Seit Jahren gilt die Kombination von Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) plus Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX) oder Ticlopidin (TIKLYD u.a.)
über zwei bis vier Wochen mit anschließender Langzeiteinnahme von ASS als Standard nach perkutaner koronarer Intervention (Angioplastie mit oder
ohne Stent).1 Mit Verweis auf die PCI-CURE*2- und die CREDO*3-Studie (a-t 2001; 32: 91-2
und 2002; 33: 124-5) wird jetzt zunehmend die neun- bis zwölfmonatige Einnahme von Clopidogrel propagiert.
Tatsächlich sind solche Empfehlungen auch in aktuelle Leitlinien aufgenommen worden.4-6 Unseres Erachtens reichen die Daten der beiden Studien
aber nicht aus, um eine solche Verlängerung der risikoreichen Therapie mit Clopidogrel zu begründen:
An der PCI-CURE-Studie nehmen 2.658 Patienten mit akutem Koronarsyndrom und erhöhtem Infarktrisiko teil. Sie erhalten zusätzlich zu ASS
initial eine "loading-dose" von 300 mg und dann sechs bis zehn Tage lang bis zur Koronarintervention täglich 75 mg Clopidogrel oder jeweils
Plazebo. Nach dem Eingriff nehmen die Patienten beider Gruppen zwei bis vier Wochen lang täglich 75 mg Clopidogrel ein, dann im Mittel bis zum achten
Monat nach der Intervention wieder Clopidogrel oder Plazebo gemäß ihrer anfänglichen Zuteilung. Primärer Endpunkt ist die Kombination von
Tod aus kardiovaskulärer Ursache, Infarkt oder dringlicher Revaskularisation des Zielgefäßes innerhalb von 30 Tagen nach dem Eingriff. Er tritt in der
Verumgruppe signifikant seltener ein (4,5% vs. 6,4%; relatives Risiko [RR] 0,70; 95% Vertrauensbereich [CI] 0,50 bis 0,97), in erster Linie durch Reduktion der
Infarktrate (2,1% vs. 3,8%; RR 0,56; 95% CI 0,35 bis 0,89). Schon vor dem Eingriff, und damit durch die Vorbehandlung, werden Infarktrate (3,6% vs. 5,1%) sowie ein
kombinierter Endpunkt aus Infarkten plus refraktären Ischämien (12,1% vs. 15,3%) signifikant vermindert. Zwischen Tag 30 nach der Koronarintervention
und dem Ende der Studie bleibt der kombinierte Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod und Infarkten unbeeinflusst (3,1% vs. 3,9%; RR 0,79; 95% CI 0,53 bis
1,20). Die Studie belegt also den Nutzen der "loading-dose" und der Vorbehandlung mit Clopidogrel. Dass die Ereignisrate auch in den 30 Tagen nach
dem Eingriff weiter abnimmt, obwohl hier beide Gruppen Verum erhalten, kann für einen prolongierten Effekt der Initialtherapie sprechen. Die Studie bietet aber
keine Belege dafür, dass durch die Weiterführung der Behandlung mit Clopidogrel über den Tag 30 nach Koronareingriff hinaus zusätzliche
Ereignisse verhindert werden.
In die CREDO-Studie werden 2.116 Patienten aufgenommen, die wegen instabiler Angina pectoris (53%), kurz zurückliegenden Infarkts (14%) oder
stabiler Angina pectoris (33%) zur Koronarintervention eingewiesen werden. Basistherapie für alle Patienten während der gesamten Studie ist ASS. 3 bis 24
Stunden vor dem Eingriff erhalten sie zusätzlich 300 mg Clopidogrel als "loading-dose" oder Plazebo. Nach dem Eingriff nehmen alle Patienten vier
Wochen lang täglich 75 mg Clopidogrel ein. Anschließend werden sie bis zu einem Jahr nach der Intervention mit täglich 75 mg Clopidogrel oder
Plazebo entsprechend der ursprünglichen Zuteilung weiter behandelt. Primärer Endpunkt ist die Kombination aus Tod, Infarkt oder Insult bis 12 Monate
nach dem Koronareingriff. Er ist in der Verumgruppe signifikant geringer (8,5% vs. 11,5%; relative Risikoreduktion [RRR] 26,9%; 95% CI 3,9% bis 44,4%).
Sekundäre Endpunkte wie Todesfälle (1,7% vs. 2,3%), Insulte (0,9% vs. 0,9%) und koronare Revaskularisationen (21,3% vs. 21,0%) werden nicht
signifikant beeinflusst. Für das Zeitintervall vom Koronareingriff bis zum Tag 28 (Ende der Einnahme von Clopidogrel für alle) und vom Tag 29 bis zum
Studienende nach einem Jahr gibt es keine prädefinierten Analysen des primären Endpunktes. Nachträglich ausgewertet soll der primäre
Endpunkt im ersten Monat relativ um 19,7% und in den folgenden 11 Monaten um 37,4% seltener eintreten. Weitere Angaben, um diese Berechnungen
nachzuvollziehen, fehlen aber in der Publikation.
FOLGERUNGEN: Die entscheidende Frage, ob eine Verlängerung der Therapie mit Clopidogrel nach Koronarintervention über den Standard von
vier Wochen hinaus einen zusätzlichen Nutzen bringt, wird in den beiden als Beleg herangezogenen Studien PCI-CURE und CREDO durch das Design mit der
Fragestellung nach dem Wert einer "loading-dose" bzw. Vorbehandlung mit Clopidogrel verkoppelt. Eine valide Auskunft über den Nutzen der
verlängerten Therapie lässt sich den Studien daher nicht entnehmen. Die Ergebnisse von PCI-CURE sprechen dabei eher gegen den Nutzen der
Weiterbehandlung. Zur weiteren Klärung wären in CREDO zumindest prädefinierte Analysen des primären Endpunkts für die Zeitspanne
von Tag 29 (Ende der Therapie aller Patienten mit Clopidogrel gemäß Standard) bis zum Studienende notwendig gewesen. Ein Beweis könnte
unseres Erachtens allerdings nur mit einem Studiendesign geführt werden, das eine Randomisierung zwischen Clopidogrel und Plazebo erst nach
standardisierter Behandlung aller Patienten mit der Kombination über vier Wochen vorsieht. Nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten halten wir
eine solche Studie für zwingend geboten. So nehmen relevante ("major") Blutungen unter der Kombination ASS plus Clopidogrel zeitabhängig
zu, z.B. in CREDO um 2,1% innerhalb von zwölf Monaten (6,7% vs. 8,8%, p=0,07). Eine Zunahme schwerer Blutungen unter ASS plus Clopidogrel ist auch aus
anderen Studien bekannt (vgl. a-t 2004; 35: 62 und 85).7,8 Die
Beweislast für den Nutzen einer verlängerten Einnahme von Clopidogrel nach koronaren Stents liegt klar auf der Seite derer, die eine solche Behandlung
propagieren. Wir meinen, dass die Empfehlungen in den zitierten Leitlinien auf unzureichender Evidenz basieren, und können sie daher nicht unterstützen.
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