Etwa 5-10% der über 60jährigen sollen in der Bundesrepublik Deutschland von Hirnleistungsstörungen im Alter (hirnorganisches
Psychosyndrom) betroffen sein. Nur bei 10-20% der Erkrankten liegen behandelbare Grunderkrankungen zugrunde. Für alle anderen sind dementielle
Entwicklungen des ZNS verantwortlich zu machen, die meist Folgen einer Multiinfarktdemenz (25%) oder einer Demenz vom ALZHEIMER-Typ sind (55%)
1.
Während die Persönlichkeit von ALZHEIMER-Patienten lange Zeit gut erhalten scheint, gehen Merkfähigkeit und Orientierung schrittweise verloren.
Eine sichere Diagnose des fortschreitenden Neuronenuntergangs kann erst post mortem anhand der charakteristischen neuropathologischen Veränderungen
erstellt werden. Die Ursache der Erkrankung bleibt zu klären.
Eine kausale Behandlung ist nicht bekannt. Es wird versucht, mit Medikamenten den Neurotransmittermangel zu kompensieren, die intakt bleibenden
postsynaptischen Rezeptoren zu stimulieren und die daraus resultierenden Verhaltensstörungen symptomatisch zu behandeln. Gefäßerweiternde
Mittel sind beim Morbus ALZHEIMER mehr oder minder nutzlos, da die Hirndurchblutung keinen Faktor für die Pathogenese darstellt.5 In
psychometrischen Tests erfaßte Besserungen der Gedächtnisleistung sagen wenig darüber aus, wie die Patienten das tägliche Leben
bewältigen können. Deshalb sind solche Tests als Wirksamkeitsnachweis bei dieser Erkrankung von mehr als zweifelhafter
Aussagefähigkeit.
Die Verwendung von Co-dergocrin (Dihydroergotoxin; HYDERGIN u.a.) wird empfohlen, weil das Gemisch mehrerer Mutterkornalkaloide den Stoffwechsel der
Nervenzelle und die gestörte Neurotransmitteraktivität steigern soll.
Der klinische Nutzen der Co-dergocrin-Therapie bei Hirnerkrankungen erscheint fraglich, obwohl das Mittel zu den vieluntersuchten Wirkstoffgemischen zählt
(vgl. a-t 11 [1985], 85). An die 100 Studien sind Wirkungen des HYDERGIN gewidmet. Das Ergebnis einer in den USA durchgeführten Plazebo-kontrollierten
Doppelblindstudie2 gibt Hinweise darauf, daß die Erkrankung unter Co-dergocrin möglicherweise beschleunigt fortschreitet. Die 80 beteiligten
Patienten mit leichter bis mittelgradiger Demenz wurden vor und nach einer 24wöchigen Behandlung mit 3 x 1 mg flüssig verkapseltem Co-dergocrin bzw.
Plazebo testpsychologisch beurteilt. Wahrnehmung und Verhalten verschlechterten sich in der Verum-Gruppe zweier psychometrischer Tests zur Beurteilung der
geistigen Leistungsfähigkeit signifikant.
Die Sandoz AG (Nürnberg) ignoriert in einem Presserundschreiben die Angaben zu Indikation und Dosis der Sandoz Inc. (USA), die die Studie über ein
Sandoz Forschungsinstitut mitfinanziert hat. In Deutschland sei Co-dergocrin nicht zur Behandlung des Morbus ALZHEIMER zugelassen4 (US-
Werbung:3 "The only product indicated for ALZHEIMER's Dementia"). Außerdem werde eine höhere Dosierung von täglich 4-8
mg Co-dergocrin empfohlen4 (USA: 3 x 1 mg).
Da die Firma hierzulande die Anwendungsgebiete hirnorganisches Psychosyndrom mit Niedergeschlagenheit, Verwirrtheit und Verhaltensstörungen
beansprucht, zielt die Anwendungsempfehlung inhaltlich genau auf den gleichen Patientenkreis wie in den USA. Es ist daher davon auszugehen, daß in der
Bundesrepublik viele an Demenz vom ALZHEIMER-Typ leidende Patienten mit Co-dergocrin behandelt werden.
FAZIT: Die Behandlung der Demenz vom ALZHEIMER-Typ mit Co-dergocrin (HYDERGIN u.a.) ist wegen des zweifelhaften therapeutischen Nutzens
fragwürdig. Nach einer vom HYDERGIN-Anbieter Sandoz geförderten Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie könnte der Krankheitsverlauf sogar
ungünstig beeinflußt werden.
Pflegehilfen, stimmungshebende Maßnahmen und symptomatisch orientierte Therapie bestimmen noch immer den Wert der Behandlung der ALZHEIMER'schen
Erkrankung. Spezifisch wirkende Medikamente stehen noch nicht zur Verfügung, wenngleich die Pathogenese dieser häufigen Demenzform in den letzten
Jahren klarer geworden ist.
|