Die 48-stündige Karenz von Metformin (GLUCOPHAGE u.a.) vor Allgemeinanästhesie wird immer wieder kontrovers diskutiert.
Das Spektrum reicht von den Leitlinien-orientierten Hardlinern bis hin zu der Feststellung, dass die ganze Karenzdiskussion ein historischer Irrtum aus der
Phenformin-Ära sei... Auch in unserem Haus gibt dieses Thema gelegentlich Anlass zu interkollegialen Diskussionen...
Dr. med. W. OERTEL
D-23769 Stadt Fehmarn
Interessenkonflikt: keiner
Aufgrund seiner mortalitätssenkenden Wirksamkeit in der UKPDS-34-Studie (a-t 1998; Nr. 10: 88-90) haben
die Verordnungen des Biguanids Metformin (GLUCOPHAGE u.a.) in Deutschland beträchtlich zugenommen (1996: 119,3 Mio. definierte Tagesdosierungen
[DDD]; 2002: 271,6 Mio. DDD).1 Zunehmend werden daher Anästhesisten bei Narkoseplanungen mit Metformin-vorbehandelten Patienten
konfrontiert.
Als seltene, jedoch potenziell tödlich verlaufende unerwünschte Wirkung des Metformins gilt die Laktatazidose (Häufigkeit: 0,03 /1.000
Patientenjahre, Letalität 50%).2 Begünstigende Faktoren für eine Laktaterhöhung wie z.B. Niereninsuffizienz gelten daher als
Kontraindikation. Der Hinweis in der Fachinformation,3 dass Metformin "48 Stunden vor chirurgischen Eingriffen unter Vollnarkose abgesetzt
werden" sollte, ist allerdings verwirrend. Entscheidend für das Risiko der Laktatazidose ist nicht die Allgemeinanästhesie, sondern die
Möglichkeit einer intraoperativ auftretenden Gewebshypoxie mit Laktaterhöhung. Diese Gefahr besteht auch bei anderen Anästhesieverfahren. Die
US-amerikanische Fachinformation zu GLUCOPHAGE erscheint uns plausibler: Danach muss Metformin bei elektiven Eingriffen abgesetzt werden, bis die Patienten
wieder Nahrung zu sich nehmen können und die Nierenfunktion normal ist. Ausgenommen werden lediglich kleine Eingriffe ohne Unterbrechung der Nahrungs-
und Flüssigkeitszufuhr.4 Auch dem BfArM ist die Widersprüchlichkeit des Warnhinweises mittlerweile aufgefallen: Eine Überarbeitung der
Fachinformation ist offenbar geplant.5
In den letzten Jahren wird der Zusammenhang zwischen Metformin und dem Auftreten einer Laktatazidose zunehmend infrage gestellt.6 Dies wird unter
anderem mit pharmakodynamischen Unterschieden zum Biguanid Phenformin (früher DIPAR u.a.) begründet, das wegen häufiger Laktatazidosen
aus dem Handel gezogen werden musste (a-t 1991; Nr. 3: 32). Zudem korreliert die Höhe der Metformin-Spiegel
nicht mit der Prognose von Patienten mit Laktatazidose. In klinischen Studien mit Metformin mit insgesamt mehr als 12.000
Patienten werden keine Laktatazidosen beschrieben.7 Dies weist aber lediglich darauf hin, dass bei Beachtung der Kontraindikationen und unter
Studienbedingungen das Risiko sehr gering ist.
Gut dokumentierte Einzelberichte stützen jedoch einen ursächlichen Zusammenhang. Vielfach wird die Komplikation durch Missachtung von (unter
Umständen passager auftretenden) Kontraindikationen (oftmals Niereninsuffizienz) begünstigt, aber auch Intoxikationen mit Metformin führen zur
Laktatazidose.8 Die Zahl der in Deutschland gemeldeten Spontanberichte ist mit 20 bzw. 19 in den Jahren 2002 und 20039 gering.
Aufgrund der unzureichenden Meldefrequenz sowie der unspezifischen Symptomatik mit Gefahr der Fehldeutung ist jedoch von einer hohen Dunkelziffer
auszugehen.
Das Biguanid-Antidiabetikum Metformin (GLUCOPHAGE u.a.) sollte unabhängig vom Anästhesieverfahren vor elektiven Eingriffen abgesetzt werden,
wenn eine Gewebshypoxie möglich erscheint.
Die zur Zeit in die Fachinformation aufgenommene Vorschrift ist verwirrend und muss dringend im Sinne der US-amerikanischen Vorschriften präzisiert werden.
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