Rund 25.000 Menschen leiden in der Bundesrepublik Deutschland an Narkolepsie. Klinisch handelt es sich hierbei um übermäßige
Schläfrigkeit am Tag mit imperativem Schlafdrang. Zum narkoleptischen Syndrom gehören einzeln oder in beliebiger Kombination die
Kardinalsymptome
- Narkolepsie, durchschnittlich 2-6mal am Tag für 5-30 Minuten,
- wenige Sekunden dauernder kataplektischer Anfall mit plötzlichem Tonusverlust der Muskulatur und Hinstürzen, verbunden mit Emotionen (auch
Lachschlag oder affektiver Tonusverlust genannt),
- Halluzinationen beim Einschlafen mit meist angsterfüllten, traumhaften Erlebnissen (hypnagoge Halluzinationen) sowie
- meist mehrfach im Jahr auftretender, vom Patienten bedrohlich erlebter und Minuten anhaltender Verlust des Muskeltonus, der wie eine Lähmung erscheint
(Schlaflähmung).1,2,3
Andere Symptome wie automatische Handlungen mit Gedächtnislücken und Bewußtseinsveränderungen kommen vor. Sogar ungewollte
Ladendiebstähle werden beschrieben.
Abgesehen von Unfällen im Straßenverkehr, bei der Arbeit u.a. beeinträchtigt die Erkrankung die Lebenserwartung nicht. Sie bringt jedoch
angesichts der vielgestaltigen Symptome für die Erkrankten Beunruhigung und Verwirrung sowie reaktive Depression oder Angstzustände mit sich und
nicht zuletzt das Gefühl, das ganze Leben zu verschlafen. Zwar kann Narkolepsie in jedem Alter zwischen 5 und 70 erstmals auftreten, am häufigsten
setzen die Symptome jedoch zwischen Pubertät und frühem Erwachsenenalter ein.
Fast alle Narkoleptiker weisen das Histokompatibilitätsantigen HLA-DR2 auf, hingegen nur ein Viertel der Kontrollpersonen. Der Befund stützt die
Hypothese des genetischen Ursprungs der Erkrankung. Familiäres Auftreten wird beschrieben. Ein Vererbungsmuster ist unbekannt.1 Eine
Immunsystem-vermittelte Pathogenese wird diskutiert.3,4
Die Diagnose gründet vor allem auf der Krankengeschichte mit Hinweisen auf das imperative Schlafbedürfnis und die bizarren Situationen, in
denen Narkoleptiker einschlafen (z.B. in Situationen angespannter Aufmerksamkeit wie Geschäftsbesprechungen). Neurologische Untersuchungen wie EEG-
Befunde sind meist unauffällig. Schlafanfälle am Tage beginnen üblicherweise mit REM-Schlafperioden. Schlaflähmung, hypnagoge
Halluzinationen und zum Teil kataplektische Anfälle sind von REM-Schlaf begleitet. Dies deutet auf eine abnormale Dissoziation im Hirnstamm zwischen den
für die Aufrechterhaltung des Wachzustandes zuständigen Strukturen und solchen, die die REM-Aktivität erzeugen und den Muskeltonus
aufrechterhalten.1
Differentialdiagnostisch abzugrenzen sind Epilepsien (heftigere Stürze, Zungenbiß, Einnässen, keine Weckbarkeit),
Sturzanfälle bei vertebrobasilärer Insuffizienz (keine affektiven Auslöser), andere Formen der Hypersomnie (nicht anfallsartig), Schlafapnoe-Syndrom
(mit häufigem Aussetzen der Atmung, Schnarchen und motorischer Unruhe) u.a.1
Die Therapie der Narkolepsie beruht auf Stimulanzien und Antidepressiva. Für ausreichenden Nacht- und Mittagsschlaf sowie Verzicht auf
Schichtarbeit und Tätigkeiten, bei denen Schläfrigkeit und Stürze gefährlich sein können, ist zu sorgen. Ausgiebige körperliche
Aktivität kann hilfreich sein.1 Zwei bis drei Nickerchen täglich für 15-20 Minuten verbessern die Wachheit am Tage, ohne nächtliche
Schlafstörungen zu verstärken. Regelmäßige Nickerchen können den Medikamentenbedarf senken.3 Die Suche nach dem
günstigsten Medikament und der richtigen Dosis unterstützt ein Schlaftagebuch.
Um unerwünschte Effekte gering zu halten, sollen Stimulanzien wie Methylphenidat (RITALIN, Betäubungsmittel [BTM]; 10-60 mg/Tag), Phenmetrazin
(PRELUDIN [BTM], in Deutschland nicht mehr im Handel; 25-75 mg/Tag), Amphetamin ([BTM], hierzulande nicht im Handel; 5-40 mg/Tag) und Mazindol
(TERONAC; 2-8 mg/Tag) zur Behandlung der Narkolepsie möglichst niedrig dosiert werden. Als Reservemittel gilt Pemolin (TRADON). Entwickelt sich Toleranz
gegen Stimulanzien, empfehlen sich Therapieunterbrechungen ("drug holidays").3
Die häufigsten Störwirkungen sind Schwitzen, Reizbarkeit, Redseligkeit, Hyperaktivität und Euphorie. Mit Abhängigkeit ist im allgemeinen zu
rechnen möglicherweise weniger bei Mazindol. Treten paranoide und paranoid-halluzinatorische Psychosen auf, sind die Stimulanzien sofort
abzusetzen. Auch der MAO-B-Hemmer Selegilin (MOVERGAN) erhöht die Wachheit am Tage.3 Andere Mittel wie Methysergid (DESERIL), Propranolol
(DOCITON u.a.) oder MAO-Hemmer wurden versucht, erwiesen sich klinisch aber nur als begrenzt hilfreich. Der Nutzen von L-Tyrosin wird in Frage
gestellt.1
Gegen Kataplexie und Schlaflähmung wirken trizyklische Antidepressiva. Clomipramin (ANAFRANIL; 10-100 mg/Tag) hilft besser als Imipramin (TOFRANIL; 25
-100 mg/Tag) und senkt die Zahl kataplektischer Anfälle bei mehr als zwei Drittel der Narkoleptiker. Die antikataplektische Wirkung setzt im Gegensatz zum
langsamer entstehenden antidepressiven Effekt bereits innerhalb von 24 Stunden ein.1 Auch Fluoxetin (FLUCTIN) und Viloxazin (VIVALAN) wurden
erfolgreich verwendet. Zu rasches Absetzen von trizyklischen Antidepressiva kann eine Rebound-Kataplexie auslösen, so daß die Medikation für
Einnahmepausen auszuschleichen ist.3
Amphetamin-Derivate und trizyklische Antidepressiva lassen sich kombinieren. Der Blutdruck ist wegen der Gefahr einer Hypertonie regelmäßig zu
kontrollieren.
FAZIT: Übermäßige Schläfrigkeit am Tag mit imperativem Schlafdrang und andere Symptome des narkoleptischen Syndroms betreffen
schätzungsweise 25.000 Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Die verwendeten Arzneimittel wirken nicht gegen alle Symptome des narkoleptischen
Syndroms gleich gut. Stimulanzien und Antidepressiva müssen in Abhängigkeit vom Krankheitsbild gegebenenfalls kombiniert werden.
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