Insulinhersteller halten sich seit einigen Jahren an die Devise: alten Wein in neue Schläuche. Mehr als 80 Zubereitungen stehen heute zur Wahl.
Klinisch relevante Unterschiede zwischen den Alternativen lassen sich oft nicht erkennen.1
War in den 70er Jahren der Reinheitsgrad des tierischen Insulins wichtiges Qualitätsmerkmal (und Marktvorteil), wurde in den 80er Jahren die Insulinspezies
zum Thema. Humaninsulin kam auf den Markt ("humaner geht´s nicht"2). Rasch wurde deutlich, daß Humaninsulin
medizinisch keinen wesentlichen Vorteil bringt: "Die vielerorts gehegte Erwartung, daß mit Humaninsulin eine bessere Einstellung des Diabetes erreicht
werden könnte, war von vornherein unrealistisch und hat sich dementsprechend nicht erfüllt."3 Der erhoffte Kostenvorteil blieb aus. Im
Gegenteil: Die Preise für tierisches Insulin stiegen sogar auf die Höhe der Humaninsulinkosten (vgl. Tabelle; a-t 5 [1989], 47). Hinsichtlich Qualität
sind alle heute verfügbaren Humaninsuline vergleich- und austauschbar. Mittlerweile werden Nachteile offenkundig. Der in Humaninsulinen verwendete
Verzögerungshilfsstoff Protamin kann zu erheblichen Gewebereaktionen nach der Injektion4 und zur Antikörperbildung5 führen.
Protamininsulin liegt als Kristallsuspension vor. Bei unzureichender Durchmischung vor der Injektion können unterschiedlich viele Insulinkristalle aufgezogen
und gespritzt werden. Stoffwechsellabilität ist die Folge (a-t 1 [1992], 4).
Ebenfalls als "Fortschritt" bescheren uns die Anbieter eine Reihe fertiger Insulinmischungen aus 10% bis 50% Normalinsulin und 90% bis 50%
Verzögerungsinsulin. Weil jeder der drei Insulin-Oligopolisten in Deutschland (Hoechst, NovoNordisk und Lilly mit Ableger Berlin-Chemie) auf diese Mischungen
setzt, verdrei- bis vervierfacht sich die Zahl der Insulin-Bezeichnungen und Ampullendesigns. Glücklicherweise treffen die verordnenden Ärzte eine
vernünftige Wahl aus dem ausufernden Angebot: 25% bis 30% allen Insulins wird als reines Verzögerungs (INSULIN PROTAPHAN HM u.a.)- oder reines
Normalinsulin (INSULIN ACTRAPID HM u.a.) verordnet (z.B. bei der intensiven Insulintherapie des Typ-I-Diabetes mellitus), ca. 70% als Mischung mit 25% bis 30%
Normalinsulinanteil (für die Mehrzahl der insulinpflichtigen Diabetiker: die Typ-II-Diabetiker). Die anderen Mischungsvarianten spielen praktisch keine
Rolle.6
Überflüssig auch die Vielzahl der Insulin-Injektionshilfen (Pens). Jeder Hersteller bietet mindestens drei Geräte an, die sich technisch und in
der Handhabung unterscheiden. Vereinheitlichung, z.B. durch genormte Kartuschen, wie sie bei Füllhalter-Universalpatronen längst üblich sind, sollte
selbstverständlich sein. Die Handhabung läßt zu wünschen übrig. Der Injektionsvorgang kann nicht plausibel kontrolliert werden. Bei
vielen Pens Ausnahmen: BD-PEN und NOVOPEN läßt sich eine Fehleinstellung nicht korrigieren. Injektionshilfen begünstigen die
Vergeudung von Insulin (a-t 11 [1989], 101). Zur Prüfung ihrer Funktion empfehlen manche Anbieter, vor jeder Injektion ein paar Tröpfchen probeweise in
die Luft zu spritzen.
Neuerdings wollen uns die Hersteller Glauben machen, eine generelle Umstellung der Insulinkonzentration von U40 (40 E/ml) auf U100 sei nötig,
um Schaden vom Patienten abzuwenden. Zu den befürchteten Hypoglykämien durch Verwechslung von U40 und U100 Insulin (in den Pens) ist es aber
nicht gekommen sicher ein Verdienst der sich durchsetzenden Diabetikerschulung.7 Auf ihrer Jahresversammlung 1995 lehnten die Mitglieder der
Deutschen Diabetesgesellschaft eine Umstellung mehrheitlich ab. U100 Insulin beeinträchtigt die Dosiergenauigkeit.8 Durch die größere
Schwundrate bei höherer Konzentration fördert es den Mehrverbrauch (a-t 7 [1990], 61). Im Bereich bis 0,5
ml pro Spritze haben Volumeneinsparungen durch höhere Insulinkonzentration keinen Einfluß auf den Injektionsschmerz.9
Höher konzentriertes Insulin wird langsamer aus dem Subkutangewebe absorbiert.10 Um diesen Nachteil wettzumachen, setzen die Firmen auf
künstliche Insuline (Insulinanaloga). Das erste Kunstinsulin "Lispro" (HUMALOG, Lilly) ist jetzt in der Schweiz zugelassen. Die Absorption
beginnt 5 bis 10 Minuten nach subkutaner Injektion und unterscheidet sich signifikant nur gegenüber U100 Insulin, nicht aber gegenüber U40
Insulin.11 Einen direkten Vergleich mit dem weniger konzentrierten Normalinsulin hat Lilly bislang wohlweislich unterlassen. Therapeutische Vorteile lassen
sich nicht darstellen: weder hinsichtlich HbA1c-Senkung noch der besseren Diabeteseinstellung (von harten Endpunkten wie Blindheit, Niereninsuffizienz oder
Amputation ganz zu schweigen). Dem stehen erhebliche Sicherheitsbedenken gegenüber: Insulin ist im menschlichen Organismus an mindestens 27
Reaktionen beteiligt (z.B. als Wachstumsfaktor). Eines der bisher geprüften künstlichen Insuline hat im Tierversuch Krebswachstum gefördert.
Untersuchungen zur eventuellen Beschleunigung der Atherosklerose liegen nicht vor. Zur Behandlung Schwangerer ist das Insulinanalogon u.W. nicht zugelassen.
Kritische Diabetologen erklären sich ausdrücklich gegen die Verwendung des Kunstinsulins.12
Altlasten wie H-TRONIN erscheinen verzichtbar. Dieses Insulin kam 1986 auf den Markt zur Anwendung in implantierten Insulinpumpen. Es enthält
den Hilfsstoff Genapol, eine Art Detergens zur Stabilisierung bei physikalischen Beeinträchtigungen (Schütteln etc.). Bei Langzeitanwendung von
Genapolinsulin ist vermehrt mit Antikörpern gegen Insulin und Schilddrüsengewebe zu rechnen (vgl. a-t 8 [1995],
88). Bedenken werden gegen den Gebrauch von H-TRONIN in der Schwangerschaft laut.
Wir vermissen eine Qualitätswende auf dem wachsenden Insulinmarkt. Pseudo-Produktdifferenzierungen leisten der Kostenexplosion Vorschub. Wichtiger
als Manipulationen am Insulin ist heute die Verbreitung des Know-how der Therapie. An technischen Voraussetzungen für eine sichere Diabeteseinstellung bei
guter Lebensqualität benötigt man eigentlich nur Spritzen, ein Normal- und ein Verzögerungsinsulin sowie Teststreifen für die
Blutzuckerselbstkontrolle. Zwar vereinfachen Pens die Handhabung und werden deswegen von vielen Patienten bevorzugt. Blutzuckereinstellung und
Therapiesicherheit verbessern sie jedoch nicht. Die subtilste, aber auch teuerste Art der intensiven Insulintherapie,7 die subkutane Insulinpumpentherapie
ausschließlich mit Normalinsulin effektiver, sicherer und einfacher als die Spritzenbehandlung ignorieren die Firmen weitgehend. Der
Insulinverbrauch sinkt bei dieser Methode um etwa 10%.
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