MEDIKAMENTÖSE THERAPIE DER CHRONISCHEN HERZSCHWÄCHE | ||||
Das ideale Medikament zur Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz soll Beschwerden und Morbidität des Patienten bessern, Progression
sowie Mortalität der Erkrankung günstig beeinflussen und dabei gut verträglich sein. Eine solche Substanz wurde bis heute nicht gefunden. Als
erstes Medikament zur Therapie der Herzinsuffizienz wurde vor mehr als 200 Jahren Digitalis eingeführt. Eine wesentliche Verbesserung erbrachte die
Entwicklung der Thiazid-Diuretika vor ca. 30 Jahren. Trotz fehlender Wirksamkeitsnachweise anhand kontrollierter Studien dominierten beide Substanzgruppen die
Behandlung der Herzinsuffizienz bis vor wenigen Jahren, da Alternativen nicht zur Verfügung standen. Das vergangene Jahrzehnt brachte Fortschritte im
Verständnis der pathophysiologischen Veränderungen bei der Herzinsuffizienz, insbesondere bezüglich des Renin-Angiotensin-Systems und
neuroendokrinologischer Regulationsmechanismen. Hierdurch wurde die Entwicklung neuerer Arzneistoffe angeregt. Somit sind Diuretika bei herzinsuffizienten Patienten, die durch Volumenüberlastung symptomatisch werden, auch für die Langzeittherapie offenbar ein notwendiger, jedoch nicht immer ausreichender Therapiebestandteil. Steht dagegen eine verminderte Herzauswurfleistung ("low output") ohne Volumenüberlastung im Vordergrund, können Diuretika die klinische Symptomatik sogar verschlechtern.4,5 Eine Senkung der Mortalität durch Diuretika ist bisher nicht nachgewiesen, entsprechende kontrollierte Studien sind wegen der Gefahr kardialer
Dekompensationen in der Plazebogruppe nicht vertretbar. Eventuell positive Effekte auf die Langzeitmortalität könnten aufgehoben werden durch den
bekannten ungünstigen Einfluß von Diuretika auf Glukose- und Fettstoffwechsel sowie auf Serum-Elektrolyte mit der Gefahr ventrikulärer
Arrhythmien. Auch bei unter Diuretika bereits beschwerdefreien Patienten verbessert zusätzliches Digitalis die Herzauswurfleistung. Die Frequenz von kardialen Dekompensationen und Krankenhauseinweisungen nimmt signifikant ab.3,7 Am sichersten scheinen Patienten mit langjähriger schwerer Herzinsuffizienz (NYHA III und IV), global dilatiertem Herzen und systolischer Dysfunktion zu profitieren, wohingegen bei vorwiegend diastolischer Dysfunktion des linken Ventrikels Digitalis ohne Wert ist.4,8 Als zweites Medikament neben Diuretika sind Digitalis-Präparate weniger wirksam als ACE-Hemmer3,9 oder der Betablocker mit intrinsischer
Aktivität Xamoterol* (CORWIN [Großbritannien]),6 jedoch effektiver als der Phosphodiesterase-Hemmstoff Milrinon (PRIMACOR
[Großbritannien]).7 Bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz, die bereits Diuretika und ACE-Hemmer oder Vasodilatatoren einnehmen, scheint Digitalis
eine Besserung von Herzauswurfleistung und pulmonaler Stauung zu bewirken, insbesondere, wenn die hämodynamischen Parameter vor Therapiebeginn
noch deutlich pathologisch verändert sind.10,11 Die Verträglichkeit von Digitalis-Präparaten wird insgesamt als relativ gut beurteilt und
besser als die von Milrinon7 oder Captopril.3 Der Einfluß von Digitalis auf die Langzeitmortalität bei chronischer Herzinsuffizienz
ist bisher nicht untersucht.
ACE-HEMMER: Von den neueren Mitteln zur Behandlung der Herzinsuffizienz sind ACE-Hemmer am umfangreichsten erprobt. Sie wirken bei allen Schweregraden der chronischen Herzinsuffizienz. Sowohl zusätzlich zu Diuretika als auch zu Diuretika und Digitalis verbessern sie hämodynamische Parameter wie Ejektionsfraktion, Auswurfleistung und pulmonalen Kapillardruck.12,13 Klinisch nehmen Herzgröße und Lungenstauung ab, die Belastungstoleranz wird verbessert.3,9,12,14-16 Auch die klinische Symptomatik wie Dyspnoe und allgemeine Schwäche sowie die NYHA-Stadien werden günstig beeinflußt,3,9,12,14-16 kardiale Dekompensationen und Krankenhausaufenthalte sind seltener.3 Die Wirkungen sind auch noch nach 12 Wochen3,12,15,16 bzw. 12 Monaten nachweisbar.9,14 ACE-Hemmer wirken bei Kranken, die mit Diuretika und Digitalis vorbehandelt sind, unabhängig davon, ob sie noch eine manifeste klinische Symptomatik aufweisen14,16 oder beschwerdefrei sind.3,9,12 Als zweites Medikament neben Diuretika beeinflussen sie bei leichter bis mittelschwerer Herzinsuffizienz Hämodynamik und Belastungstoleranz günstiger als Digitalis.3,9 Jedoch scheinen Diuretika als erstes Medikament zumindest dann nicht durch einen ACE-Hemmer ersetzbar, wenn anamnestisch eine akute pulmonale Stauung vorausgegangen ist.1 Im Vergleich der ACE-Hemmer untereinander ruft das länger wirkende Enalapril (PRES, XANEF) bei gleicher Effektivität häufiger als Captopril
(LOPIRIN, TENSOBON) anhaltende Hypotonien hervor sowie Kreatinin- und Kaliumanstiege im Serum.17 Dagegen ist bisher nur für Enalapril bei
chronischer Herzinsuffizienz eine Senkung der Langzeitmortalität sicher nachgewiesen: Zusätzlich zu Diuretika und Digitalis (und evtl. Vasodilatatoren)
verabreicht, ließ sich bei Patienten im NYHA-Stadium IV die Langzeitmortalität nach 6 Monaten von 44% auf 26%, nach 12 Monaten von 52% auf 36%
vermindern.14 Ob dieser günstige Effekt auf die Lebenserwartung auch mit anderen ACE-Hemmern und bei frühzeitigerem Einsatz erzielt werden
kann, wird derzeit in kontrollierten Studien geprüft. Zwischenergebnisse sowie retrospektive Analysen älterer Studien sprechen dafür.16 In
den ersten 12 Monaten nach einem Myokardinfarkt scheinen ACE-Hemmer auch bei asymptomatischen Patienten eine kardiale Dilatation zu verhindern18
und im Gegensatz zu Diuretika die hämodynamischen Parameter verbessern zu können.19 In einer Zusammenfassung bisheriger Studienergebnisse wird keiner der derzeit verfügbaren Phosphodiesterasehemmer bei chronischer Herzinsuffizienz positiv beurteilt und die Stoffklasse als solche auch vom theoretischen Ansatz her für wenig erfolgversprechend gehalten. Dagegen besteht der begründete Verdacht, daß diese Substanzen ernsthafte unerwünschte Wirkungen wie ventrikuläre Arrhythmien und kardiotoxische Effekte auslösen können.23 BETABLOCKER: Wegen der bekannten Gefahr fataler Akutwirkungen erscheint die Verwendung beta-blockierender Substanzen zur
Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz zunächst paradox. Wie eine chronische Betablockade das Krankheitsbild günstig beeinflussen kann, ist vom
Mechanismus her letztlich auch nicht geklärt. Die Hauptbedeutung kommt wahrscheinlich der Wiederzunahme von Betarezeptoren an den Myokardzellen zu,
die bei chronischer Herzinsuffizienz durch anhaltend hohe Noradrenalin-Spiegel "down-reguliert" sind. Unter der Betablockade stehen dann wieder
Rezeptoren zur Verfügung, so daß das Myokard bedarfsweise durch endogene Katecholamine stimulierbar ist. Insgesamt läßt sich der Stellenwert von betablockierenden Substanzen für die Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz derzeit noch nicht abschließend beurteilen. Die bisherigen Studienergebnisse geben Anlaß zu Hoffnung. Ob Blocker mit partieller agonistischer Aktivität günstiger sind, erscheint zumindest für fortgeschrittene Stadien aus theoretischen Gesichtspunkten zweifelhaft.25 ZUSAMMENFASSENDE BEWERTUNG: Für die praktische und therapeutische Routine zur Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz sind derzeit
nur Diuretika, Digitalis-Präparate und ACE-Hemmer zu empfehlen. Der stufenweise Einsatz der Medikamente soll individuell erfolgen. Für Patienten mit
Vorhofflimmern bleibt Digitalis das Mittel der Wahl. Diuretika sind weiterhin die am sichersten und schnellsten wirkenden Substanzen bei akuter Dekompensation. Sie
bleiben für die Dauertherapie unverzichtbar, wenn im Krankheitsverlauf Episoden mit Volumenüberlastung aufgetreten sind. Bei eingeschränkter
Auswurfleistung des Herzens ohne Volumenüberlastung können Diuretika dagegen zur klinischen Verschlechterung führen. In dieser Situation sind
primär ACE-Hemmer zu empfehlen. ** Diese Empfehlung gilt unter Vorbehalt.
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