Bei akutem Koronarsyndrom...
Antithrombotische Basistherapie beim akuten Koronarsyndrom sind Azetylsalizylsäure (ASPIRIN u.a.) und Heparin (LIQUEMIN N u.a.). Bei Hochrisikopatienten
mit persistierenden Schmerzen, EKG-Veränderungen oder Troponin-Erhöhung u.a. oder bei geplanter Angioplastie empfehlen amerikanische und
europäische Leitlinien zusätzlich Glykoprotein-IIb/IIIa-Blocker.1,2 Die Mittel hemmen einen Rezeptor, dessen Aktivierung die Fibrin-
abhängige Plättchenaggregation einleitet. Eine gesicherte Indikation besteht bei interventionellen Koronareingriffen, mit oder ohne Stent. Wenn keine
Angioplastie vorgenommen wird, ist jedoch nur für die nicht-peptidischen Glykoproteinblocker Tirofiban (AGGRASTAT) und Eptifibatid (INTEGRILIN) ein
gewisser Nutzen belegt: Die Infarktrate wird gesenkt, nicht aber die Mortalität.3
Die jetzt veröffentlichte GUSTO-IV-ACS*-Studie4 prüft den peptidischen Glykoproteinblocker Abciximab (REO- PRO) bei 7.800
stark gefährdeten Patienten mit akutem Koronarsyndrom, die nicht für eine sofortige Angioplastie vorgesehen sind. Die beiden
Interventionsgruppen erhalten zusätzlich zur Standardtherapie 0,25 mg/kg Körpergewicht (KG) Abciximab als Bolus und anschließend 0,125
µg/kg KG/min als Infusion für 24 bzw. 48 Stunden. Sterblichkeit und Infarktrate in den ersten 30 Tagen (primärer Endpunkt) unterscheiden sich mit
8,2% und 9,1% in den Verumgruppen nicht von der in der Plazebogruppe (8%). Die höhere Gesamtdosis des Glykoproteinblockers schneidet tendenziell sogar
schlechter ab. Die Häufigkeit erforderlicher Revaskularisierungen bleibt unbeeinflusst. Auch in Untergruppen und speziell bei besonders gefährdeten
Patienten mit erhöhten Troponin-Werten ist kein Nutzen erkennbar. Blutungen (2,3% vs. 5%) und Thrombopenien (1% vs. 7%) sind vor allem unter der hohen
Dosis häufiger. Als Grund der für Kardiologen überraschenden Ergebnisse werden unzureichende Stratifizierung nach Ausmaß der
Gefährdung sowie falsche Dosierung und Applikationszeit diskutiert.
Eine weitere aktuelle Studie (TARGET**)5 mit 4.800 Patienten vergleicht Abciximab (Bolus plus Infusion über 12 h) mit Tirofiban (Bolus: 10
µg/kg KG, Infusion: 0,15 µg/kg KG/min über 18-24 h) bei Angioplastie mit Stent. Notfalleingriffe werden ausgeschlossen, nicht jedoch
dringliche Indikationen wie akute Koronarsyndrome. Der angestrebte Nachweis der Gleichwertigkeit von Tirofiban mit Abciximab misslingt. Sterblichkeit, Infarktrate
oder Notfallrevaskularisierungen innerhalb von 30 Tagen sind vielmehr insgesamt unter Abciximab signifikant seltener (primärer Endpunkt, 6% vs. 7,6%).
Insbesondere die Infarktrate ist kleiner (5,4% vs. 6,9%). Abciximab schneidet in fast allen Subgruppen besser ab, am deutlichsten bei den 3.000 Patienten mit akutem
Koronarsyndrom. Blutungen (5% vs. 2,7%) und Thrombopenien (2,4% vs. 0,5%) sind zwar häufiger, führen jedoch nicht zu mehr Komplikationen. Auch
diese Ergebnisse kommen überraschend. Als Gründe werden ebenfalls nicht optimale Dosierung und Applikationszeit für Tirofiban diskutiert.
Es bleibt weiterer Klärungsbedarf für den Stellenwert von Glykoproteinblockern beim akuten Koronarsyndrom. Für Patienten mit hohem Risiko und
Angioplastie erscheint derzeit Abciximab (REOPRO) günstiger. Wenn keine Angioplastie vorgesehen ist, dürften Tirofiban (AGGRASTAT) oder Eptifibatid
(INTEGRILIN) zu bevorzugen sein. Bei geringem oder mäßigem Risiko ist die Verwendung von Glykoproteinblockern optional.3,6
... und bei akutem Myokardinfarkt
Die ADMIRAL**-Studie7 mit 300 Patienten bestätigt den Nutzen von Abciximab (Bolus plus Infusion über 12 h) bei Angioplastie mit
Stent im Rahmen eines akuten Myokardinfarkts. Sterblichkeit und Rate der Reinfarkte und Notoperationen sind mit insgesamt 6% innerhalb von 30 Tagen unter
Verum deutlich niedriger als unter Plazebo (14,6%; NNT = 12). Vor allem Notoperationen werden seltener erforderlich. Der Nutzen bleibt im gleichen Ausmaß
über sechs Monate erhalten. Er korreliert mit den im Vergleich zu Plazebo verbesserten angiografischen Flussraten. Blutungen und Thrombopenien kommen
unter Abciximab zwar häufiger vor, die Rate schwerer Blutungen ist mit 0,7% jedoch relativ gering. Wie von den Autoren und im Editorial3
ausgeführt, war die Studie ethisch nur vertretbar, weil der Nutzen von Abciximab bei Stent-Einlagen im Rahmen eines akuten Infarktes bisher nicht
dokumentiert war.
Die GUSTO V-Studie8 vergleicht die Fibrinolyse mit Reteplase (RAPILYSIN) mit einer Kombination von Reteplase in halber Dosis plus
Abciximab (Bolus plus Infusion über 12 h) bei 16.500 Patienten mit akutem Infarkt. Innerhalb von 30 Tagen sterben unter Reteplase plus
Abciximab 5,6% der Patienten, unter Reteplase allein 5,9%. Die Kombination ist demnach hinsichtlich des primären Endpunktes nicht besser als die Fibrinolyse
allein, diesem Schema allerdings auch nicht unterlegen. Vorteile der Kombination deuten sich bei einigen - voneinander abhängigen - sekundären
Endpunkten wie Reinfarktrate oder Häufigkeit koronarer Interventionen an. Blutungskomplikationen kommen jedoch doppelt so häufig vor (25% vs. 14%).
Dies betrifft auch schwere Blutungen mit Transfusionsbedarf oder Kreislaufinstabilität (4,6% vs. 2,3%). Schlaganfälle sind unter beiden Schemata gleich
häufig. Bei über 75-Jährigen verdoppelt sich allerdings die Rate der Hirnblutungen (2,1% vs. 1,1%).
Der Nutzen von Abciximab (REOPRO) bei Angioplastie wird bestätigt, auch wenn diese im Rahmen eines akuten Myokardinfarkts durchgeführt wird.
Die Fibrinolyse nach Infarkt dürfte nach den Daten der GUSTO-V-Studie durch Kombination mit Glykoproteinblockern kaum zu verbessern sein. Im
begleitenden Editorial wird dieser Strategie schon jetzt keine Zukunft mehr eingeräumt.9
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GUSTO = Global Utilisation Study of Streptokinase and TPA for Occluded Coronary Arteries;
ACS = Acute Coronary Syndrome
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ADMIRAL = Abciximab before Direct Angioplasty and Stenting in Myocardial Infarction Regarding Acute and
Long-Term Follow up;
TARGET = Do Tirofiban and REOPRO Give Similar Efficacy Trial
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