Nach einer Gesundheitssendung haben sich mehrere Kunden nach der höheren Krebsinzidenz bei der Anwendung neuer Insuline
erkundigt (HUMALOG, LANTUS). Kennen Sie Studien oder haben Sie Informationen über diese Nebenwirkung?
P. SEEMANN (Apotheker)
D-12205 Berlin
Interessenkonflikt: keiner
Insulinanaloga stehen seit langem im Verdacht, das Zellwachstum, auch das von Krebszellen, zu fördern (a-t
2000; 31: 108). Bei dem bereits in Humanversuchen verwendeten Kunstinsulin B10Asp wurden weitere Studien abgebrochen, da bei Ratten gehäuft
Brustkrebs aufgetreten war.1 Als Ursache für das mitogene und möglicherweise auch kanzerogene Potenzial von Insulinanaloga gilt ihre
strukturelle Ähnlichkeit mit dem Insulin-like growth factor (IGF-1), einem starken Mitogen und Kanzerogen. IGF-1 fördert das Wachstum von Mamma-,
Prostata- und Kolonkarzinomen.2 Die EMEA hat 2001 eine genauere präklinische Prüfung des kanzerogenen Potenzials von Insulinanaloga
empfohlen. Danach sollen neben Tierversuchen auch Untersuchungen an Krebszellen durchgeführt werden.3 In welchem Umfang derartige Versuche
erfolgen, ist unklar. Nur wenige Berichte liegen vor.
Novo-Nordisk legt Untersuchungen zur Mitogenität verschiedener Insulinderivate an Osteosarkomzellen vor.4 Für das firmeneigene langwirkende
Insulinderivat Detemir (LEVEMIR [Schweiz], Zulassung in EU steht bevor) wird keine gesteigerte Mitogenität ermittelt, wohl aber für das Aventis-Produkt
Glargin (LANTUS). An Herzmuskelzellen von Ratten erhöht das noch nicht zugelassene Insulinderivat Glulisin die Zellteilungsrate.5 In einer weiteren
Untersuchung findet sich ein hemmender Einfluss auf die Absterberate (Apoptose) von Ratten-Insulinomzellen unter Glulisin und Lispro (HUMALOG).6 Der
von den Autoren als β-Zell-protektive Eigenschaft interpretierte Befund gilt aber möglicherweise auch für Krebszellen.
In veröffentlichten Tierversuchen wurden Lispro und Glargin auf Kanzerogenität getestet. Diese Studien reichen als Sicherheitsbelege nicht aus: So ist die
Untersuchung mit Lispro an Rattenstämmen durchgeführt worden, die seltener Brustkrebs entwickeln als jene in den Untersuchungen mit
B10Asp.7 Die Studie mit Glargin wird mit zu niedrigen Dosierungen durchgeführt, dennoch sterben verhältnismäßig viele Tiere vor
Abschluss des Beobachtungszeitraums an Unterzuckerungen, wodurch die Expositionszeit verringert wird. Unter Glargin steigt die Rate an malignen fibrösen
Histiozytomen, einer beim Menschen kaum vorkommenden Tumorart. Maligne Lymphome nehmen unter Glargin bzw. dem Vehikel tendenziell zu.8
Um die Krebssicherheit von Insulinanaloga zu belegen, reichen präklinische Untersuchungen ohnehin nicht aus. Qualitativ hochwertige klinische Langzeit-
Studien sind zu fordern. An die malignen Auswirkungen anderer Hormonderivate sei erinnert: Diethylstilbestrol (STILBEN), Ursache für Zervix- und
Vaginalkarzinome in der Nachfolgegeneration, wurde erst nach 25-jähriger Anwendung zurückgezogen. Die krebsfördernden Auswirkungen der
Hormontherapie im Klimakterium wurden ebenfalls erst nach jahrzehntelangem Gebrauch belegt (vgl. auch Seite 29 und 35).
Die aus experimentellen Arbeiten stammenden Sicherheitsbedenken gegenüber Insulinanaloga sind bislang nicht durch valide präklinische oder
klinische Studien ausgeräumt. Es ergeben sich sogar zusätzliche Verdachtsmomente.
Es liegen für Insulinanaloga keine Endpunktstudien vor, die klinisch relevante Vorteile belegen. Deshalb ist die Anwendung auf klinische Studien zu
beschränken.
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