TRASTUZUMAB (HERCEPTIN) IN DER ADJUVANTEN BRUSTKREBSTHERAPIE | ||||||||||||||||||||||||||||||||||
Seit Oktober 2000 ist der monoklonale Antikörper Trastuzumab (HERCEPTIN) für Frauen mit metastasiertem Brustkrebs zugelassen, bei
denen der Tumor im Übermaß einen Rezeptor für den humanen epidermalen Wachstumsfaktor 2 (HER2) produziert. Dies betrifft etwa 25% der
Mammakarzinome und ist mit etablierten Risikofaktoren für eine ungünstige Prognose assoziiert (negativer Hormonrezeptorstatus, höheres
Tumorgrading, Tumorgröße). In klinischen Studien verlängert Trastuzumab die Überlebenszeit um mehrere Monate (a-t 2002; 33: 63-4).1,2 Dem stehen eine ausgeprägte Kardiotoxizität besonders bei Kombination mit
Anthrazyklinen sowie unter Umständen letal verlaufende Hypersensitivitätsreaktionen gegenüber (a-t 2000;
31: 56).
Primärer Endpunkt der gemeinsamen Zwischenanalyse der Behandlungsarme mit zeitgleicher Paclitaxel- und Trastuzumab-Therapie im Vergleich zu den Kontrollregimen ohne den Antikörper ist das krankheitsfreie Überleben (Zeit bis zum Auftreten von Metastasen, kontralateralem Brustkrebs, zweitem Primärtumor außerhalb der Brust oder Tod vor Auftreten eines anderen primären Ereignisses). Zum Zeitpunkt der Auswertung, nach einer medianen Nachbeobachtung von zwei Jahren (1,5 bzw. 2,4 Jahre in den Einzelstudien), sind 394 primäre Ereignisse aufgetreten, 133 (8,0%) unter Trastuzumab und 261 (15,5%) in der Kontrollgruppe (Hazard Ratio [HR] 0,48; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,39-0,59; Number needed to treat [NNT] = 14). Dieser Effekt soll auch jeweils in den einzelnen Studien nachweisbar sein. Die Gesamtsterblichkeit, einer der sekundären Endpunkte, wird mit 62 (3,7%) versus 92 (5,5%) ebenfalls - und zumindest nominell signifikant - gesenkt (HR 0,67; 95% CI 0,48-0,93, p = 0,015, NNT = 56).4 Bei Anwendung von Trastuzumab nach Abschluss der Paclitaxel-Behandlung lässt sich nach unvollständig veröffentlichten Daten kein Vorteil hinsichtlich des krankheitsfreien Überlebens gegenüber dem Kontrollregime ohne den Antikörper nachweisen (103 vs. 117 Ereignisse; HR 0,87; 95% CI 0,67-1,13). Beginn der Trastuzumab- Anwendung zeitgleich mit Paclitaxel erweist sich nach diesen Daten der sequenziellen Anwendung als überlegen (53 vs. 84 Ereignisse; HR 0,64; 95% CI 0,46-0,91).6 Unter Trastuzumab wird die LVEF regelmäßig gemessen und die Anwendung bei Unterschreiten festgelegter Grenzwerte vorübergehend oder permanent ausgesetzt. 364 (31,4%) von 1.159 Frauen, die nach Chemotherapie eine ausreichende LVEF aufweisen und Trastuzumab erhalten, beenden die Anwendung vorzeitig, am häufigsten wegen asymptomatischen Unterschreitens der für die LVEF festgelegten Grenzwerte (14,2%), 4,7% wegen manifester kardialer Beschwerden. Trotz der strengen Ausschlusskriterien und des engmaschigen kardialen Monitorings betragen die kumulativen Raten für schwere Herzinsuffizienz (NYHA III oder IV) oder kardialen Tod bei bis zu dreijähriger Nachbeobachtung in den einzelnen Studien unter Trastuzumab 4,1% bzw. 2,9% gegenüber 0,8% bzw. 0% in den Kontrollgruppen. Berechnet auf etwa gleich große Patientinnenzahlen sind in beiden Studien zusammen unter Trastuzumab etwa zehnmal so viele Frauen betroffen im Vergleich zur Gruppe ohne den Antikörper (55 versus 5 Patientinnen). Neun Frauen erkranken unter Trastuzumab an interstitieller Pneumonitis (Kontrolle: keine), zwei von ihnen versterben.4 In die dritte multinationale Untersuchung (HERA**-Studie)5 werden 5.081 im Mittel 49 Jahre alte Frauen mit operiertem invasiven HER2-positiven Brustkrebs aufgenommen. Über 80% sind jünger als 60 Jahre. Bei einem Drittel lässt sich keine Metastasierung in die Achsellymphknoten feststellen. Knapp die Hälfte hat einen negativen Hormonrezeptorstatus. Bei 60% ist der Tumor schlecht differenziert, bei 33% mäßig. Die Ausschlusskriterien entsprechen in etwa denen der beiden anderen Studien. Nach Abschluss der Chemotherapie (verschiedene vorher festgelegte Regime sind möglich) und ggf. Bestrahlung werden 1.693 Patientinnen beobachtet, 1.694 Frauen erhalten initial 8 mg/kg Trastuzumab i.v., dann alle drei Wochen 6 mg/kg für insgesamt 52 Wochen. Eine weitere, bislang nicht ausgewertete Gruppe wendet den Antikörper zwei Jahre lang an.5 Die Randomisierung erfolgt innerhalb von sechs Wochen nach Beginn des letzten Chemotherapiezyklus oder der letzten Bestrahlung oder der Operation. Die Hälfte der Patientinnen beginnt mit der Trastuzumab-Anwendung innerhalb von 8,4 Monaten nach Diagnose des Mammakarzinoms (Interquartilabstand 7,1-9,6 Monate).5
Auf den ersten Blick wirken die Ergebnisse der Studien beeindruckend. Trotz der allgemeinen Euphorie bleiben jedoch Vorbehalte: Alle drei Studien weisen deutliche Qualitätsmängel auf, die das Vertrauen in die Ergebnisse mindern: Sie haben ein offenes Design, und es findet offenbar weder eine verblindete Erhebung der Endpunkte noch eine Überprüfung dieser Ereignisse durch ein unabhängiges Expertenkomitee statt. Anscheinend erfolgt nicht einmal die Zuordnung zu den einzelnen Behandlungsgruppen verdeckt, was bei einem offenen Design besonders schwer wiegt. Darüber hinaus bleibt in beiden Arbeiten offen, wie viele Patientinnen in der Nachbeobachtung verloren gehen bzw. von wie vielen bekannt ist, ob sie leben oder verstorben sind. Die gemeinsame Auswertung der beiden mit öffentlichen Geldern mitfinanzierten Studien war nicht vorab geplant.4,7 Dass die NSABP-B31-Studie als primäre Endpunkte Gesamtüberleben und Kardiotoxizität vorsieht, wird verschwiegen, ebenso die Tatsache, dass der Trastuzumab- plus Paclitaxel-Arm der NCCTG-N9831-Studie wegen kardialer Sicherheitsbedenken vorübergehend unterbrochen wurde.8 Das in den gemeinsam ausgewerteten Studien gewählte Chemotherapieregime entspricht nicht dem Standard. Welche Wirksamkeit die verwendete Zweifachkombination von Doxorubicin und Cyclophosphamid, gefolgt von Paclitaxel, im Vergleich zum derzeitigen Standard, einer Anthrazyklin-haltigen Dreifachkombination, hat, ist nicht in randomisierten Studien geprüft.9 Beim primären Endpunkt der beiden Veröffentlichungen, krankheitsfreies Überleben, handelt es sich um einen - sicherlich häufig gewählten - Surrogatparameter. Das eigentlich interessierende "harte" Kriterium, die Gesamtsterblichkeit, wird in den Publikationen nur als sekundärer Endpunkt ausgewertet. Ein Vorteil für Trastuzumab lässt sich hier zudem nur in einer der beiden Arbeiten nachweisen, mit einem für einen sekundären Endpunkt unseres Erachtens nicht hinreichend sicheren Signifikanzniveau. Möglicherweise war die Nachbeobachtungszeit von im Median einem Jahr in der HERA-Studie zu kurz. Dieses Problem ist aber durch die Entscheidung, die Ergebnisse der Studie vorzeitig zu veröffentlichen, hausgemacht. Der nicht nur bei Onkologie-Studien zu beobachtende Trend, Zwischenanalysen zu veröffentlichen, verschlechtert in Kombination mit dem üblicherweise gewählten primären Endpunkt krankheitsfreies Überleben die Qualität der therapeutischen Entscheidung, da diese dadurch auf sehr kurzen Nachbeobachtungszeiten basiert und relevante Fragen unter Umständen nicht mehr untersucht werden können. Speziell für Trastuzumab in der adjuvanten Therapie könnte daher letztlich offen bleiben, ob der Antikörper tatsächlich über einen über zwei Jahre hinaus gehenden Zeitraum die Gesamtsterblichkeit von Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs senkt. Wie sowohl die Autoren beider Veröffentlichungen als auch andere Brustkrebsexperten betonen, lässt sich auch die kardiale Langzeittoxizität von Trastuzumab derzeit nicht abschätzen.4,5,7 Der monoklonale Antikörper Trastuzumab (HERCEPTIN) erhöht das krankheitsfreie Überleben in der adjuvanten Brustkrebstherapie bei Frauen mit HER2-positivem Mammakarzinom in zwei Veröffentlichungen nach ein- bzw. zweijähriger Nachbeobachtung um 5,5% bzw. 7,5%. Das entscheidende Kriterium, die Gesamtsterblichkeit, wird in beiden Arbeiten nur als sekundärer Endpunkt ausgewertet. Nur in der gepoolten Analyse lässt sich hier für Trastuzumab ein zumindest nominell signifikanter Effekt nachweisen. Das in diesen beiden gemeinsam ausgewerteten Studien verwendete Chemotherapieregime entspricht nicht dem derzeiten Standard. Ob es bei Kombination mit Trastuzumab dem Standard überlegen oder zumindest gleichwertig ist, bleibt offen. Beide Veröffentlichungen weisen deutliche Qualitätsmängel wie nicht verblindete Endpunkterhebung auf. Auch fehlen hinreichende Daten zur Nachbeobachtung, so beispielsweise die Angabe, von wie vielen Frauen bekannt ist, ob sie leben oder verstorben sind. Durch die vorzeitige Veröffentlichung der Zwischenergebnisse wird der dringend benötigte weitere Erkenntnisgewinn geschmälert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Der Nutzen von Trastuzumab in der adjuvanten Brustkrebstherapie lässt sich daher unseres Erachtens beim derzeitigen Kenntnisstand nicht hinreichend beurteilen. Wird dennoch eine Behandlung mit dem Antikörper erwogen, beispielsweise bei Kontraindikationen gegenüber dem Standardregime, sind haftungsrechtliche Probleme der nicht zugelassenen Anwendung zu beachten. Die Therapie muss sich nach dem Vorgehen in den veröffentlichten Studien richten unter Einhaltung der Ein- und Ausschlusskriterien wie auch der engmaschigen kardiologischen Überwachung. Für die einjährige Behandlung einer 60 kg schweren Frau mit initial 4 mg/kg Körpergewicht Trastuzumab, gefolgt von wöchentlichen Anwendungen von 2 mg/kg, sind knapp 34.000 € aufzuwenden. Muss der Rest der angebrochenen Infusionsflaschen verworfen werden, steigen die jährlichen Kosten auf 42.000 €.
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