Ein Patient berichtete von einer ihm empfohlenen Therapie mit Botulinumtoxin für seine zweijährige Tochter, welche seit der Geburt unter
einer zerebralen Parese mit beinbetonter Spastik leidet. Den Eltern wurde in Aussicht gestellt, dass mit dieser Therapie (i.m. in die betroffene Muskulatur) das Kind
"normal" laufen lernen könnte. Mir ist unbegreiflich, dass man bei dieser Diagnose den leidgeprüften Eltern solche Hoffnungen macht. Allerdings
sind sie sehr darauf fixiert, diese Behandlung auszuprobieren. Wie lautet Ihre Bewertung?
Dr. med. Gudrun BOLZ
D-63450 Hanau
Die Zulassung von Botulinumtoxin A (BOTOX) zur Therapie der infantilen Zerebralparese basiert auf Ergebnissen aus wenigen kleinen randomisierten Studien.
Die Beobachtungszeiträume reichen bis maximal drei Monate. Die Patienten werden wegen ausgeprägten Spitzfußes behandelt mit dem Ziel, das
Laufen zu erleichtern.
In einer Studie mit 12 Kindern und zwei weiteren randomisierten doppelblinden Untersuchungen mit 40 bzw. 145 Kindern verbessern intramuskuläre Injektionen
von Botulinumtoxin die Beweglichkeit der Gelenke im Vergleich zu Plazebo.1-3 In der größeren Studie mit Firmenbeteiligung bessern sich
Gang und Beweglichkeit signifikant.3 Allerdings stehen Genauigkeit und Reproduzierbarkeit der zur Beurteilung verwendeten Scores in Frage.
Elektrophysiologische Messungen lassen unter Botulinumtoxin einen niedrigeren Muskeltonus der spastischen Wadenmuskulatur erkennen.3 In der jetzt
veröffentlichten Nachfolgestudie mit zum Teil neuen Patienten lässt sich der therapeutische Nutzen nach zwei Jahren trotz Signifikanz nicht beurteilen, da
Kontrollen fehlen und von den anfänglich 207 Kindern lediglich 45 am Schluss untersucht werden.4 In zwei randomisierten Studien mit insgesamt 38
Kindern, in denen Botulinumtoxin und Gipsverband verglichen werden, sind die Injektionen den Behandlungen mit Gips therapeutisch nicht
überlegen.1
Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen, Müdigkeit und Stürze treten bei 12 (17%) von 72 mit Botulinumtoxin behandelten Kindern auf, unter
Plazebo bei 3 (4%) von 73 Kindern.3 In Verbindung mit Gipsverbänden wird häufiger über Schmerzen berichtet als unter Botulinumtoxin.
Zusätzlich treten Hautinfektionen auf.1
Eine "Normalisierung" des Gangbildes kann nach Datenlage nicht erwartet werden. Die Anwendung von Botulinumtoxin A lässt sich in
Verbindung mit der üblichen Therapie (Physiotherapie, Muskelrelaxation, Schienenverbände usw.) rechtfertigen. Wegen der geringen Erkenntnisse sollte
der Einsatz möglichst im Rahmen einer kontrollierten Studie erfolgen. Der Wissensgewinn hilft dann bei künftigen Therapieentscheidungen.
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