In einer Diskussion mit Ärzten in einem Prüfungsausschuß für Verordnungsweise wurde mitgeteilt, daß Metamizol
ein probates Mittel für die erste Stufe der Schmerztherapie (Nichtopioid-Analgetika) sei. Auf meine Entgegnung, daß das BGA diesen Wirkstoff u.a. aus
Gründen der Nebenwirkungen unter Verschreibungspflicht gestellt hat und die Zulassung für Kombinationsarzneimittel mit Metamizol widerrufen hat, wurde
auf internationale Schmerzsymposien verwiesen, auf denen sehr wohl der Einsatz von Metamizol propagiert würde und der daher durchaus gerechtfertigt
sei...
Die Durchsicht diverser Arbeiten bezüglich der Einstufung von Metamizol in das Stufenschema der Schmerztherapie erstaunt mich sehr, da fast überall
Metamizol ungeniert an erster Stelle genannt wird, die Risiken eher heruntergespielt werden und auch ansonsten wenig auf die Problematik dieses Arzneistoffes
hingewiesen wird. Außerdem waren die den Veröffentlichungen aktuellen Datums zugrundegelegten Quellen z.T. schon recht alt, und auch die Boston-
Studie wird immer wieder gern zitiert.
F. WOYKE (Apothekerin)
AOK-Landesverband Niedersachsen
D-30519 Hannover
Die angebliche Renaissance für Metamizol (NOVALGIN u.a.) stützt sich auf Werbung mittels gesponserter Symposien und Publikationen sowie auf
Geringschätzung von Risiken durch Ärzte, die nur auf den zweifellos gegebenen analgetischen Effekt schauen, keineswegs aber auf entlastende Daten.
Metamizol löst häufiger als andere Arzneimittel schwere immunogene Erkrankungen aus:
Agranulozytose, Thrombopenie, hämolytische Anämie: Die Angabe der Agranulozytose-Häufigkeit in der "Boston-Studie" mit 1,1
Ereignissen auf 1 Million Behandlungen bei Einnahmedauer von 7 Tagen1 bagatellisiert die tatsächliche Gefährdung. Wie auf der Anhörung
des Bundesgesundheitsamtes (BGA) im September 1986 klar wurde, verbirgt sich dahinter eine Häufigkeit von etwa einer Agranulozytose pro 20.000
Behandlungen (s. auch a-t 9 [1986], 82).2 Wie die hämolytische Anämie beruht auch die Thrombozytopenie auf einer immunogenen peripheren
Lyse von Thrombozyten und tritt deshalb oft unter dem Bild einer thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura in Erscheinung.
Schockreaktionen: Sehr häufig handelt es sich nicht um eine anaphylaktische Reaktion, sondern um eine Vaskulitis oder Kapillaritis (Vaskulitis-Typ der
Schockreaktion), bei der sich die immunogene Zerstörung der Gefäßendothelien auch langsam, über Stunden entwickeln kann. Der Blutdruck
fällt zunehmend ab und läßt sich durch Flüssigkeitsersatz nicht auffangen. Diese Schockform spricht auf Katecholamine nicht oder
unzureichend an und geht mit einer hohen Sterblichkeit einher. Fallmeldungen zum Vaskulitis-Typ der Schockreaktion sind wesentlich häufiger als für
Agranulozytosen (vgl. a-t 11 [1986], 106).
MOSCHCOWITZ-Syndrom, STEVENS-JOHNSON-Syndrom, LYELL-Syndrom: Beim MOSCHCOWITZ-Syndrom handelt es sich um eine Vaskulitis in
Kombination mit einer Thrombozytopenie. Diese stets lebensbedrohliche Reaktion kann nach postoperativer Anwendung von Metamizol zu unstillbaren Blutungen
aus den Operationswunden führen, wahrscheinlich, weil infolge der Kapillaritis die für die Blutstillung wichtige Endothelzellen-Kontraktion fehlt. Auch das
Syndrom der verbrühten Haut (LYELL-Syndrom) und das STEVENS-JOHNSON-Syndrom kommen unter Metamizol vor.
Andere Organschädigungen: Schon 1981 hatte das BGA in einer Anhörung auf schwere Schädigungen von Nieren, Leber oder Lunge
unter Metamizol hingewiesen, die sich z.T als Organmanifestationen der immunogenen Vaskulitis/Kapillaritis deuten lassen. Zu diesem Schädigungstyp
gehören auch Pleuritis, Alveolitis u.a.
Immunogene Arzneistoffe stellen ein besonderes Problem der Arzneimittelsicherheit dar (vgl. a-t 11 [1992],
111), wie sich an den auffällig häufigen Marktrücknahmen solcher Mittel sehen läßt, z.B. VENOPYRONUM Dragees (vgl. a-t 6 [1985],
43), Practolol (DALZIC; vgl. a-t 4 [1975], 32), Cianidanol (CATERGEN; vgl. a-t 9 [1985], 73), Zomepirac (ZOMAX, vgl. a-t 8 [1983], 72), Benzaron (FRAGIVIX; vgl. a-t 10 [1992], 100), CRONASSIAL (vgl. a-t 12 [1992], 126), Nomifensin
(ALIVAL, in PSYTON; vgl. a-t 10 [1991], 93) oder L-Tryptophan (KALMA u.a.; vgl. a-t 1 [1990], 1). Metamizol ist in Industrieländern mit funktionierender Arzneimittelüberwachung wie den USA
oder Schweden nicht erhältlich.
VOR (FAST) 20 JAHREN
In Schweden haben Hersteller Metamizol-haltiger Arzneimittel (z.B. NOVALGIN) das Analgetikum freiwillig aus dem Handel gezogen, nachdem das Schwedische
Komitee für Arzneimittelnebenwirkungen die ernsten Risiken dieser Präparate klargestellt hatte. Drei Warnungen in größeren Abständen
hatten der Fachwelt gezeigt, daß bei Anwendung des Schaden-/Nutzenprinzips die Gefahr Metamizol-bedingter tödlicher Agranulozytosen vor seinen
erwünschten Effekten überwog.
aus arznei-telegramm 10 (1974), 76 |
FAZIT: Die schweren immunogenen Erkrankungen unter Metamizol werden am häufigsten zu Therapiebeginn, insbesondere nach einer zeitweiligen
Behandlungsunterbrechung beobachtet. Sie können aber auch bei Daueranwendung zu jedem Zeitpunkt unerwartet auftreten. In Deutschland gelten für
Metamizol nach wie vor strenge Anwendungsbeschränkungen auf starke Schmerzen und hohes Fieber, wenn andere therapeutische Maßnahmen
kontraindiziert sind oder nicht ansprechen. Wer Metamizol außerhalb dieser engen Grenzen verwendet, sieht sich im Schadensfall mit haftungsrechtlichen
Folgen konfrontiert. Die Anwendung von Metamizol bei weniger starken Schmerzen (erste Stufe des WHO-Schemas) dürfte sich dann kaum rechtfertigen
lassen, Red.
1 | IAAAS: J. Am. Med. Ass. 256 (1986), 1749 |
2 | BGA, Anhörung Metamizol vom 19. Sept. 1986 |
3 | BGA, Anhörung Metamizol vom 16. Juni 1981 |
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