinischen Prüfung des Serotonin-Wiederaufnahmehemmers wird ebenfalls Citalopram-Überdosis vermutet.1,17 Als Todesursache kommen neben
Krampfanfällen Herzrhythmusstörungen in Frage. Bei einer 44jährigen Schwedin verlängern 840 mg das QT-Intervall im EKG auf 504 ms. Bei
Hunden verursachen hohe Wirkspiegel von Citalopram und dessen Didemethyl-Stoffwechselprodukt tödliche Kammerarrhythmien und Torsades de
pointes.16 Die Produktentwicklung war wegen kardiotoxischer Effekte beim Hund zeitweilig eingestellt worden.18 Die schwedischen Kollegen
raten zur Zurückhaltung mit Citalopram bei suizidgefährdeten Patienten.16
Wegen der Gefahr des lebensbedrohlichen Serotonin-Syndroms (a-t 5 [1995], 55) verbietet sich die Kombination mit
MAO-Hemmern. Auch gleichzeitige Einnahme mit Sumatriptan (IMIGRAN) oder Serotonin-Vorstufen wie L-Tryptophan (KALMA u.a.; a-t 10 [1996], 93) kann serotonerge Effekte verstärken.14 Hohe Dosierungen von Cimetidin (TAGAMET
u.a.) erhöhen die Serumkonzentration von Citalopram.1
FAZIT: Der neue selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Citalopram (CIPRAMIL) bringt keinen Vorteil gegenüber dem seit 1990 erhältlichen
Fluoxetin (FLUCTIN). An der Zuverlässigkeit der Wirkung im Vergleich mit trizyklischen Antidepressiva bestehen Zweifel. Für Suizidgefährdete
erscheint Citalopram riskant: Sechs Vergiftungen endeten tödlich. Wir sehen keine Anwendungsnische für die teure Neuerung (siehe Kasten).
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