Seit Ende der 90er Jahre sind mehrere große randomisierte Interventionsstudien erschienen, in denen Kalziumantagonisten - langwirksame
Dihydropyridine und Diltiazem (DILZEM u.a.) - als Erstwahlmittel bei Bluthochdruck mit konventionellen Antihypertensiva verglichen werden.1-4 Sie haben
die Bedenken, die aus kleineren Untersuchungen und Beobachtungsstudien insbesondere gegenüber den kurzwirksamen Dihydropyridinen erwachsen sind,
nur zum Teil bestätigt. Kalziumantagonisten bleiben aber insgesamt den konventionellen Hochdruckmitteln unterlegen. Sie scheinen schlechter vor kardialen
Folgeerkrankungen des Bluthochdrucks zu schützen (a-t 1999; Nr. 12: 127; a-t 2000; 31: 73-4 und a-t 2003; 34: 1-2). Abgeschlossene
Endpunktstudien zur Hochdrucktherapie mit Verapamil (ISOPTIN u.a.; vgl. a-t 2003; 34: 41-2) gibt es bisher
nicht.
Bei koronarer Herzkrankheit lindern Kalziumantagonisten pektanginöse Beschwerden - nach einer Metaanalyse aber tendenziell schlechter als
Betablocker.5 Anders als für Betablocker wie Metoprolol (BELOC u.a.) ist für Kalziumantagonisten in der Sekundärprävention nach
Herzinfarkt kein mortalitätssenkender Nutzen belegt. Betroffene Patienten ohne gleichzeitige Herzinsuffizienz scheinen von herzfrequenzsenkenden
Kalziumantagonisten wie Verapamil geringfügig zu profitieren.6 Nach Herzinfarkt mit Zeichen der Herzinsuffizienz ist unter Diltiazem aber Zunahme
kardialer Komplikationen beschrieben.7
Die INVEST*-Studie8 vergleicht jetzt ein Verapamil-gestütztes Therapieregime (anfangs täglich 240 mg Retard) mit einem Regime auf
Atenolol (TENORMIN u.a.)-Basis (anfangs 50 mg/Tag) bei 22.576 mindestens 50 Jahre alten Patienten mit Hypertonie und Zeichen einer klinisch
stabilen koronaren Herzkrankheit. 32% haben einen Herzinfarkt in der Vorgeschichte. Bei unzureichender Blutdrucksenkung (Stufe 2) erhält die
Verapamilgruppe zusätzlich täglich 2 mg des ACE-Hemmers Trandolapril (GOPTEN, UDRIK), die Atenololgruppe zusätzlich täglich 25 mg
Hydrochlorothiazid (ESIDRIX u.a.). Auf der dritten Stufe wird die Dosierung gesteigert, auf der vierten jeweils das Kombinationspräparat der anderen Gruppe
zugesetzt. Auf der fünften Stufe können neben der Steigerung bis zur jeweils maximal verträglichen Dosis Nicht-Studien-Hochdruckmittel
ergänzt werden. Trandolapril wird unabhängig von der Gruppenzuteilung für alle Patienten mit Herzinsuffizienz (6%), Diabetes (28%) oder
Niereninsuffizienz (2%) empfohlen.8
Die INVEST-Studie ist als unverblindete Äquivalenzstudie angelegt. Sie wird vom Trandolapril-Hersteller Abbott finanziert, der jetzt auch die
Trandolapril-Verapamil-Fixkombination TARKA anbietet. Primäres Zielkriterium ist ein erstes schweres kardiovaskuläres Ereignis (nicht tödlicher
Herzinfarkt oder Schlaganfall) oder Tod.8
Zwei Jahre nach Studienbeginn nehmen im Verapamil-Arm 82%, im Atenolol-Arm 78% ihre Erstwahlmittel ein. Das "Cross over" bei den Mitteln der
zweiten Stufe ist hoch.
Die Mehrzahl der Patienten in beiden Gruppen (60% bis 80%) nimmt Trandolapril oder einen anderen ACE-Hemmer sowie Hydrochlorothiazid oder ein anderes
Diuretikum ein. Die mittleren Blutdruckwerte unterscheiden sich nicht. Die Herzfrequenz sinkt unter Betablocker jedoch signifikant stärker als
unter dem Kalziumantagonisten mit symptomatischer Bradykardie bei 1,5% versus 0,7%. Hinsichtlich des primären Endpunkts ergibt sich nach
durchschnittlich 2,7 Jahren mit 9,9% unter Verapamil im Vergleich zu 10,2% unter Atenolol kein signifikanter Unterschied (relatives Risiko [RR] 0,98; 95%
Vertrauensintervall [CI] 0,90 bis 1,06). Im Verapamilarm sterben insgesamt 7,8% der Patienten im Vergleich zu 7,9% unter Atenolol. Die beiden Therapiestrategien
unterscheiden sich auch im Hinblick auf weitere sekundäre Endpunkte sowie in Subgruppenanalysen nicht voneinander. Ausnahme sind Patienten mit
Herzinsuffizienz. Hier ergibt sich ein signifikanter Vorteil des Betablockers.8
Aufgrund der INVEST-Studie sehen wir eine Reserveindikation für Verapamil: Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit und Hypertonie, aber ohne Zeichen
der Herzinsuffizienz, die einen Betablocker z.B. wegen Asthmas nicht vertragen, können auf den Kalziumantagonisten umgestellt werden. Auch für
Patienten mit Betablockerunverträglichkeit wegen Bradykardie kann Verapamil unter Umständen eine Alternative darstellen.
Mittel der Wahl bei Bluthochdruck sind Chlortalidon (HYGROTON) oder Thiaziddiuretika wie Hydrochlorothiazid (ESIDRIX u.a.). Für Patienten mit gleichzeitiger
stabiler Angina pectoris oder Zustand nach Herzinfarkt ist zunächst ein Betarezeptorenblocker angezeigt. Die besten Nutzenbelege für beide Indikationen
liegen für Metoprolol vor. Wie ein Verapamil-gestütztes Therapieregime im Vergleich mit diesem insbesondere in der Langzeit-Sekundärprophylaxe
nach Herzinfarkt besser geprüften Betarezeptorenblocker9 abschneidet, bleibt offen.
Betablocker wie Metoprolol (BELOC u.a.) haben einen dokumentierten morbiditäts- und mortalitätssenkenden Nutzen bei Patienten mit koronarer
Herzkrankheit oder Hypertonie.
Eine antihypertensive Therapie, die auf retardiertem Verapamil (ISOPTIN RETARD u.a.) basiert, scheint sich nach der INVEST-Studie bei Patienten mit koronarer
Herzkrankheit hinsichtlich kardiovaskulärer Komplikationen und Mortalität nicht von einem Regime auf Atenolol (TENORMIN u.a.)-Basis zu unterscheiden.
Überwiegend wird jedoch zusätzlich auch ein ACE-Hemmer und ein Diuretikum gebraucht.
Aufgrund der INVEST-Studie sehen wir für Verapamil eine Reserveindikation zur antihypertensiven Therapie bei koronarer Herzkrankheit, wenn ein Betablocker
gebraucht, aber z.B. wegen Asthmas nicht vertragen wird.
Bei gleichzeitiger Herzinsuffizienz schneidet der Betablocker besser ab. Hier raten wir auch aufgrund von Vorbefunden von Verapamil als Reservemittel ab.
Äquivalenz von Verapamil mit dem besser dokumentierten Metoprolol bei koronarer Herzkrankheit und Hypertonie ist nicht belegt. Metoprolol bleibt Mittel der
Wahl für diese Patienten.
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