"Das Mittel war da aber keine Indikation."1 Diese Schlagzeile kennzeichnet die Situation für das 1989 eingeführte
Interferon-gamma-Präparat POLYFERON. Von hochgesteckten Erwartungen in die seit 1957 bekannten Interferone sind heute die Anwendung bei
Haarzelleukämie (Interferon alfa-2b [INTRON A, ROFERON A]), chronischer myeloischer Leukämie, chronisch-aktiver Hepatitis B und metastasierendem
Nierenkarzinom (Hypernephrom) geblieben.
Einer Zufallsbeobachtung folgend wird seit einigen Jahren gentechnisch hergestelltes Interferon-gamma für die Behandlung der primär chronischen
Polyarthritis (pcP) geprüft.
POLYFERON darf nur verwendet werden, wenn nichtsteroidale Entzündungshemmer und Basistherapeutika zuvor nicht ausreichend wirksam waren und die
Diagnose der pcP vor Behandlungsbeginn anhand der international akzeptierten Kriterien der Amerikanischen Rheumaliga (ARA; hohe
Entzündungsaktivität, Schwellung mehrerer Gelenke, positiver Rheumafaktor etc.) gesichert ist.
WIRKUNGEN: Die pathophysiologischen Vorgänge der pcP münden letztlich in eine Zerstörung der Gelenkstrukturen und gehen mit einer
erhöhten Aktivität von Makrophagen und T4-Lymphozyten (Helferzellen) einher. Dies ist verbunden mit einer vermehrten Interleukin (IL)-1-Sekretion und
Phagozytoseaktivität, die für Entzündungsprozesse charakteristisch sind. T-Lymphozyten produzieren normalerweise Interferon-gamma, das u.a. die
IL-1-Sekretion hemmt.2 Bei pcP-Patienten sind jedoch die T-Lymphozyten in den entzündlichen Gelenken unfähig, Interferon-gamma zu bilden
und damit dem Entzündungsprozeß entgegenzuwirken.3,4
Durch Anhebung des Interferon-gamma-Spiegels soll eine Suppression der entzündlichen Aktivität der pcP induziert werden. Voraussetzung sind aber
hohe Entzündungsaktivität und optimale Interferon-gamma-Spiegel, da Interferon-gamma je nach Entzündungsaktivität und Konzentration die
immunologischen und entzündlichen Prozesse sowohl hemmen als auch aktivieren kann. Bei Patienten mit multipler Sklerose kam es unter Interferon-gamma
häufiger als erwartet zu einer Verschlechterung der Krankheit.14
KLINISCHE STUDIEN: Bis heute existieren Erfahrungen aus kontrollierten klinischen Studien nur an einigen hundert Patienten. Von 300 pcP-Kranken aus
drei Langzeitstudien konnten lediglich 120 Krankheitsverläufe (40%) über ein Jahr und länger dokumentiert werden. Bei 40% wurde die Therapie
wegen Ineffektivität und bei 20% aus anderen Gründen vorzeitig beendet.5 Zuverlässige Kriterien zur Erkennung von Respondern vor
Beginn der Behandlung mit Interferon-gamma fehlen.16
Bei den Respondern bessert sich das klinische Beschwerdebild, Ruhe-, Morgen- und Bewegungsschmerz sowie Gelenkschwellungen nehmen ab,8 jedoch
gegenüber Plazebo nicht immer statistisch signifikant.9,10 Wohlbefinden und Mobilität der Responder erhöhen sich. Laborparameter wie
Blutsenkungsgeschwindigkeit, Anämie, Leukozytose und Thrombozytose bessern sich.11 Eine hohe Rate von spontanen Besserungen (11 von 39
[28%] Patienten der Plazebogruppe8) deutet darauf, daß die oben genannten Eingangskriterien für die Therapie mit Interferon-gamma nicht immer
eingehalten wurden. In einigen Fällen erhöht sich der Titer der antinukleären Antikörper (ANA), oder antinukleäre Antikörper treten
erstmalig auf. Dies geht mit einer klinischen Verschlechterung der pcP einher (Wirkungsumkehr).12
Gegenwärtig wird die Anwendung von Interferon bei der systemischen, juvenilen Polyarthritis in klinischen Studien überprüft,7 ferner bei
Psoriasis arthropathica, progressiver systemischer Sklerodermie sowie M. BEHCET.
DOSIERUNG: In der ersten bis dritten Woche empfiehlt der Hersteller die subkutane Gabe von 50 mg POLYFERON fünfmal pro Woche. In der vierten
und sechsten Woche die dreimalige und in der siebten bis neunten Woche die zweimalige Gabe. Nach neun Wochen wird bei einem Ansprechen auf die Therapie
eine Erhaltungsdosis von 20 mg und später von 10 mg pro Woche empfohlen. Ob dieses Dosisregime optimal ist, bleibt zu klären. Eine ambulante
Behandlung ist aufgrund der subkutanen Gabe möglich.
KOSTEN: Bei 1261,48 DM für fünf Flaschen POLYFERON zu je 50 mg müssen für einen dreimonatigen Behandlungszyklus über
8000,- DM aufgewendet werden.
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN sind häufig (20-40%), jedoch offensichtlich selten bedrohlich und bei Dosisreduktion reversibel. Es tritt das
typische Syndrom einer immunallergischen Erkrankung in Form des grippeähnlichen Syndroms mit Fieber, Abgeschlagenheit, Schwitzen, Bronchitis, Glieder-,
Muskel-, Gelenk- und Kopfschmerzen bei mindestens 10% der Patienten auf, mitunter begleitet von Lymphopenie, Leukopenie und erhöhten
Leberwerten.13,15 Diese können Therapieabbruch erzwingen. Wichtig ist, daß bei Auftreten dieser Symptome nach Spätfolgen im Sinne
einer lupus-ähnlichen Erkrankung gesucht werden muß und daß akut schwere Verläufe im Sinne einer Vaskulitis auftreten
können.
KONTRAINDIKATIONEN bestehen bei Autoimmunerkrankungen (Lupus erythematodes, Dermatomyositis), Herzerkrankungen (Angina pectoris,
Myokardinfarkt, KHK, Herzfehler), während der Schwangerschaft und Stillzeit, bei Erkrankungen von Leber, Nieren und Knochenmark sowie nach einer
Transplantation.
FAZIT: Der Erfahrungshorizont für die Behandlung der diagnostisch gesicherten und sonst therapierefraktären pcP mit Interferon-gamma
(POLYFERON) ist bislang gering. Die therapeutischen Ergebnisse erscheinen im Vergleich zu Plazebo mager.6 Bei Respondern bessern sich zwar klinische
Beschwerden und Entzündungsparameter wie BSG und Leukozytose, doch steht der Beleg der langfristigen Beschwerdebesserung aus. Aufgrund der bisher
beschriebenen nur geringfügigen Besserung, den gravierenden Risiken der Auslösung einer Immunerkrankung sowie der hohen Therapiekosten
(über 8000,- DM pro Behandlungszyklus) erscheint die Nutzen/Risiko/ Kostenabwägung für diese Therapieform problematisch und die Anwendung
nur in extremen Sonderfällen gerechtfertigt.
Die Risiken der Langzeitanwendung (Induktion von Autoimmunprozessen) bleiben aufgrund des relativ kurzen Erkenntniszeitraums offen.
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