Seit April 2007 ist mit Sitagliptin (JANUVIA) ein neues orales Antidiabetikum
auf dem Markt, das wie das subkutan anzuwendende Exenatide (BYETTA; a-t 2007; 38: 43-5) in das Inkretinhormonsystem eingreift. Anders als das Hormonanalogon Exenatide hemmt Sitagliptin
den Abbau körpereigener Inkretine. Sitagliptin ist ausschließlich als Zusatz zu Metformin (GLUCOPHAGE u.a.) oder einem Glitazon wie Pioglitazon
(ACTOS) zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen, wenn Diät und Bewegung zusammen mit der jeweiligen Monotherapie den Blutzucker nicht
ausreichend senken.1
EIGENSCHAFTEN: Inkretine werden physiologischerweise nach der Nahrungsaufnahme vermehrt freigesetzt. Sie fördern einerseits
Synthese und Ausschüttung von Insulin und behindern andererseits die Freisetzung von Glukagon. Durch Hemmung der Dipeptidylpeptidase IV (DPP-IV) wird
der Abbau von Inkretinhormonen wie Glucagon-like Peptid 1 (GLP-1) und Glucose-dependent Insulinotropic Peptid (GIP) zu inaktiven Produkten gehemmt. Die
Auswirkungen von Sitagliptin auf den Blutzuckerspiegel scheinen von dessen Ausgangswerten abzuhängen: Bei Gesunden ist kein Einfluss auf die
Blutzuckerwerte messbar.2
KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Fünf randomisierte kontrollierte Phase-III-Studien3-7 werden von der europäischen
Zulassungsbehörde (EMEA) berücksichtigt. Die jetzt zugelassene Anwendung als Zusatzbehandlung wird in zwei Studien im Plazebovergleich
geprüft. Die HbA1c-Werte der durchschnittlich 56 bis 57 Jahre alten Patienten liegen in diesen Untersuchungen unter Therapie mit Metformin5 oder
Pioglitazon6 zu Beginn zwischen 7% und 10%. Unter der zusätzlichen Behandlung mit dem DPP-IV-Hemmer sind die HbA1c-Werte (primärer Endpunkt)
nach 24 Wochen 0,6% bis 0,7% niedriger als unter Plazebo. Unter Behandlung mit Sulfonylharnstoffen oder Metformin ist üblicherweise eine Senkung des
HbA1c um 1% bis 1,5% zu erwarten.
Aus einem einjährigen direkten Vergleich mit dem Sulfonylharnstoff Glipizid (in Deutschland außer Handel) jeweils zusätzlich zu einer Basisbehandlung
mit Metformin leiten die Autoren "Nichtunterlegenheit" des DPP-IV-Hemmers im Vergleich zum Sulfonylharnstoff ab.7 Dieser Schluss ist jedoch
wenig untermauert: Zwar sinken in beiden Gruppen die HbA1c-Werte um 0,7%. Ungefähr ein Drittel der Studienteilnehmer bricht jedoch die Teilnahme vorzeitig
ab, unter Sitagliptin deutlich mehr wegen mangelnder Wirksamkeit (15% versus 10%). Zudem ist in der Kontrollgruppe die Dosierung von Glipizid nicht optimal
ausgereizt. Die im Studiendesign vorgesehene Kombination aus Metformin plus Sulfonylharnstoff erachten wir als bedenklich (vgl. Seite
62).
Anders als bei Exenatide sinkt unter Sitagliptin das Körpergewicht nicht. Klinische Endpunkte sind nicht geprüft, die Relevanz des geringen
Blutzuckerabfalls ist daher nicht beurteilbar. Die Qualität der Studienberichte ist mangelhaft: Informationen zu Randomisierungs- und Verblindungsverfahren
werden nicht mitgeteilt, die Angaben zu den Basischarakteristika der Patienten sind zum Teil ungenügend. Verzerrungen können daher nicht
ausgeschlossen werden.
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Gastrointestinale Störungen, Infektionen, Beschwerden im Bewegungsapparat und Hauterkrankungen
sind in plazebokontrollierten Studien unter 100 mg Sitagliptin häufiger als bei den Kontrollpatienten. Übelkeit (2,5% versus 2,2%) und Erbrechen (1,4% vs.
0,9%) treten häufiger auf als unter Plazebo, aber im indirekten Vergleich seltener als unter Exenatide (a-t 2007; 38: 43
-5). Bei Komedikation mit Pioglitazon nimmt die Häufigkeit peripherer Ödeme zu (4,0% vs. 2,8%), was auf eine Verstärkung der
kardiovaskulären Toxizität des Glitazons (siehe Seite 61) hinweisen könnte.
Unterzuckerungen sind mit 1% bis 1,5% unter Sitagliptin seltener als unter Glipizid (30%). Ob sich wie bei Exenatide Hypoglykämien bei gleichzeitiger
Anwendung mit Insulin oder Sulfonylharnstoffen häufen, ist nicht bekannt.
In einer Studie mit 65 Patienten, die an Niereninsuffizienz leiden, sterben fünf während der Behandlung unter Sitagliptin, vier von ihnen aufgrund kardialer
Ereignisse. In der mit Plazebo beziehungsweise Glipizid behandelten Kontrollgruppe tritt nur ein Todesfall auf.7 Bereits eine mäßige
Niereninsuffizienz (glomeruläre Filtrationsrate unter 50 ml/min) gilt für Sitagliptin als Kontraindikation.
Ungeklärt sind die langfristigen Auswirkungen der Hemmung der Dipeptidylpeptidase IV, die nicht nur Inkretine abbaut, sondern auch am Stoffwechsel
immunologisch wirksamer Proteine beteiligt ist. In einem Editorial zur Einführung von Sitagliptin in den USA wird Kritik an der Zulassung ohne publizierte
Langzeitdaten geübt und das Potenzial für "unerwartete Konsequenzen" als hoch eingeschätzt.8
KOSTEN: Die zusätzliche Verordnung von täglich 100 mg Sitagliptin (JANUVIA, 66 (/Monat) verteuert die Therapiekosten gegenüber
Metformin allein (METFORMIN AL u.a.; 7 €/Monat, bei täglich 1.700 mg) um das Neunfache. Sitagliptin ist etwa 2,5fach teurer als humanes Mischinsulin
(30/70; HUMINSULIN PROFIL III; 26 €/Monat bei 25 I.E./Tag) und halb so teuer wie das Inkretinmimetikum Exenatide (BYETTA; 125 €/Monat, bei 2 x
tgl. 10 µg).
Das seit April 2007 erhältliche orale Antidiabetikum Sitagliptin (JANUVIA) zur Behandlung des Typ-2-Diabetes ist ausschließlich als Zusatz zu
Metformin (GLUCOPHAGE u.a.) oder einem Glitazon zugelassen.
Der Hemmstoff der Dipeptidylpeptidase (DPP) IV senkt als Zusatz das HbA1c im
Vergleich zu Plazebo um 0,6% bis 0,8%. Es scheint damit wirkschwächer als Sulfonylharnstoffe oder Metformin zu sein. Ob der Effekt klinisch relevant ist, bleibt
mangels Daten unklar.
Der Hemmstoff der Dipeptidylpeptidase (DPP) IV senkt als Zusatz das HbA1c im
Vergleich zu Plazebo um 0,6% bis 0,8%. Es scheint damit wirkschwächer als Sulfonylharnstoffe oder Metformin zu sein. Ob der Effekt klinisch relevant ist, bleibt
mangels Daten unklar.
Risikosignale ergeben sich aufgrund der potenziellen Steigerung der
kardiovaskulären Toxizität von Pioglitazon und erhöhter Mortalität bei Nierenfunktionseinschränkung.
Die Konsequenzen einer langjährigen Hemmung des Enzyms DPP-IV, das
auch beim Abbau immunologisch wirksamer Proteine eine Rolle spielt, sind unbekannt.
Ein therapeutischer Stellenwert des wirkschwachen Antidiabetikums ist nicht
erkennbar.
| | (R=
randomisierte Studie)
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1 |
Lilly: Fachinformation BYETTA, Stand Nov. 2006 |
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2 |
EMEA: Europäischer Bewertungsbericht JANUVIA, Stand 26. März
2007 |
R |
3 |
ASCHNER, P. et al.: Diabetes Care 2006; 29: 2632-7
|
R |
4 |
RAZ, I. et al.: Diabetologica 2006; 49: 2564-71 |
R |
5 |
CHARBONNEL, B. et al.: Diabetes Care 2006; 29: 2638-43 |
R |
6 |
ROSENSTOCK, J. et al.: Clin. Ther. 2006; 28: 1556-68 |
R |
7 |
NAUCK, M.A. et al.: Diabetes Obes. Metab. 2007; 9: 194-205 |
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8 |
NATHAN, D.M.: N. Engl. J. Med. 2007; 356: 437-40 |
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