Die fraglichen positiven Effekte der "orthomolekularen Medizin" werden derzeit von Verbänden bzw. Vertriebsfirmen in die
Öffentlichkeit gebracht. Gibt es Studien, die einen solchen Effekt belegen können?
NN (Arzt, Name und Anschrift der Redaktion bekannt)
Interessenkonflikt: keiner
Orthomolekulare Medizin soll nach Linus PAULING "durch Veränderung der Konzentration von Substanzen, die normalerweise im Körper
vorhanden und für die Gesundheit verantwortlich sind", heilende Effekte haben. Der inzwischen verstorbene Chemiker und zweifache
Nobelpreisträger* wird als Begründer und - da "mit 92 noch geistig frisch" - als "der beste Beweis für den Erfolg der orthomolekularen
Medizin"1 bezeichnet. Mit der gleichen Berechtigung könnte die Tabakindustrie einen gesunden 90-jährigen Raucher als Beweis für
die Unschädlichkeit von Tabak heranziehen.
Produkte der so genannten orthomolekularen Medizin, beispielsweise der Firma Orthomol, werden als Nahrungsergänzungsmittel oder diätetische
Lebensmittel vertrieben, für die im Gegensatz zu Arzneimitteln keine Prüfung auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Rahmen einer behördlichen
Zulassung erforderlich ist (a-t 2001: 32: 49-50). Sie enthalten Vitamine, Spurenelemente, Fettsäuren, Flavonoide
u.a., teilweise in Mengen, die die empfohlenen Tagesdosierungen um ein Mehrfaches überschreiten. Ihre Verkehrsfähigkeit steht daher unseres Erachtens
in Frage. Auch indikationsbezogene Werbung oder das Nennen von Therapiezielen ist für solche Mittel nicht zulässig.
Klinische Studien, die den Nutzen solcher Mischprodukte belegen, finden wir nicht: Ein im Rahmen der Heart Protection Study (HPS) geprüfter Cocktail aus
hoch dosiertem Vitamin E, Vitamin C und Betakarotin hat keinen Einfluss auf Sterblichkeit, schwere Herzkreislaufkomplikationen und Krebs (a-t 2002; 33: 83-4). In einer kleineren Studie mit 423 Frauen nach den Wechseljahren, die an koronarer Herzkrankheit
leiden, steigern zweimal täglich 500 mg Vitamin C (CEBION u.a.) plus 400 IE Vitamin E (EUSOVIT u.a.) sogar die Sterblichkeit von 2,8% auf 7,6% in knapp drei
Jahren (Number needed to harm [NNH] = 21).2 Vor allem Betakarotin erweist sich als schädlich (a-t
1996; Nr. 3: 30). Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sieht daher jetzt für Betakarotin-haltige Arzneimittel
Einschränkungen vor (siehe Seite 71). Nach einer aktuellen Metaanalyse großer randomisierter Studien erhöht das
Provitamin Gesamtsterblichkeit und kardiovaskuläre Mortalität. Für Vitamin E lässt sich in dieser Untersuchung kein Effekt
nachweisen.3 Täglich 500 mg Vitamin C sollen bei gesunden Personen Erbgutschäden hervorrufen können.4
Angesichts des nicht nachgewiesenen Nutzens sowie der gravierenden Bedenken raten wir von den Produkten der orthomolekularen Medizin ab, -Red.
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