Im ersten Teil der Übersicht (a-t 2006; 37: 56-8) haben wir allgemeine
Therapieprinzipien und die Datenlage zum Indikationsbereich Heuschnupfen dargestellt. Jetzt folgt die Bewertung des Nutzens der Immuntherapie bei allergischem
Asthma und bei Insektengiftallergien sowie ein Überblick über die Störwirkungen der Behandlung.
Asthma bronchiale: Die Immuntherapie zur Behandlung des allergischen Asthma
bronchiale ist umstritten, da schweres Asthma als Risikofaktor für bedrohliche Schadwirkungen gilt. Die aktuelle deutsche "Nationale Versorgungsleitlinie
Asthma"1 gibt eine zurückhaltende Empfehlung ab. Hingegen wird die Immuntherapie in der Leitlinie der deutschen Allergologen als gut untersuchte
empfehlenswerte Therapieoption neben Allergenkarenz und Pharmakotherapie bezeichnet, zumindest für junge Patienten mit Mono- oder Oligosensibilisierung
und klarem Bezug der Symptome zur Allergenbelastung.2 Wichtigste Grundlage der positiven Bewertung ist eine 2003 aktualisierte systematische
Übersicht der COCHRANE Collaboration, in die 75 Studien mit insgesamt 3.188 Asthmapatienten mit vorwiegend milder Erkrankung eingeschlossen
sind.3 Als Allergenquellen dienen unter anderem Hausstaubmilben (33 Studien), Pollen (20 Studien) und Tierhaare (10 Studien). An mehreren
Untersuchungen haben auch Kinder und Jugendliche teilgenommen. Die Autoren berechnen auf Grundlage von 28 Studien eine Besserung in Symptomscores um
34%. In 22 Studien wird lediglich erfasst, ob sich Asthmasymptome bessern oder verschlechtern. Anhand dieser Arbeiten wird berechnet, dass je nach Allergen drei
(Pollen) bis sechs (Hausstaubmilben) Patienten behandelt werden müssen, um bei einem eine Verschlechterung von Asthmasymptomen zu verhindern
(Numbers needed to treat) oder fünf Patienten, um eine Eskalation der Asthmamedikation zu verhindern. Ein Einfluss auf die Lungenfunktion kann jedoch nicht
gesichert werden.
Die Datenbasis für die insgesamt positive Bewerung ist fragwürdig: 30 (40%) der 75 Studien erreichen im JADAD-Score, der die methodische Qualität
bewertet, maximal zwei von fünf möglichen Punkten und müssen daher als wenig valide eingestuft werden. Nur 4 (5%) der 75 Studien erfüllen
alle Qualitätskriterien. Die Autoren weisen zwar auf diese Mängel hin, lassen sie jedoch in der Bewertung unberücksichtigt: Es fehlen
Sensitivitätsanalysen, in denen z.B. die Wirksamkeit in den methodisch guten Studien separat berechnet wird, sowie die Kalkulation eines Publikationsbias
(Hinweis auf das Vorhandensein "negativer" Studien, die unveröffentlicht bleiben). Daher erscheint das angegebene Ausmaß des Nutzens unrealistisch.
Zudem verlaufen ausgerechnet größere und methodisch gut durchgeführte Studien negativ: Eine 18-monatige Immuntherapie bleibt bei 121
polysensibilisierten Kindern mit mittelschwerem bis schwerem Asthma ohne Einfluss auf die erforderliche Asthmamedikation (primärer Endpunkt) oder die
Symptomatik.4 Systemische Reaktionen treten in dieser Arbeit bei 2,6% der Injektionen auf, in knapp der Hälfte dieser Ereignisse sind
sympathomimetische Medikamente erforderlich.
In eine aktuelle Studie werden 72 Patienten mit mildem bis mittelschwerem durch Milben induziertem Asthma aufgenommen. Eine zusätzlich zur Leitlinien-
gerechten Behandlung des Asthmas einschließlich Allergenkarenz durchgeführte dreijährige Immuntherapie bleibt ohne Einfluss auf Lungenfunktion
(primärer Zielparameter) und Medikamentengebrauch. Die Symptome sind nur während des zweiten Behandlungsjahres statistisch signifikant gebessert.
Am Ende der dreijährigen Beobachtungszeit ergibt sich kein Unterschied.5
Nicht untersucht ist der Effekt im Vergleich - also nicht zusätzlich - zu konventioneller Therapie wie inhalativen Kortikosteroiden. Wir erachten den Nutzen bei
Asthmapatienten nach derzeitiger Datenbasis als unzureichend gesichert. Das Risiko für systemische Schadwirkungen ist zudem höher als bei
Heuschnupfen. Schweres Asthma (Einsekundenkapazität [FEV1] unter 70% des Sollwertes) gilt nach allen Empfehlungen ohnehin als Kontraindikation für
eine Immuntherapie.2,6
Insektengiftallergien: Stiche von Bienen oder Wespen, aber auch von bestimmten
Ameisen ("Feuerameise"), können bei sensibilisierten Menschen schwere Allgemeinreaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock auslösen. Etwa 20
Insektenstiche sollen pro Jahr in Deutschland tödlich enden.7 Aktuelle Empfehlungen raten zur Immuntherapie, wenn ein Stich schwere systemische
Reaktionen ausgelöst hat und eine allergische Sensibilisierung nachgewiesen werden konnte (positiver Hauttest und/oder allergenspezifisches IgE gegen
Insektengift).2,6,8
Die Wirksamkeit ist nur in wenigen randomisierten kontrollierten Studien überprüft worden. Nach ersten positiven Ergebnissen wurden weitere
plazebokontrollierte Untersuchungen als unethisch angesehen. 59 Patienten mit anamnestisch erfasster systemischer Reaktion auf Bienen- oder Wespenstiche -
wobei als "systemisch" auch ausgeprägte Hautreaktionen zählen - erhalten randomisiert sechs bis zehn Wochen lang eine Behandlung mit Insektengift,
"Ganzkörperextrakten" der auslösenden Insekten oder Plazebo. Die gezielte Exposition mit einem Insektenstich nach der Behandlung führt nur bei 3
(5%) der mit Insektengift Behandelten zu einer systemischen Reaktion, hingegen bei 35 (60%) bzw. 38 (65%) in den beiden anderen Gruppen.9
Ein protektiver Effekt ist auch in einer Studie mit 242 Kindern und Jugendlichen zwischen 2 und 16 Jahren mit anamnestisch erfasster allergischer Hautreaktion nach
Insektenstichen nachweisbar: Bei vierjähriger Nachbeobachtung kommt es bei 16 (19%) von 86 der unbehandelten, jedoch nur bei 1 (3%) von 36 Patienten in
der behandelten Gruppe zu einer systemischen Reaktion auf einen Insektenstich. Sämtliche Reaktionen sind jedoch auf die Haut beschränkt, und die
meisten werden als milder eingestuft als die, die ursprünglich zur Therapie geführt haben.10 Ein blander Verlauf nach ausgeprägten
Hautreaktionen scheint auch ohne Immuntherapie die Norm zu sein: In einer retrospektiven Nachbeobachtung von 512 Kindern führen nur 10% späterer
Stiche ohne jede prophylaktische Therapie zu systemischen Reaktionen.11 Zwar scheint sich die Rate durch Immuntherapie weiter senken zu lassen.
Für bis zu 16-jährige mit lediglich ausgeprägter Hautreaktion (Urtikaria) in der Vorgeschichte wird dennoch von einer Immuntherapie
abgeraten.8
Wie lange die Behandlung durchgeführt werden soll, ist nicht gut untersucht. In einer Nachuntersuchung von 74 Patienten, bei denen nach mindestens
fünfjähriger Behandlung die Immuntherapie abgesetzt wird und die kontrolliert über weitere fünf Jahre gezielt Wespen- oder Bienenstichen
ausgesetzt werden, erleidet nur jeder Zehnte (7 von 74 Personen) eine systemische Reaktion (8 von 270 Stichen, 3%). Nur zwei der Reaktionen werden als klinisch
bedeutsam eingestuft, Todesfälle treten keine auf.12 Absetzen nach fünfjähriger Behandlung gilt daher als überwiegend
sicher.
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Schwere anaphylaktische Reaktionen und Asthmaanfälle in Verbindung mit der Immuntherapie können
noch Jahre nach Beginn einer Behandlung auftreten, die bis dahin problemlos vertragen wurde. In Großbritannien wird 1986 über 26 Todesfälle seit
1957 berichtet mit auffälliger Häufung kurz vor der Publikation (a-t 1986, Nr. 10: 104).13 Die Patienten sind infolge anaphylaktischer Reaktionen
und/oder schwerer Bronchokonstriktion gestorben. Die meisten waren wegen allergischen Asthmas behandelt worden (16 [62%] von 26, bei 9 ist die Indikation
unklar). Die Vorschriften für die Immuntherapie wurden daraufhin in Großbritannien verschärft (zweistündige Nachbeobachtung), später
jedoch wieder gelockert. Auch in anderen Berichten fällt ein erhöhtes Risiko für Asthmatiker auf: In einer Fallserie aus den USA betreffen 13 (76%)
von 17 zwischen 1985 und 1989 aufgetretenen Todesfällen unter Immuntherapie Asthmakranke.14
Unverträglichkeiten können auch später als 30 Minuten nach der Injektion auftreten. In einer einjährigen prospektiven Beobachtungsstudie
kommt es bei insgesamt 26.800 Injektionen zu 143 systemischen Reaktionen (0,51%; Zahl der Patienten wird nicht angegeben). Etwa drei Viertel davon ereignen
sich innerhalb von 30 Minuten nach Injektion, 8% jedoch noch 2 bis 24 Stunden danach, darunter mehrere schwerwiegende Ereignisse. Blutdruckabfall wird bei "ein
oder zwei" Ereignissen berichtet. Todesfälle treten nicht auf.15
Das Paul-Ehrlich-Institut gibt laut einer Leitlinie auf der Basis von Spontanberichten eine Inzidenz für schwere, lebensbedrohliche systemische Reaktionen von
1 : 10.000 bis 1 : 2 Mio. Injektionen an.2 Bei diesen Angaben muss jedoch von einer erheblichen Dunkelziffer ausgegangen werden. Wir erhalten trotz
mehrfacher Anfragen keine Auskünfte aus dem Paul-Ehrlich-Institut zu Störwirkungsspektrum und -häufigkeit unter Immuntherapie in Deutschland.
Schätzungen aus Studien beziffern die Zahl der Patienten, die von systemischen (nicht ausschließlich lebensbedrohlichen) Reaktionen betroffen sind, auf
4% bis 5%.16
Als Risikofaktor für schwere Störwirkungen gilt übereinstimmend die Asthmaerkrankung, insbesondere schweres, instabiles Asthma.2,6
Gefährdet scheinen zudem Patienten mit ausgeprägter Sensibilisierung und akuten allergischen Symptomen während der Behandlung zu sein.
Schnelles Aufdosieren ("Rush"- oder "Cluster"-Immuntherapie) verschlechtert zumindest in älteren Studien die Verträglichkeit zu Beginn der Behandlung.
Betablocker wie Metoprolol (BELOC u.a.) erhöhen zwar nicht die Rate der Störwirkungen, können jedoch Asthmasymptome und Kreislaufreaktionen
verstärken und die Behandlung im Falle eines anaphylaktischen Schocks erschweren.17
In den aktuellen Leitlinien werden ACE-Hemmer wie Enalapril (XANEF u.a.) nicht mehr explizit als Kontraindikation erwähnt.2,6 Gut dokumentierte
Einzelberichte weisen jedoch auf einen Zusammenhang von ACE-Hemmer-Einnahme mit schweren anaphylaktischen Reaktionen unter Immuntherapie wegen
Insektengiftallergien hin (a-t 2000; 31: 63).18 Wir raten daher von einer gleichzeitigen
Anwendung ab. Patienten mit schweren (kardiovaskulären) Begleiterkrankungen sind hinsichtlich systemischer Störwirkungen ebenfalls
gefährdet.
Ein Teil der bei Hyposensibilisierung in der Praxis auftretenden unerwünschten Wirkungen lässt sich vermutlich verhindern: inadäquate
Dosissteigerungen und körperliche Aktivität nach der Injektion sollen vermieden werden.2 Kontraindikationen und Nachbeobachtungszeiten sind
zu beachten.
Zur Verringerung allergischer Störwirkungen wird hierzulande die Prämedikation mit weniger sedierenden Antihistaminika wie Cetirizin (ZYRTEC u.a.)
positiv bewertet.2 Amerikanische Leitlinien raten aber vom routinemäßigen Gebrauch ab,6 da die Symptome möglicherweise nur
maskiert werden und schwere Ereignisse nach Ablauf der Beobachtungszeit auftreten können. Andere selten bzw. vereinzelt geschilderte Nebenwirkungen in
Verbindung mit der Immuntherapie sind neuropathische Beschwerden19 und Vaskulitis.20
- Die Datenlage bei allergischem Asthma erscheint uns für eine Empfehlung der Immuntherapie (Hyposensibilisierung) zu unsicher. Zudem treten
bedrohliche Störwirkungen in dieser Patientengruppe häufiger auf. Nutzenvergleiche mit der Standardtherapie einschließlich inhalativer Kortikoide
fehlen. Die Immuntherapie von Asthmatikern sollte daher ausschließlich im Rahmen guter randomisierter kontrollierter Studien erfolgen.
- Auf der Basis weniger Studien scheint die Immuntherapie bei Bienen- und Wespengiftallergikern die Zahl schwerer systemischer Reaktionen deutlich zu
verringern. Bei Kindern mit ausschließlicher Hautreaktion (Urtikaria) ist jedoch auf Grund des blanden natürlichen Verlaufs keine Hyposensibilisierung
erforderlich.
- Schwere Störwirkungen wie Anaphylaxie und Asthmaanfälle sind zwar selten, aber potenziell lebensbedrohlich. Kontraindikationen und erforderliche
Nachbeobachtungszeiten sind daher strikt zu beachten.
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