Herzinsuffizienz als Folge ischämischer Schädigung (Angina pectoris, Herzinfarkt), chronischer Druckbelastung (Hypertonie) oder seltener
idiopathisch hat eine düstere Prognose. Auch wenn Digitalisglykoside, (relativ hochdosierte) ACE-Hemmer und Diuretika eingenommen werden (a-t 8 [1990], 71), sterben selbst bei mäßig ausgeprägter Herzinsuffizienz in engmaschig überwachten
kontrollierten klinischen Studien Jahr für Jahr etwa 10% der Patienten.1
Nach Beobachtungen von Schweizer Kardiologen gefährden ungenügende Indikationsstellung oder Dosierung der Standardmedikamente durch
Ärzte und mangelnde Einnahmezuverlässigkeit (auch Nichtbeachtung der eingeschränkten Flüssigkeitszufuhr) die Kranken. Akute
Dekompensationen und damit verbundene Krankenhauseinweisungen verursachen erhebliche Kosten.2
Das Fortschreiten des komplexen klinischen Syndroms "Herzinsuffizienz" wird mit erschöpften hämodynamischen und
überschießenden neurohumoralen Kompensationsmechanismen (Sympathikus, Renin-Angiotensin-System, Vasopressin) erklärt.
CARVEDILOL: EIN BETABLOCKER MIT BESONDEREM STELLENWERT
Vor einigen Jahren werteten wir in Übereinstimmung mit unseren Beratern einen nicht selektiven Betablocker mit α1-blockierenden
Eigenschaften für Hochdruckkranke als "Variante ohne besonderen Stellenwert" (Arzneimittelkursbuch '92/93, Seite 471). Inzwischen reanimierte
der US-Pharmakonzern SmithKline Beecham das als Reserve eingeordnete Carvedilol (DILATREND, QUERTO) als lebensverlängerndes Additiv für
Herzinsuffiziente, die mit den üblichen Standards wie Diuretika, Digitalis und ACE-Hemmern versorgt sind.
Herzkranke mit eingeschränkter kardialer Leistung leben heute mit diesem Tripel-Regime im Vergleich zur Medikamentenära der siebziger Jahre
länger. Fügt man zu diesem "Standard" Carvedilol hinzu, steigt die Lebenskurve der Betroffenen überraschend. Studienteilnehmer mit
Plazebo mußten der Verumgruppe zugeordnet und laufende plazebokontrollierte Studien abgebrochen werden. Gleichzeitig fiel ein Tabu. Eine manifeste
Herzinsuffizienz gilt nicht mehr als Kontraindikation für Carvedilol, den Betablocker mit Doppelgesicht, wie wir es vom Labetalol kennen. |
Patienten mit den höchsten Aktivitäten des kardialen Gewebshormons ANP (Atriales Natriuretisches Peptid), von
Angiotensin II, Aldosteron, Noradrenalin und Adrenalin im Plasma sind mehr gefährdet, profitieren aber auch am stärksten von der Blockade
neurohumoraler Stimulation, z.B. des Renin-Angiotensin-Systems mit Enalapril (PRES, XANEF).3
Versuche, die Auswirkungen überschießender Sympathikusstimulierung mit Alphablockern wie Prazosin (MINIPRESS u.a.) zu bremsen, haben nur
mäßigen Erfolg. Alphablocker verbessern kurzfristig die Hämodynamik, versagen aber als Langzeitmedikamente infolge Wirkungsverlustes und
senken nicht die Sterblichkeit.4,5 Betablocker steigern bei bestimmten Formen der Herzinsuffizienz (idiopathische dilatative Kardiomyopathie) die
Lebenserwartung, verschlimmern aber die Beschwerden bei bis zu 20% der Patienten.6,7 Hinweise, daß kombinierte Alpha- und Betablocker vom Typ
des Labetalol (TRANDATE [Schweiz u.a.]) oder Bucindolol (noch nicht im Handel, Betablockade mit Vasodilatation) eine Herzinsuffizienz günstig
beeinflussen,8,9 veranlaßten SmithKline Beecham, den amerikanischen Partner von Boehringer Mannheim, zu großangelegten Studien mit dem
Betablocker/Vasodilatator Carvedilol (DILATREND, QUERTO).
Carvedilol, ein razemisches Gemisch von zwei spiegelbildlichen Molekülformen (Enantiomeren) mit unterschiedlicher Pharmakokinetik,10 besitzt
strukturelle Ähnlichkeiten zum Serotonin. In Bindungsstudien wirkt es rund 100mal stärker an Serotonin-5-HTIA-Rezeptoren als an Alpha1-
Adrenozeptoren11 und soll außerdem neuroprotektive12 sowie antioxidative Wirkungen13 besitzen.
Bei ischämischer und idiopathischer dilatativer Kardiomyopathie (Herzinsuffizienz NYHA II bis IV) bessert die viermonatige Einnahme von Carvedilol
hämodynamische Parameter (linksventrikulärer Schlagvolumenindex), NYHA-Scores und die subjektive Symptomatik gegenüber
Scheinmedikament.14,15 Ähnliche Ergebnisse für Herzinsuffiziente mit ausschließlich idiopathischer dilatativer Kardiomyopathie kommen aus
Italien ( allerdings versagt hier Carvedilol bei etwa jedem dritten Patienten.16
In einer australisch-neuseeländischen Studie erhalten 415 Patienten mit ischämisch bedingter Herzinsuffizienz (NYHA II bis III) sechs Monate lang bis zu
zweimal täglich 25 mg Carvedilol oder Plazebo. In einer unkontrollierten Phase vor Randomisierung war der Betablocker zuvor bei 442 Teilnehmern in Dosen bis
zu zweimal täglich 6,25 mg auf Verträglichkeit geprüft worden. Die linksventrikuläre Auswurffraktion nahm im Verlauf der Doppelblindphase
unter Verum gegenüber Plazebo zu. Die Symptome schienen sich jedoch geringfügig zu verschlechtern. Aus der Verumgruppe schieden deutlich mehr
Patienten vorzeitig aus (30 vs. 13).17
Neue Therapieprinzipien der Herzinsuffizienz müssen sich insbesondere durch eine Verbesserung der Mortalität bewähren. Für die seit
Generationen verwendeten Digitalisglykoside ist dies nicht gesichert. Sie werden häufig verordnet, obwohl nur etwa 20% aller Patienten symptomatisch
profitieren.18 Ergebnisse einer Glykosid-Mortalitätsstudie stehen aus.19
Nachdem die Erprobung einiger angeblich die Herzleistung steigernder Medikamente wie Milrinon (COROTROP) per os20 und Vesnarinon
(Übersterblichkeit im 120-mg-Studienarm)21 vorzeitig abgebrochen wurde und der Vasodilatator Flosequinan nach Markteinführung in
Großbritannien und den USA "abgestürzt" ist,22 überrascht die Mitteilung, daß weitere plazebokontrollierte Studien mit
Carvedilol in den USA abgebrochen wurden, weil "Carvedilol im Vergleich mit Plazebo eine unerwartet starke Wirkung bei der Reduktion der
Mortalität" hatte.23
Carvedilol scheint die Sechsmonatssterblichkeit dosisabhängig zu verringern.24 Einzelheiten über die kardiovaskuläre und
Gesamtmortalität sind jedoch bislang bei keiner Studie bekannt. Nach vorläufigen Daten verbessern sich objektiv meßbare hämodynamische
Meßgrößen und subjektive Symptome unter Carvedilol, die Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten nimmt ab.25
Die günstigen, offensichtlich mindestens sechs Monate anhaltenden Wirkungen von Carvedilol als Zusatztherapie zum bisherigen "Standard"
werden überwiegend der kombinierten Alpha- und Betablockerwirkung zugeschrieben. Bei der durch Alphablockade ausgelösten Vasodilatation ist
regelmäßig ein Wirkungsverlust durch Toleranzentwicklung über Stimulation des Renin-Angiotensin-Systems zu beobachten. Bei Carvedilol
könnte diese über Betablockade unterdrückt werden. Möglicherweise spielen die dem Präparat nachgesagten Antioxidans- oder
Serotoninrezeptorwirkungen eine Rolle.
FAZIT: Carvedilol (DILATREND, QUERTO) gehört als "Betablocker" zu einer Klasse von Antihypertensiva, für die im Unterschied zu
Kalziumantagonisten, Alphablockern und ACE-Hemmern eine Verbesserung der Lebenserwartung von Patienten mit Bluthochdruck, einem wichtigen Wegbereiter
der Herzinsuffizienz, belegt ist (a-t 10 [1995], 97).
Die jetzt vorliegenden Studienergebnisse mit Carvedilol bei Herzinsuffizienz geben Anlaß zu vorsichtigem Optimismus. Noch ist unklar, ob Carvedilol
ausschließlich als Zusatztherapie zu ACE-Hemmern, Diuretika und Herzglykosiden die Sterblichkeit Herzinsuffizienter günstig beeinflußt oder ob es
z.B. bei Unverträglichkeit von ACE-Hemmern bei NYHA-Stadium III und IV die bisher übliche Kombination von (Di-) Hydralazin (NEPRESOL u.a.) und
Isosorbiddinitrat (ISOKET u.a.) ersetzen kann. Wird die Verwendung von Carvedilol erwogen, sollte die Einstellung wegen der notwendigen engmaschigen
hämodynamischen Überwachung einstweilen Spezialisten bzw. der Klinik überlassen werden. Die hierfür notwendigen niedrigen Dosisformen
(3,125 mg) stehen noch nicht für den Praxisalltag zur Verfügung.
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