Der Neuraminidasehemmer Oseltamivir (TAMIFLU) gilt als wichtigstes Mittel in
der Frühphase einer Influenza-Pandemie, bis ein wirksamer Impfstoff hergestellt und in ausreichender Menge verfügbar ist (a-t 2005; 36: 62-3). Daten zum Nutzen von Oseltamivir bei einer Pandemie gibt es nicht, ebensowenig kontrollierte
klinische Studien mit Personen, die an "Vogelgrippe" erkrankt sind, also einer durch aviäre Viren (in erster Linie H5N1) hervorgerufenen Influenza
A.1 Zumindest in vitro und im Tiermodell lässt sich aber ein Effekt nachweisen.1,2 Ob die für humane Influenzaviren geprüfte Dosis
und Anwendungsdauer des Neuraminidasehemmers für die Behandlung der "Vogelgrippe" ausreicht, ist unbekannt, wird aber vielfach
bezweifelt.2,3 Daten aus Tierversuchen weisen zudem darauf hin, dass zur Erzielung gleicher antiviraler Effekte und Überlebensraten bei einem 2004
isolierten H5N1-Stamm eine deutlich höhere Oseltamivir-Dosis über einen längeren Zeitraum (8 vs. 5 Tage) erforderlich ist als bei einem Stamm von
1997.2
Aus Vietnam wird jetzt über zwei Patientinnen mit tödlich verlaufener H5N1-Influenza berichtet, bei denen unter der Einnahme von Oseltamivir in
üblicher therapeutischer Dosis (2 x täglich 75 mg) eine Mutation der viralen Neuraminidase (H274Y) festgestellt wird, die mit hochgradiger Resistenz gegen
den Neuraminidasehemmer einhergeht.4 Diese Mutation wurde bereits bei mehreren an "Vogelgrippe" erkrankten Patienten entdeckt, die mit
Oseltamivir behandelt wurden2 oder das Mittel in prophylaktischer Dosierung (1 x täglich 75 mg) eingenommen hatten.5
Die Entdeckung Oseltamivir-resistenter "Vogelgrippe"-Viren kommt nicht überraschend: Auch bei humanen Influenzaviren sind Resistenzen
beschrieben, die sich unter anderem auf die jetzt bei H5N1 beobachtete Mutation zurückführen lassen.6 In klinischen Studien entwickeln 0,4%
der Erwachsenen und 4% der Kinder resistente Viren (a-t 2002; 33: 98-100). In zwei Untersuchungen an japanischen
Kindern lassen sich diese sogar bei 18% bzw. 16% nachweisen (a-t 2004; 35: 97).3,6 Ob dafür die in
Japan für Kinder empfohlene Dosis von 2 x täglich 2 mg/kg Körpergewicht6 (mit)verantwortlich ist, die im Einzelfall unter der in Europa und
den USA zugelassenen Dosis liegen kann, bleibt offen.
Soweit untersucht, gehen die bislang beobachteten Mutationen der viralen Neuraminidase humaner Influenzaviren zumeist mit geringer Infektiosität,
Übertragbarkeit und/oder Pathogenität der Viren einher. Es werden aber auch Varianten beobachtet, die sich tierexperimentell diesbezüglich nicht
von Stämmen ohne Mutation unterscheiden und eine Verbreitung Oseltamivir-resistenter Stämme auch bei Menschen möglich erscheinen
lassen.2,3 Tatsächlich wurden in Japan kürzlich bei 3 von 1.200 Isolaten grippekranker Patienten ohne anamnestisch bekannte Exposition
gegenüber Neuraminidasehemmern resistente Viren festgestellt. Daten zur Übertragbarkeit resistenter H5N1-Influenzaviren bei Menschen fehlen
bislang.3
Strukturanalysen der Neuraminidasehemmer sollen bereits vor Jahren Vorhersagen ermöglicht haben, nach denen die chemische Struktur des per os gut
bioverfügbaren Oseltamivir die Ausbildung von Mutationen begünstigt, die die Funktion der viralen Neuraminidase nicht beeinträchtigen und daher
die Entstehung ausbreitungsfähiger Viren ermöglichen.3 Dagegen bleibt das nur inhalativ verfügbare Zanamivir (RELENZA) bei den meisten
der bislang beobachteten Mutationen in vitro und zum Teil auch nach tierexperimentellen Daten wirksam.3,5 Einige Experten fordern daher, neben
Oseltamivir verstärkt auch Zanamivir bei der Planung für den Fall einer Pandemie zu berücksichtigen.5,7 Bei Menschen mit H5N1 ist
Zanamivir allerdings nicht untersucht.2 Bei Mäusen, die mit dem 1997 in Hongkong zirkulierenden H5N1-Stamm infiziert wurden, senkt intranasal
verabreichtes Zanamivir Morbidität und Mortalität.1 In Versuchen mit Hühnern versagt es jedoch bei den meisten der untersuchten hoch
pathogenen Viren trotz nachgewiesener Empfindlichkeit in vitro. Diese Diskrepanz könnte auf Virusvermehrung außerhalb des Respirationstraktes
zurückzuführen sein - inhaliertes Zanamivir ist aber nur dort verfügbar.1 Auch bei H5N1-infizierten Patienten sprechen die Häufigkeit
von Durchfall und der Nachweis von infektiösem Virus im Stuhl für eine mögliche Vermehrung im Magen-Darm-Trakt.2
Der Oseltamivir-Hersteller Roche sieht inzwischen ebenfalls die Notwendigkeit, andere Regime zur Behandlung von H5N1 zu untersuchen, einschließlich
höherer Dosis und/oder längerer Anwendungsdauer sowie der Kombination mehrerer antiviraler Mittel.8 Einer Ausbreitung resistenter Viren kann
aber auch die private Bevorratung mit Oseltamivir durch die Bevölkerung Vorschub leisten: Sie steigert die Gefahr, dass der Neuraminidasehemmer auch bei
nicht durch Influenza-Viren hervorgerufenen Infekten, in unzureichender Dosis oder zu kurz eingenommen wird, etwa weil die Anwendung nach Besserung der
Beschwerden frühzeitig beendet wird oder persönliche Vorräte während einer Pandemie mit anderen geteilt werden. Von einer
"präventiven" Verordnung von Oseltamivir ist daher dringend abzuraten.3
Der Neuraminidasehemmer Oseltamivir (TAMIFLU) gilt als wichtigstes Mittel in der Frühphase einer Influenza-Pandemie.
Kontrollierte klinische Studien mit Personen, die an einer Infektion mit
"Vogelgrippe"-Viren wie H5N1, dem derzeit wahrscheinlichsten Auslöser einer Pandemie, erkrankt sind, gibt es jedoch nicht.
Optimale Dosis und Anwendungsdauer von Oseltamivir bei "Vogelgrippe"
sind unbekannt.
Tierexperimentelle Daten weisen ebenso wie Berichte über
Resistenzentwicklung auf die Notwendigkeit hin, andere Behandlungsregime und andere antivirale Mittel sowie Kombinationen mehrerer Substanzen zu
erproben.
Auch die Eigenbevorratung mit Oseltamivir steigert die Gefahr von
Resistenzentwicklungen. Von einer "präventiven" Verordnung des Neuraminidasehemmers ist daher dringend abzuraten.
| 1 | EMEA: Review on influenza antiviral
medicinal products for potential use during pandemic, Stand 27. Okt. 2005 |
| 2 | WHO Writing Committee: N. Engl. J. Med.
2005; 353: 1374-85 |
| 3 | MOSCONA, A.: N. Engl. J. Med. 2005;
353: 2633-6 |
| 4 | DE JONG M.D. et al.: N. Engl. J. Med.
2005; 353: 2667-72 |
| 5 | LE, Q.M. et al.: Nature 2005; 437:
1108 |
| 6 | WARD, P. et al.: J. Antimicrob. Chemother.
2005; 55 (Suppl. S1): i5-i21 |
| 7 | Scrip 2005; Nr. 3099: 26 |
| 8 | PARRY, J.: BMJ 2006; 332:
5 |
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