Seit jeher muß sich der Therapeut für sein Handeln rechtfertigen. Zwar wird Medizinern bei schwerwiegenden bzw. tödlichen
Behandlungsfehlern nicht mehr die Hand abgeschlagen, wie es vor über 4000 Jahren noch das Gesetzbuch des König Hammurabi von Babylon (ca.
2.250 v. Chr.) vorschrieb, doch sieht sich der Arzt von heute im Schadensfall zunehmend mit Haftungsklagen konfrontiert. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes hat der Arzt die Pflicht, sich vor der Verordnung eines Arzneimittels genaue Kenntnis über dessen Wirkungen und Nebenwirkungen zu
verschaffen, auch wenn er dieses nur vereinzelt verordnet (vgl. Arzneimittelkursbuch '92/93, Seiten 14, 19).
Jährlich ist in Deutschland mit 80.000-120.000 schweren unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu rechnen, wobei zwischen 5.600 und 8.800
tödliche Verläufe zu erwarten sind (vgl. a-t 10 [1992], 105).
WIRKMECHANISMUS-ABHÄNGIGE STÖRWIRKUNGEN: Diese beruhen auf dem gleichen Wirkungsmechanismus, der auch für die
erwünschten Wirkungen verantwortlich ist, und sind damit dosisabhängig. Sie treffen für alle Substanzen eines gleichen Wirktyps zu, wobei sich
Unterschiede durch abweichende Kinetik ergeben können. So verursacht Indometazin (AMUNO u.a.) häufiger Kopfschmerzen als Diclofenac
(VOLTAREN u.a.), weil Indometazin bei äquieffektiver Dosierung stärker die Blut-Hirn-Schranke überwindet.
Die erwünschten entzündungshemmenden und analgetischen Eigenschaften nicht-steroidaler Antirheumatika sind Folge der Hemmung der
Prostaglandinsynthese. Hierdurch wird gleichzeitig am Magen-Darmtrakt die schleimhautschützende Funktion der Prostaglandine unterdrückt, so daß
die erwünschte Entzündungshemmung zwangsläufig mit Störwirkungen am Magen-Darmtrakt gekoppelt ist.
Wirkungsmechanismus-abhängige Störeffekte treten häufig erst in höherer Dosierung auf als die erwünschten Wirkungen. Schon
mehrfach mußten Arzneimittel wegen schwerer Unverträglichkeiten vom Markt genommen werden, weil die Dosisabhängigkeit der
Wirkungsmechanismus-abhängigen unerwünschten Wirkungen unbeachtet blieb. Damit sich die Wirkstärke der nicht-steroidalen
Entzündungshemmer Zomepirac (ZOMAX) und Benoxaprofen (COXIGON) von den Konkurrenzprodukten günstig abhob, wurden diese
pro Tablette maximal dosiert. Die Folge war eine hohe Rate Wirkungsmechanismus-abhängiger Störwirkungen, die schließlich zur
Marktrücknahme führten.
Das Schlafmittel Triazolam (HALCION) wurde 1971 in den Niederlanden hochdosiert als 1 mg-Tablette eingeführt. Wegen schwerer psychischer
Reaktionen sowie Gedächtnisstörungen kam es außer Handel. Es war mindestens um den Faktor 4 überdosiert. In Ländern, in denen nur
die 0,25-mg-Tablette auf dem Markt war, wurden wesentlich weniger Störwirkungen mitgeteilt. Auch die hohe Rate psychischer Beeinträchtigungen und
Abhängigkeiten nach Lorazepam (TAVOR u.a.) dürfte damit in Verbindung stehen, daß die 2,5-mg-Tablette im Vergleich zu anderen
Benzodiazepinen wahrscheinlich fünffach überdosiert ist. Entsprechendes gilt wohl auch für das als Heroinersatz verwendete "Szene-
Benzodiazepin" Flunitrazepam (ROHYPNOL u.a.; vgl. a-t 6 [1992], 59, 7 [1992], 71), dessen Marktrücknahme längst überfällig ist.
SUBSTANZABHÄNGIGE STÖRWIRKUNGEN: Diese entstehen durch direkte Wechselbeziehung des Wirkstoffes mit dem geschädigten
Organ oder Organsystem im Sinne einer unerwünschten toxischen Reaktion. Sie beruhen häufig auf Giftung der Substanz im Stoffwechsel mit der Folge
spezifischer Organstörungen insbesondere von Leber und Nieren.
Pseudoallergische Reaktionen: Eine Sonderform der direkten, substanzabhängigen unerwünschten Arzneimittelwirkung ist die pseudoallergische
Reaktion. Sie ist klinisch kaum von einer immunallergischen Reaktion zu unterscheiden. Der Auslösemechanismus beruht jedoch nicht auf einer Antigen-
Antikörperreaktion, sondern auf der direkten Interaktion der Substanz mit Mediatoren der Immunreaktion. Diese Wechselwirkung weist ebenfalls eine Dosis-
Wirkungsbeziehung auf. Die Schwellendosis zur Auslösung der Reaktion kann hierbei aber weit unterhalb der Dosis liegen, die für den erwünschten
therapeutischen Effekt benötigt wird.
Bei Prostaglandin-Synthesehemmstoffen wie Azetylsalizylsäure (ASPIRIN u.a.) und anderen nicht-steroidalen Antirheumatika scheint für die
Auslösung eines pseudoallergischen Asthmas (Analgetika-Asthma) eine möglicherweise genetisch determinierte besondere Empfindlichkeit
der Zyklooxigenase gegenüber den Hemmstoffen der Prostaglandin-Synthese von Bedeutung zu sein. Die Schwellendosis zur Auslösung der Reaktion
kann im Einzelfall bei weniger als 100 mg Azetylsalizylsäure liegen, variiert aber von Person zu Person stark.
Hustenreiz unter ACE-Hemmern wird auf direkte Interaktion mit dem Bradykinin-System zurückgeführt. Auch für das seltenere, aber stets
bedrohliche Angioödem unter ACE-Hemmern scheint eine genetisch determinierte Empfindlichkeit (C1-Esteraseinhibitor-Mangel) eine Rolle zu spielen, obwohl
die Reaktion klinisch dem Bild einer Allergie entspricht.
Karzinogene Eigenschaften: Sie können auf direkten genotoxischen Einwirkungen der Substanz auf die DNS beruhen, aber auch indirekt durch
proliferationsfördernde oder tumorpromovierende Effekte entstehen. Bei genotoxischen Stoffen lassen sich in der Regel keine Grenzwerte festlegen, unterhalb
derer die Folgewirkung nicht eintreten kann. Bei nicht-genotoxischen proliferationsfördernden oder promovierenden Tumorigenen ist dagegen die Festlegung
eines Schwellenwertes theoretisch möglich, da das Ereignis durch dosisabhängige, indirekte Wirkungsmechanismen wie z.B. chronischer Proliferationsreiz
ausgelöst wird.
Pflanzen enthalten häufig mutagene, tumorigene oder karzinogene Inhaltsstoffe, da diese wahrscheinlich zur Abwehr von Schädlingen einen
evolutionären Vorteil darstellen. Deshalb können auch alteingeführte Pflanzenarzneimittel mutagene, tumorigene oder karzinogene Stoffe enthalten.
Beispiele wie Aristolochiasäure, Pyrrolizidin-Alkaloide, Lucidin u.a. zeigen die Bedenklichkeit auf.
Ein Doppelstandard sicherheitspharmakologischer Anforderungen wird offenbar, wenn beispielsweise das Dihydroxyanthrachinon Dantron
(ISTIZIN u.a.) als chemisch definierte Substanz wegen karzinogener Wirkungen aus dem Handel gezogen wurde, gleichzeitig aber Anthrachinon-Derivate in
pflanzlichen Abführmitteln auf dem Markt bleiben dürfen.
IMMUNALLERGISCHE ARZNEIMITTELERKRANKUNGEN: Bei Erkrankungen, die durch eine stimulierende Wirkung von Arzneimitteln auf das
Immunsystem ausgelöst werden, fehlen häufig Hinweise auf Dosisabhängigkeit der Reaktion und ein zeitlicher Zusammenhang mit der
Erstanwendung des auslösenden Arzneimittels. Zudem kann der Verlauf einer foudroyanten Immunreaktion klinisch dem Bild einer bakteriellen Sepsis gleichen,
da die Symptomatik durch die identische Reaktion der Immunabwehr auf das verursachende Ereignis bestimmt wird.
Fremdstoffe vor allem wenn sie natürlichen Ursprungs sind (Organextrakte, Pflanzenextrakte, mikrobielle Produkte u.a.) werden anscheinend
leicht vom Immunsystem als "fremd" erkannt und lösen eine Antikörperbildung aus. So finden sich bei jedem zweiten oder dritten Patienten, der
mehrere Wochen lang Penizilline erhält, Penizillin-Antikörper, ohne daß daraus zwangsläufig eine Immunerkrankung entsteht.
Es ist anzunehmen, daß bei synthetischen hochimmunogenen Arzneistoffen fast jeder Patient Antikörper bildet.
Dies wurde 1983 für das als Antidepressivum vermarktete Nomifensin (ALIVAL, in PSYTON) berichtet.1 Auch Problemarzneimittel wie die Alt-
Analgetika Metamizol (NOVALGIN u.a.) und Propyphenazon (ARANTIL P, in OPTALIDON N u.a.) rechnen wir aufgrund der Häufigkeit der
ausgelösten immunallergischen Erkrankungen zu dieser Stoffgruppe, desgleichen z.B. Flavon-Strukturen in Pflanzenarzneimitteln, die zur
"Kapillarabdichtung" z.B. in Venenmitteln Anwendung finden.
Auch für den immunogenen deproteinisierten Kälberblutextrakt ACTOVEGIN fand sich eine Zunahme von Schockreaktionen, wenn diesem
Pflanzenextrakte wie der angebliche Durchblutungsförderer TEBONIN zugesetzt wurden.2
Anaphylaktische Reaktion: Bei anaphylaktischen Reaktionen folgen der Antigen-Antikörper-Reaktion nach Exposition eine Aktivierung des
Komplementsystems und Reaktionen wie Urtikaria, Angioödem, Bronchospasmus mit Dyspnoe und Blutdruckabfall bis zum Schock. Diese Reaktionen
können innerhalb von Minuten nach der Antigen-Exposition einsetzen oder sich verzögert und schleichend nach Minuten bis Stunden
entwickeln.
Als Prototyp können die gehäuften Schockreaktionen nach Propyphenazon gelten, bei denen sich 15-30 Minuten nach der Einnahme
zunächst fleckige Hautrötungen, dann Atemnot und Kreislaufschock entwickeln (vgl.
a-t 4 [1989], 44). Es handelt sich dabei um eine humorale Überempfindlichkeitsreaktion ohne Aktivierung der zellulären Immunabwehr, denn Befunde
über das Auftreten von Vaskulitiden, die bei Metamizol überaus häufig sind, liegen für Propyphenazon nicht vor. Deshalb lassen sich die
Komplikationen durch frühzeitige, symptomorientierte Therapie und adäquate Kreislaufstabilisierung durchbrechen. Wegen des meist engen zeitlichen
Zusammenhangs zwischen Arzneimittelanwendung und dem Auftreten der Symptomatik läßt sich die anaphylaktische Reaktion meist leicht als
arzneimittelbedingt erkennen.
Arzneimittelbedingte Aktivierung der zellulären Immunreaktion: Warum in dem einen Fall ein immunogener Arzneistoff nach Antikörperbildung eine
anaphylaktische Reaktion auslöst, im anderen Fall eine zelluläre Immunantwort, ist noch unbekannt. Die Symptomatik einer arzneimittelbedingten
zellulären Immunantwort wird in der Regel durch eine Serumkrankheit oder ein grippeähnliches Syndrom geprägt. Dieses besteht
vornehmlich in Fieber als Kontinua oder abhängig von der Medikamenteneinnahme aus Fieberschüben. Das Fieber wird in der Regel begleitet von
Muskel- und Gelenkschmerzen, Alveolitis und Pneumonitis mit den Leitsymptomen einer Bronchitis, Kopfschmerz, Exanthemen und ausgeprägtem
Krankheitsgefühl. Häufig finden sich Zeichen einer Leberschädigung mit erhöhten Transaminasen und Cholestase.
In der foudroyanten Verlaufsform entspricht die Erkrankung dem Bild einer bakteriellen Sepsis mit septischen Temperaturen, Kreislaufschock,
Permeabilitätsstörungen mit Flüssigkeitseinlagerung (Ödeme, Lungenödem, Pleuraergüsse u.a.) und Multiorganversagen. Dieser
Verlauf ist klinisch von einer bakteriellen Sepsis nur schwer zu unterscheiden und hat unerkannt eine ebenso schlechte Prognose wie der septische
Schock bei bakteriellen Infektionen. Dieser Verlaufsform liegt eine generalisierte Vaskulitis zugrunde, die infolge der Zerstörung der Endothelzellen in der
Endstrombahn häufig weder auf kreislauftonisierende Maßnahmen (z.B. Noradrenalin) noch auf Volumengabe (kapilläre Leckage) anspricht.
Die zelluläre Immunantwort wird bei Erstexposition in der Regel nach 5-20 Tagen aktiviert. Sie kann bei Dauerbehandlung zu jedem Zeitpunkt plötzlich
eintreten, ohne daß eine spezifische pathophysiologische Vorbedingung faßbar ist. Typisch ist das Einsetzen der Reaktion bei Reexposition, etwa wenn
nach einem Behandlungszyklus eine Therapiepause eingeschoben wird.
Es gibt Beobachtungen, bei denen mit Sicherheit eine vorherige Exposition gegen den Arzneistoff auszuschließen ist. Dann hat möglicherweise eine
Präexposition mit einer chemisch verwandten Substanz (Wirkstoffe, Hilfsstoffe, Verunreinigungen in Lebensmitteln u.a.) stattgefunden, die in der Folge bei
Anwendung des Arzneimittels sofort die zelluläre Immunreaktion auslöst.
Die Entwicklung einer Immunreaktion bis zum Vollbild verläuft mitunter verzögert. So kann nach der Injektion von Metamizol zunächst ein
mehrstündiges symptomfreies Intervall auftreten, in dem unspezifische Beeinträchtigungen der Befindlichkeit oder flüchtige
Hauterscheinungen wahrgenommen werden. Nach Stunden kommt es zu einer zunehmenden Symptomatik der Vaskulitis mit langsamer Ausprägung von
Schockzeichen mit Permeabilitätsstörungen.
Organmanifestationen zellulärer Immunreaktionen: Zelluläre Immunreaktionen können viele Organe schädigen. Die Zeichen solcher
Organeffekte treten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem grippeähnlichen Initialsyndrom auf oder erst verzögert nach Wochen oder
Monaten. Typische Organmanifestationen arzneimittelbedingter immunallergischer Reaktionen sind:
- Blut: Leukopenie, Agranulozytose, hämolytische Anämie, Thrombozytopenie, thrombotisch-thrombozytopenische Mikro- und Makroangiopathie
(z.B. MOSCHCOWITZ-Syndrom), aplastisches Syndrom, Eosinophilie
- Gefäßsystem: Vaskulitiden bis zu akut nekrotisierenden Verlaufsformen mit Austritt von Plasma oder Blut in das Gewebe (Ödeme) oder in
Körperhöhlen (Perikarditis, Pleuritis, Peritonitis)
- Lunge: Alveolitis, Pneumonitis, interstitielle Pneumonie mit und ohne bindegewebige Umwandlung (Lungenfibrose), Pleuritis
- Herz: Myokarditis, Perikarditis
- Leber: Hepatitis, Cholestase, Ikterus, cholestatische Hepatitis, granulomatöse Hepatitis, Leberzerfall
- Pankreas: Pankreatitis
- Nieren: Glomerulonephritis, interstitielle Nephritis auf dem Boden entzündlicher Gefäßveränderungen, nephrotisches Syndrom
- Nervensystem: Meningitis, Enzephalitis, periphere Polyneuropathie (GUILLAIN-BARRE-Syndrom)
- Haut: Rash, Urtikaria, Exanthem, Erythema multiforme majus (STEVENS-JOHNSON-Syndrom), Syndrom der verbrühten Haut (LYELL-Syndrom),
nekrotisierende Entzündung der Subkutis (nekrotisierende Epifasziitis)
- Bewegungsapparat: Myositis, Polymyositis, Dermatomyositis, entzündliche Arthritiden, Eosinophilie-Myalgie-Syndrom.
Verlauf immunallergischer Arzneimittelerkrankungen: Viele Arzneistoffe, die infolge Aktivierung zellulärer Immunreaktionen Organschäden
auslösen, besitzen eine gewisse Präferenz für das eine oder andere Organsystem. Diagnostisch bedeutsam ist dabei, daß in Einzelfällen
neben den bevorzugten Organsystemen jedes andere Organ oder Organsystem betroffen sein kann ("immunallergischer Fingerabdruck" der
Störwirkung). So verursacht das Antidepressivum Zimelidin (NORMUD) vor allem Neuropathien in der Peripherie und an den Hirnnerven sowie
Thrombozytopenien, aber auch vereinzelt Myositiden und Alveolitiden. Nomifensin (ALIVAL, in PSYTON) bewirkt hauptsächlich immunallergische
hämolytische Anämien und Hepatitiden, aber auch vereinzelt Vaskulitiden, Pneumonitiden, Nephritiden oder ein GUILLAIN-BARRE-Syndrom.
Heparin und Heparinoide (z.B. ARTEPARON, SP 54) sind für die Auslösung immunallergischer thrombotisch-thrombozytopenischer
Reaktionen bekannt. Sie können jedoch auch foudroyante Immunreaktionen auslösen, die klinisch dem Bild einer septischen Pneumonie entsprechen
(hohes Fieber, Muskel- und Gelenkschmerzen, Ateminsuffizienz mit dem klinischen und röntgenologischen Befund einer interstitiellen Pneumonie).
Besonders schwierig ist das Erkennen arzneibedingter Immunsyndrome, wenn die Schädigung die Organsysteme betrifft, an denen das Arzneimittel wirksam
sein soll. Seit langem ist bekannt, daß Flavone und flavonoidartige Strukturen immunallergische Hepatitiden auslösen können. Der unlängst
erfolgte Marktrückruf von Benzaron (FRAGIVIX, vgl. a-t 10 [1992], 100), eines Flavonoid-
wirkungsähnlichen Wirkstoffes zur Behandlung von Venenerkrankungen, spiegelt diese Problematik wieder.
Das Flavonoid Cianidanol (CATERGEN) wurde seit 1976 als Leberschutzstoff zur Behandlung akuter und chronischer Hepatitiden sowie alkoholtoxischer
Leberschädigungen angeboten. 1982 war bekannt, daß Cianidanol Fieberschübe und hämolytische Anämien verursacht. Sein Potential
zur Auslösung immunallergischer Leberschäden blieb bis 1986 unerkannt, weil Verschlechterungen unter der Therapie als Spontanverlauf der
Grunderkrankung und nicht als arzneimittelbedingte Verschlechterung interpretiert wurden (vgl. a-t 8 [1986], 70).
Das gleiche gilt für den gangliosidhaltigen Rinderhirnextrakt CRONASSIAL, dessen Wirksamkeit zur Behandlung peripherer Polyneuropathien nicht
belegt ist und der zudem selbst auffällig gehäuft lebensbedrohliche GUILLAIN-BARRE-Syndrome oder Abortivformen mit Schmerzsyndromen und/oder
Paresen mit zumeist symmetrischer Verteilung auslösen kann.3 Gleiches gilt wohl für das Nachfolgepräparat GM1 der Firma Fidia.
Häufig, aber nicht immer, klingen immunallergische Arzneimittelerkrankungen mehr oder weniger schnell nach Absetzen des verursachenden Arzneimittels ab.
Bei zellulären Immunreaktionen können die arzneimittelbedingten Erkrankungen in einen stationären oder progressiven Verlauf umschlagen.
Auffällig ist ein solcher "autoaggressiver" Verlauf etwa bei dem Eosinophilie-Myalgie-Syndrom (EMS) nach Einnahme von L-Tryptophan (KALMA
u.a.). Bei mindestens 30-40% der Patienten bildet sich die Symptomatik nicht zurück, sondern bleibt bestehen oder geht in einen schleichend progressiven,
zum Teil schubweisen Verlauf über. Dies trifft anscheinend auch auf das GUILLAIN-BARRE-Syndrom nach Injektionen mit dem Rinderhirnextrakt
CRONASSIAL zu sowie für den "Pseudo-Lupus" nach VENOPYRONUM, bei dem 20% der Patienten trotz Absetzens ein
stationäres bzw. fortschreitend verlaufendes Krankheitsbild präsentieren.4
DIE ZUSAMMENHANGSFRAGE: Der Zusammenhang zwischen einer aufgetretenen unerwünschten Arzneimittelwirkung und dem verursachenden
Arzneimittel wird üblicherweise nach den Kriterien "gesichert", "wahrscheinlich", "möglich", "unwahrscheinlich"
und "nicht beurteilbar" eingestuft. Faktisch läßt sich jedoch die Frage, ob ein Arzneimittel für die Auslösung einer Erkrankung
verantwortlich ist, häufig nur schwer beurteilen. Dies gilt besonders für arzneimittelbedingte Erkrankungen, die durch Stimulation einer immunallergischen
Reaktion an einem Organsystem auftreten, das in keinem Zusammenhang mit der ursprünglichen Erkrankung steht. Solche Symptome werden häufig als
Erkrankung sui generis verkannt. Es bleibt zudem fraglich, ob eine Unterscheidung in "gesichert" und "wahrscheinlich" überhaupt von
Bedeutung ist, da am Krankenbett in beiden Fällen vom Vorliegen einer arzneimittelbedingten Störung ausgegangen und entsprechend gehandelt werden
muß.
1 | WÄLTI, M. et al.: Schweiz. med. Wschr. 113 (1983), 1865 |
2 | Österr. Apoth. Ztg. 41 (1987), 879 |
3 | WHO Drug Information 5 (1991), 175 |
4 | SCHUFF-WERNER, P., P. A. BERG: Klin. Wschr. 56 (1980), 935 |
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