Die Hoechst AG hat bisher erfolglos der Weltgesundheitsorganisation die Erprobung des Antigestagens RU 486 (Mifepriston [MIFEGYN]) angeboten.
Das Chemieunternehmen erklärt, es sei nun bereit, den Wirkstoff Dritten, z.B. gemeinnützigen Trägern, auf Selbstkostenbasis für die klinische
Erprobung zu überlassen. Hoechst möchte offenbar dem Eindruck entgegentreten, das Unternehmen behindere den medizinischen Fortschritt, indem das
Antihormon für die klinische Erprobung in Deutschland nicht bereitgestellt werde.
Der Schwangerschaftsabbruch mit dem Antigestagen RU 486 wird als schonende Alternative zur Absaugmethode oder Ausschabung der Gebärmutter
empfohlen. Bislang liegen aus Frankreich Erfahrungen mit RU 486 bei über 60.000 Frauen vor.1 Eine Einzeldosis von 600 mg per os führt bei 80%
der Schwangeren bei Einnahme innerhalb der ersten 14 Tage nach Ausbleiben der Regel zum kompletten Abbruch.1 Bei Kombination mit einem
Prostaglandin wie Sulproston (NALADOR z. Injektion) oder Gemeprost (CERGEM Vaginal-Suppositorien; vgl. a-t 2 [1990],
20 und 3 [1990], 33) liegt die Erfolgsrate innerhalb von sieben Wochen nach Ausbleiben der Regel bei etwa
95%.2 Die Methode bedarf der Weiterentwicklung, um Komplikationen zu verringern, die anscheinend mehr dem Prostaglandin als dem Mifepriston
zuzurechnen sind. Mifepriston-Dosen von 200 mg und 400 mg per os wirken nach einer zur Veröffentlichung anstehenden Studie an über 1000 Frauen
ebenso gut wie die derzeit in Großbritannien und Frankreich zugelassene 600-mg-Dosis.3
Auf etwa 20.000 RU 486/Prostaglandin-Anwendungen entfällt ein Zwischenfall mit einem Herzinfarkt und einer schweren Herzrhythmusstörung.2
Eine von 75.000 Frauen verstarb beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch an Herz-Kreislauf-Komplikationen. Legale Schwangerschaftsabbrüche
gehen in England mit weniger als einem Todesfall auf 100.000 Abbrüche einher, während schätzungsweise 13% bis 36% der Frauen aus
Ländern wie Sri Lanka oder Chile, in denen ein legaler Abbruch verboten ist, nach illegaler Abtreibung sterben.4
Mifepriston zeigt teratogene Effekte beim Kaninchen. Mißbildungsverursachende Eigenschaften des Antihormons sind auch für die Organogenese des
Menschen zu vermuten. Hierfür spricht eine Fallbeobachtung. Eine 25jährige Schwangere verzichtete in der 5. Schwangerschaftswoche auf die
zusätzliche Prostaglandinanwendung. Der in der 18. Woche ausgestoßene Fet im Gewicht von 190 g hatte eine Sirenomelie (Verwachsung beider Beine,
häufig einhergehend mit Mißbildungen der Baucheingeweide).5
RU 486 wirkt, allein ohne Prostaglandin angewandt, als Empfängnisverhütungsmittel, das nur einmal monatlich zwei Tage nach dem Eisprung
eingenommen werden muß, wenn die Frau in den fruchtbaren Tagen Geschlechtsverkehr hatte. Gynäkologen des Karolinska Krankenhauses in
Stockholm werten es nach einer ersten Versuchsreihe als verläßliche und vorteilhafte "Pille danach", weil RU 486 anders als
herkömmliche Antibabypillen, nicht in den Hormonhaushalt eingreift.6 Das Antihormon bietet darüberhinaus weitere Anwendungsmöglichkeiten wie
als wehenauslösendes Mittel für die medizinisch erforderliche Geburtseinleitung am Ende der Schwangerschaft7 und als Hemmstoff bei
hormonabhängigen Mammakarzinomen. Für die letztgenannte Anwendung gibt es tierexperimentelle Befunde sowohl für Mifepriston als auch
für das von Schering entwickelte Onapriston (ZK 98. 299), das allerdings erst nach Patentablauf von Mifepriston vermarktet werden dürfte.8
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH METHODEN IM VERGLEICH
Curettage
Vorteile: einzeitiges, zuverlässiges Verfahren
Nachteile: Narkoserisiko, Blutungen (schwer stillbare), Uterusperforation, Zervixrisse mit Risiko der Frühgeburt bei nachfolgender
Schwangerschaft
Absaugmethode
Vorteile: keine Narkose, kostengünstige ambulante Durchführung, geringe Verletzungsgefahr von Zervix und Uterus
Nachteile: Versager, ggf. Nachcurettage erforderlich
Mifepriston + Prostaglandin
Vorteile: einfache Handhabung, geringe physische Belastung
Nachteile: zeitaufwendig, längerer Überwachungszeitraum erforderlich, da Unsicherheit über Blutungsbeginn (nach 10-60 Std.) und -dauer
(1-44 Tage)2, inkomplette Ausstoßung (2,7%), Versagen des Abbruchs (1,1%), Nachcurettage/Absaugung erforderlich (0,8%),11 schwere
Blutungen (1%), Risiko der Mißbildung bei fortbestehender Schwangerschaft, kardiale Komplikationen (Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen) bei 1 von
20.000 Abbrüchen
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Solche Antigestagene blockieren neben den Progesteron- auch Glukokortikoidrezeptoren. Sie eignen sich vielleicht für die Behandlung bestimmter Formen
des Cushing-Syndroms, des Nebennierenkarzinoms und sogar des Glaukoms.9,10 Somit besitzt Mifepriston eine über seine Eigenschaft als Abortivum
hinausgehende Anwendungschance bei Krebserkrankungen wie dem inoperablen Meningeom und dem therapierefraktären Mammakarzinom. Diskutiert
werden zudem immunmodulierende Wirkungen. Noch blockiert die emotionalisierte Diskussion der "Abtreibungspille" die klinische Erforschung des
potentiellen medizinischen Anwendungsspektrums von RU 486.9
FAZIT: Mit einer Einzeldosis des Antigestagens RU 486 (Mifepriston [MIFEGYN]), gefolgt von der intramuskulären (NALADOR), intravaginalen (CERGEM)
oder oralen (Misoprostol [CYTOTEC]) Gabe eines Prostaglandins läßt sich bei 95% der Frauen eine intrauterine Frühschwangerschaft beenden. Die
Methode bedarf der Verfeinerung. Sie geht bei den meisten Frauen mit krampfartigen Abdominalbeschwerden einher. Blutungen halten im Mittel 2 Wochen an. Zu
1% ist eine Nachcurettage erforderlich.
Die Möglichkeit eines "schwarzen Marktes" mit unkontrolliertem, illegalem Gebrauch erfordert die sorgsame Kontrolle der Verfügbarkeit von RU
486. Erstmals bietet sich via Lizenzvergabe an gemeinnützige Einrichtungen die Chance für eine sorgfältig geplante, öffentlich kontrollierbare
Arzneierprobung.
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