AKUTER HÖRSTURZ UND CHRONISCHER TINNITUS: | ||
Akuter Hörsturz und chronischer Tinnitus sind häufige Erkrankungen im HNO-Bereich. Eine Vielzahl von Arzneimitteln soll Linderung verschaffen. Welche therapeutischen Ansätze versprechen Erfolg? HörsturzEine von 5.000 Personen erkrankt jährlich an akutem Hörsturz, meist im jungen Erwachsenenalter. Dem schlagartig einsetzenden Ereignis
können Vorboten wie Hörschwankungen und Halleffekte vorausgehen. Begleitet wird der meist einseitige Hörverlust häufiger von Schwindel,
Ohrgeräuschen sowie Druck- und Völlegefühl im betroffenen Ohr. TinnitusAls Tinnitus ("Ohrenklingeln") gilt jede Art von zum Teil penetranten Ohrgeräuschen wie Rauschen, Zischen, Pfeifen, Summen oder Melodien
ohne äußeren Stimulus. In schalldichten Räumen oder gelegentlich auftretend gilt Tinnitus als normal. Jeder Zehnte gibt auf Befragen mehrere
Minuten anhaltende spontan auftretende Geräuschempfindungen an. Jeder Hundertste empfindet diese als sehr belästigend im täglichen Leben. Oft
geht Ohrenklingeln mit ausgeprägter Geräuschempfindlichkeit einher. Der seltene "objektive" Tinnitus lässt sich durch den
Untersucher feststellen und beruht auf einer inneren Schallquelle, z.B. pulssynchronem Rauschen bei Glomustumor.20,21
THERAPIE: Sogenannte Tinnitus-Masker erzeugen Töne, deren Frequenz und Lautstärke einstellbar ist und die vom Ohrgeräusch ablenken. Bei gleichzeitigem Hörverlust sollen konventionelle Hörgeräte die Ohrgeräusche durch Verstärkung der Umweltgeräusche überspielen. Obwohl spezifische, über Plazeboeffekte hinausgehende Wirkungen nicht von allen als erwiesen angesehen werden, gelten Tinnitus-Masker überwiegend als wichtige Bestandteile im Behandlungskonzept.20,21 Im Rahmen von Lernprogrammen zur Umkonditionierung machen sie chronisches Ohrenklingeln bei neun von zehn Betroffenen erträglicher. Bei zwei von zehn verschwindet das Ohrgeräusch vorübergehend. Jeder zehnte Patient soll länger beschwerdefrei werden.20 Positiv bestärkendes Aufklären über die Gutartigkeit des Leidens trägt dazu bei, die mit der chronischen Erkrankung einhergehenden Sorgen und Ängste zu lindern. Verhaltenstraining, Entspannungsübungen und Biofeedback-Methoden werden empfohlen. Ihr Nutzen ist aber nicht hinreichend gesichert. Erfahrungsaustausch in Selbsthilfegruppen kann weiterhelfen (Kontakt: Deutsche Tinnitus Liga, Postfach 349, 42353 Wuppertal, Tel.: 0202/246520). Die Vielzahl der ausprobierten Arzneimittel kennzeichnet die Schwierigkeit, ein wirksames Behandlungsprinzip zu finden. "Durchblutungsförderer": In einer älteren Doppelblindstudie bessern sich Tinnitusbeschwerden unter Ginkgo-biloba-Extrakt (TEBONIN u.a.) im Vergleich zu Plazebo nach drei Monaten marginal.22 Wegen grober methodischer Mängel (Zweifel an korrekter Randomisierung, unklare Diagnosekriterien, Datenerhebung und Ergebnisprotokolle) bleiben die Ergebnisse ohne Aussagewert. In einer neueren schwedischen Studie schlägt der Nachweis der Wirksamkeit bei Patienten mit chronischen Ohrgeräuschen, die zuvor von Ginkgo biloba zu profitieren schienen, im Doppelblindvergleich mit Plazebo fehl.23 Antidepressiva: Das trizyklische Antidepressivum Nortriptylin (NORTRILEN) beeinflusst Tinnitusbeschwerden und die begleitende depressive Symptomatik besser als Plazebo.24 Die signifikanten, aber nur geringen Effekte (z.B. Reduktion der Tinnituslautstärke um 6 dB) erscheinen therapeutisch wenig relevant. Sie sind allenfalls bei endogener Depressionssymptomatik deutlicher. Für Trimipramin (STANGYL u.a.) findet sich kein Nutzen.25 Benzodiazepine: Alprazolam (TAFIL u.a.) verringert in einer zwölfwöchigen Doppelblindstudie die Lautstärke der Ohrgeräusche bei 13 (76%) von 17 Patienten, Plazebo nur bei 1 (5%) von 19.26 Für eine Therapieempfehlung reichen die Befunde nicht aus,27 zumal nicht geglückte Blindung, statistische Schwäche sowie Unzulänglichkeiten bei Dosierung, Therapiedauer und Patientenauswahl die Aussagekraft mindern. Aufgrund einer älteren Untersuchung werden gelegentlich Oxazepam (ADUMBRAN u.a.) und Clonazepam (RIVOTRIL u.a.) als Therapie-Option erwähnt. Die Studie war jedoch weder plazebokontrolliert noch doppelblind.28 Wegen ihres Abhängigkeitspotentials lassen sich Benzodiazepine bei chronischem Tinnitus allenfalls zur vorübergehenden Behandlung begleitender Angstzustände oder Schlafstörungen rechtfertigen. Lokalanästhetika: Lidokain (XYLOCAIN u.a.)-Infusionen unterdrücken chronische Ohrgeräusche besser als Kochsalzinfusionen. Insgesamt sollen 50% bis 75% der Patienten Linderung erfahren.29 Allerdings sind Plasmaspiegel erforderlich, bei denen bereits bedeutsame zentralnervöse Störwirkungen auftreten können.30 Zudem hält der Effekt nur kurz an, so dass den Infusionen keine praktische Bedeutung zukommt.29,31 Die Lidokain-Analoga Tocainid (XYLOTOCAN) und Mexiletin (MEXITIL u.a.) wirken per os eingenommen bei Tinnitus nicht.29,31,32 In Anwendungsbeobachtungen bringt lokal in das Mittelohr (mittels POLITZER-Ballon über die Tuba Eustachii oder durch transtympanische Injektion) eingebrachtes 2%iges Lidokain gewisse Besserung. Wegen häufiger Störwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Schwindel sowie geringer Compliance bei wiederholter Anwendung erscheint diese Maßnahme nicht akzeptabel.33,34 Prostaglandine: Das Prostaglandin E1-Analogon Misoprostol (CYTOTEC 200) mindert bei 24 Patienten über vier Wochen Tinnituslautstärke, Schlaf- und Konzentrationsstörungen bei jedem Dritten, nicht jedoch Plazebo.35 Bei ebenso vielen Patienten ist unter Misoprostol mit gastrointestinalen Störwirkungen zu rechnen. Eine geglückte Doppelblindung erscheint daher nicht vorstellbar. In neueren Übersichten findet Misoprostol keine Erwähnung.20,29,31 Antiallergika: In einer kleinen, doppelblinden Cross-over-Studie beurteilen 70% der Patienten das Antihistaminikum Terfenadin (TELDANE u.a.) "geringfügig besser" als Plazebo. Die Tinnitusbeschwerden nehmen nur gering ab (um 0,6 auf einer 7-Punkte-Skala), bei keinem komplett und nur bei jedem Zweiten durch objektive Tests reproduzierbar.36 Methodisch weist die Studie erhebliche Mängel auf (keine Auswaschphase, unklare Auswertung, keine Signifikanzangaben), so dass die Ergebnisse nicht verwertbar sind. Andere Antihistaminika bleiben ohne Wirkung.28 Antiepileptika: Carbamazepin (TEGRETAL u.a.), Phenytoin (ZENTROPIL u.a.) oder Primidon (MYLEPSINUM u.a.) werden zur Behandlung vorgeschlagen.31,32 Carbamazepin unterscheidet sich in mehreren kontrollierten Studien jedoch nicht von Plazebo.29 Für andere Mittel liegen nur Anwendungsbeobachtungen vor. Wegen ihrer Störwirkungen (Sedation, Ataxie, Schwindel u.a.) sollten Antikonvulsiva bei chronischem Tinnitus nicht verwendet werden.31 Andere Arzneimittel wie Flunarizin (SIBELIUM u.a.) oder Nimodipin (NIMOTOP) bleiben ohne Erfolg,29,37 ebenso das Hirnpräparat CEREBROLYSIN (a-t 5 [1990], 47) und Moxaverin (CERTONAL u.a.; a-t 10 [1996], 101). FAZIT: Akuter Hörsturz verschwindet bei mindestens zwei von drei Patienten innerhalb der ersten zwei bis vier Wochen infolge Spontanremissionen. Für medikamentöse Behandlungen fehlen Wirksamkeitsbelege. Die Therapie des anhaltenden Tinnitus erfordert ein Gesamtkonzept, das Tinnitus-Masker oder Hörgeräte sowie Biofeedback-Verfahren beziehungsweise andere lerntheoretisch begründete Maßnahmen umfasst. Aufklärung über die Gutartigkeit der Beschwerden verschafft oft Erleichterung. Wirksame Medikamente stehen nicht zur Verfügung. Um so wichtiger sind vorbeugende Maßnahmen zum Schutz vor Lärmbelastung. Bei gleichzeitiger depressiver Symptomatik kann Nortriptylin (NORTRILEN) sinnvoll sein. Benzodiazepine eignen sich allenfalls vorübergehend bei begleitenden Schlafstörungen oder Angstzuständen. Wegen nur kurzfristiger Effekte und bedeutsamer Störwirkungen können Lidokain (XYLOCAIN u.a.)- Infusionen nicht empfohlen werden. | ||
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