"Studie fordert Zugeständnis der Schulmedizin, denn: Mit ISCADOR leben Krebspatienten länger",1 behauptet Weleda,
Hersteller des Mistelextrakts ISCADOR, anlässlich einer aktuellen Veröffentlichung. Ausgewertet werden drei Subgruppen einer Kohortenstudie mit
über 10.000 Krebspatienten, die zwischen 1971 und 1988 für eine andere epidemiologische Studie, in 13 Kliniken und im Heidelberger Institut für
Präventivmedizin rekrutiert wurden.2
Die nähere Betrachtung der Daten ist ernüchternd: In keiner der drei nicht verblindeten Teilstudien wird angegeben, wie lange, welche Dosis und welche
Zubereitungen von ISCADOR verwendet wurden. Es werden jeweils zunächst Paare gebildet, die hinsichtlich Alter, Geschlecht, Zeitpunkt der
Primärdiagnose sowie Art des Tumors (Kolon, Brust u.a.), Stadium, Operation (ja/nein), Chemotherapie (ja/nein) u.a. übereinstimmen sollen. Die mit 396
Paaren größte der Studien, in der jeweils ein "Partner" zu irgend einem Zeitpunkt den Mistelextrakt erhalten hat, eignet sich wegen fehlender
Randomisierung nicht als Nutzenbeleg. Diese lässt sich auch nicht durch eine noch so sorgfältig durchgeführte Paarbildung ersetzen, da die
Randomisierung gerade eine möglichst gleichmäßige Verteilung auch unbekannter Einflussgrößen gewährleisten soll.
In den beiden anderen Teilstudien wird von 49 bzw. 17 Paaren jeweils ein "Partner" ausgelost, den Hausarzt um die Verschreibung von ISCADOR zu
bitten. Von den 49 Paaren gehen jedoch 10 (20%) nicht in die Auswertung ein, weil der Patient den Arzt nicht fragt bzw. dieser den Mistelextrakt nicht verschreibt.
Personen mit geringer Compliance werden somit "aktiv" ausgeschlossen. Dieses Herausfiltern begünstigt einseitig die Interventionsgruppe, so dass
auch diese Teilstudie ohne Aussagekraft bleibt. Von den über 10.000 Teilnehmern bleiben also letztlich die Daten von nur zweimal 17 Frauen mit Brustkrebs
und Lymphknotenmetastasen. Tatsächlich scheint ISCADOR deren mittlere Überlebenszeit zu verdoppeln (4,8 Jahre versus 2,4 Jahre).2 Es bleibt
jedoch offen, ob die beiden Gruppen eingangs tatsächlich vergleichbar waren. Auch fehlt die Angabe des Konfidenzintervalls, das bei so kleinen Studien
besonders groß ist. Der wahre Therapieeffekt lässt sich somit nicht abschätzen. Selbst wenn man von solchen methodischen Mängeln absieht,
reicht eine Studie mit 34 Personen sicher nicht als Nutzenbeleg aus.
Trotz über 70-jähriger Anwendung von Mistelextrakten bei Krebs mangelt es noch immer an methodisch einwandfreien randomisierten Studien, die einen
Nutzen im Sinne von Tumorremission, Lebensverlängerung oder besserer Lebensqualität belegen (a-t 1999; Nr.
9: 94). Qualitativ gute Untersuchungen lassen keinen Vorteil von Mistelpräparaten gegenüber Plazebo erkennen. In der bislang besten Studie an 477
Patienten mit Plattenepithelkarzinom im Kopf- und Halsbereich bleibt ein auf Mistellektin 1 standardisierter Mistelextrakt ohne positiven Einfluss auf die
Überlebenszeit.3
Angesichts möglicher Risiken der "Immunmodulation" durch Mistellektine erscheinen weitere Studien dringend erforderlich: Experimentell ist
für die durch Lektine vermehrt freigesetzten Zytokine, vor allem Interleukin 6, ebenso wie für Mistellektin selbst auch ein
wachstumsfördernder Effekt auf verschiedene Krebszelltypen beschrieben.4,5 Versuche an Ratten mit chemisch induziertem Harnblasenkarzinom
weisen in die selbe Richtung.6,7
Auch klinisch gibt es alarmierende Befunde. ISCADOR beschleunigt möglicherweise den Verlauf einer malignen Erkrankung. In einer soeben auf dem Kongress
der amerikanischen Gesellschaft für klinische Onkologie (ASCO) vorgestellten mehrarmigen prospektiven randomisierten Studie, in der rund 200 Personen mit
fortgeschrittenem malignen Melanom und anderen Hauttumoren ein Jahr lang ISCADOR erhalten und mehr als fünf Jahre lang nachverfolgt werden, entwickeln
Lymphknoten-positive Patienten unter Mistelextrakt deutlich mehr Hirnmetastasen als Patienten der Vergleichsgruppen. Erkrankungsfreies Intervall und
Überlebensdauer nehmen ab.8 Bei einem Mann mit Non-HODGKIN-Lymphom bilden sich im Bereich der Injektionsstellen eines Mistelpräparates
subkutane Lymphomknoten.9 Zudem kann Mistelextrakt einschmelzende Entzündungen von Lymphknoten im Sinne der akuten Sarkoidose
(LÖFGREN-Syndrom) auslösen.10
Angesichts der Datenlage erscheint die Nutzen-Schaden-Abwägung für Mistelpräparate vom Typ ISCADOR negativ. Die breite unkontrollierte
Anwendung von jährlich 43.000 Packungen (45 Millionen DM Apothekenabgabepreis) allein von ISCADOR im ambulanten Bereich steht dem Grundsatz
"primum nil nocere" entgegen. Mistelpräparate erscheinen zu bedenklich für den freien Vertrieb und sollten unseres Erachtens auf die Ebene
der präklinischen Prüfung zurückgestuft werden, -Red.
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