blitz-a-t 20. März 2020
COVID-19: IBUPROFEN (IBUHEXAL U.A.) MEIDEN?
Eine Nachricht in den sozialen Medien über eine Untersuchung der Uniklinik Wien, nach der das nichtsteroidale Antirheumatikum (NSAR) Ibuprofen (IBUHEXAL u.a.) den Verlauf von Infektionen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 verschlechtern könnte, sorgt seit dem vergangenen Wochenende für erhebliche Unruhe, auch wenn die medizinische Universität Wien die angeblichen Forschungsergebnisse rasch dementiert und als „Fake News“ bezeichnet hat.1 Zeitgleich riet der französische Gesundheitsminister per Twitter ebenfalls von Ibuprofen zur Fiebersenkung bei COVID-19 ab und empfahl, stattdessen Parazetamol (BEN-U-RON, Generika) zu verwenden.2 Sein Tweet soll unter anderem auf der Aussage einer Ärztin beruhen, der zufolge vier junge Patienten ohne Vorerkrankungen nach Einnahme von NSAR im Frühstadium der Erkrankung ernsthafte Symptome entwickelt hätten. Das zugehörige Krankenhaus hat die öffentliche Diskussion über einzelne Erkrankungsverläufe daraufhin als „unangemessen“ bezeichnet.2 Autoren eines Leserbriefs in Lancet Respiratory Medicine stellen zudem die Hypothese auf, dass eine verstärkte Expression des Enzyms ACE2, die unter anderem durch ACE-Hemmer und AT-II-Blocker ausgelöst werden soll, das Infektionsrisiko mit SARS-CoV-2 und den Krankheitsverlauf von COVID-19 ungünstig beeinflussen könnte, eine Hypothese, die beim derzeitigen Kenntnisstand jeder stichhaltigen wissenschaftlichen Basis entbehrt (blitz-a-t vom 18. März 2020 und a-t 2020; 51: 17-8). Ohne Angabe von Quellen behaupten die Autoren in dem Leserbrief, dass auch Ibuprofen dieses Enzym erhöht.3
Inzwischen haben sich mehrere Arzneimittelbehörden und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Thema geäußert.4-7 Laut der europäischen EMA gibt es derzeit keine wissenschaftlichen Belege für einen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Ibuprofen und einer Verschlechterung von COVID-19.4 Auch die WHO hat nach Rücksprache mit Ärzten, die Patienten mit der Erkrankung behandeln, keine Kenntnis von Berichten über negative Effekte von Ibuprofen, abgesehen von den üblichen bekannten Störwirkungen, die den Gebrauch bei bestimmten Patientengruppen einschränken.5 Die WHO spricht sich ausdrücklich nicht gegen die Anwendung des NSAR aus5 und korrigiert damit eine Aussage ihres Sprechers, der einen Tag zuvor noch erklärt hatte, dass bei Verdacht auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 in der Selbstmedikation auf Ibuprofen zu Gunsten von Parazetamol verzichtet werden solle.8
Für einen spezifischen negativen Effekt von Ibuprofen auf Infektionsrisiko und Krankheitsverlauf von COVID-19 gibt es demnach derzeit keine wissenschaftlichen Belege. Patienten, die Ibuprofen oder andere NSAR wegen einer chronischen Erkrankung regelmäßig einnehmen, sollen die Medikation nach übereinstimmenden Empfehlungen nicht ohne Rücksprache mit ihrem Arzt absetzen.4,6,7 Mehrere Behörden empfehlen aber in der aktuellen Situation, bei Fieber Parazetamol zu verwenden.6,7 Die französische Arzneimittelbehörde betont zudem, dass bei Fieber und Schmerzen im Rahmen von Infektionskrankheiten grundsätzlich Parazetamol bevorzugt werden sollte.9 Zum einen können NSAR die Symptome einer sich verschlimmernden Erkrankung maskieren.4,9 In Frankreich wurde zudem bereits vor knapp einem Jahr vor schweren Infektionskomplikationen unter NSAR gewarnt, vor allem vor einer Verstärkung von Streptokokkeninfektionen (a-t 2019; 50: 47). Der europäische Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) hat im Mai 2019 dazu ein Risikobewertungsverfahren gestartet.4 Bei älteren Patientinnen und Patienten mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko – also Personen, die auch ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs von COVID-19 haben – sollte wegen der Gefahr kardiovaskulärer Schadwirkungen bei Infektionen der Atemwege auf NSAR ohnehin verzichtet werden (a-t 2017; 48: 29). Infektionsexperten erinnern im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion zudem zu Recht daran, dass Fieber bei Infektionskrankheiten ein wichtiger Abwehrmechanismus ist und dass es deshalb nicht ratsam ist, jedes Fieber zu senken, sei es mit Parazetamol oder mit NSAR.10
Belastbare wissenschaftliche Belege für einen spezifischen negativen Effekt von Ibuprofen (IBUHEXAL u.a.) auf Infektionsrisiko und Krankheitsverlauf von COVID-19 gibt es derzeit nicht. Es gibt aber gute Gründe, bei schweren Atemwegsinfektionen und bei der in ihrem Verlauf noch wenig bekannten COVID-19-Infektion auf nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) zu verzichten und – falls eine Fiebersenkung überhaupt geboten ist – Parazetamol (BEN-U-RON, Generika) vorzuziehen. Leider zeichnen sich jedoch derzeit bereits Lieferschwierigkeiten bei Parazetamol ab.11
1 | Med. Universität Wien: Pressemitteilung vom 14. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=oich |
2 | DAY, M.: BMJ 2020, online publ. am 17. März 2020; doi: 10.1136/bmj.m1086 (1 Seite) |
3 | FANG, L. et al.: Lancet Respir. Med., online publ. am 11. März 2020, doi: 10.1016/S2213-2600(20)30116-8 (1 Seite); http://www.a-turl.de/?k=udor |
4 | EMA: Pressemitteilung vom 18. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=chel |
5 | WHO: Tweet vom 18. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=ollh |
6 | Bundesamt für Gesundheit, Schweiz: Ist Ibuprofen gefährlich bei einer Infektion mit dem Coronavirus? 15. März 2020 |
7 | National Health Service: Stay at home advice-Coronavirus (COVID-19), Stand 19. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=ench |
8 | LINDMEIER, C., zit. nach MÜLLER, C.: DAZ online vom 18. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=tolp |
9 | ANSM: COVID-19: l’ANSM prend des mesures pour favoriser le bon usage du paracétamol, 17. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=agen |
10 | KOLATA, G.: New York Times vom 17. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=urte |
11 | TRÖBITSCHER, N.: Apotheke adhoc, 18. März 2020; http://www.a-turl.de/?k=hnat |
© 2020 arznei-telegramm, publiziert am 20. März 2020
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