JOHANNISKRAUT: SO GUT ODER SCHLECHT | ||||||||||||||||||||
Vor drei Jahren beurteilten wir die Datenlage zur antidepressiven Wirksamkeit von Johanniskrautextrakt (JARSIN u.a.) als unzureichend (a-t 2002; 33: 53). Der Großteil älterer Studien eignet sich aufgrund schwerer methodischer Mängel nicht
als Nutzenbeleg. Welche Inhaltsstoffe für die postulierten antidepressiven Effekte verantwortlich sind, bleibt unklar. Eine sinnvolle Standardisierung der Extrakte
und damit eine kalkulierbare Behandlung werden dadurch erschwert.
Zwei weitere kürzlich veröffentlichte Studien tragen wenig zur Klärung bei: In einer überwiegend von Angestellten und Beratern der Firma Schwabe durchgeführten sechswöchigen Studie bei mittelschwerer bis schwerer Depression schneidet Johanniskraut etwas besser ab als Paroxetin (SEROXAT u.a.; Besserung auf der HAMD unter Paroxetin versus Johanniskraut 11,4 vs. 14,4 Punkte, Unterschied signifikant).3 Im zwölfwöchigen Vergleich mit Sertralin bei mittelschwerer Verlaufsform ergeben sich keine Unterschiede in den Verbesserungen auf der Depressionsskala.4 Da beide Studien keinen Arm mit Scheinmedikament haben, ist das Ausmaß des über den Plazeboeffekt hinausgehenden Therapieerfolges nicht abschätzbar. Eine dreiarmige Studie,5 nach der eine sechswöchige Behandlung mit Johanniskraut ebenso wirksam wie Citalopram und wirksamer als Plazebo sein soll, liegt derzeit nur als Abstract vor und ist daher nicht beurteilbar. Laut COCHRANE-Review treten Störwirkungen seltener auf als unter synthetischen Antidepressiva (RR 0,39; 95% CI 0,31-0,50). Dass sich im Vergleich mit Plazebo ein statistisch nicht signifikanter Trend zu selteneren Nebenwirkungen ergibt (RR 0,79; 95% CI 0,61-1,03)1, spricht unseres Erachtens gegen die Zuverlässigkeit der Erfassung der Störwirkungen. Selbst schwere Interaktionen mit häufig angewendeten Arzneimitteln wie Digoxin (LANICOR u.a.), Theophyllin (SOLOSIN u.a.), Ciclosporin (SANDIMMUN u.a.) und oralen Antikoagulanzien (MARCUMAR u.a.) sind in der Praxis erst bei zunehmender Verbreitung des Extraktes aufgefallen (a-t 2000; 31: 15 und 31). Bedenklich erscheint dabei, dass rezeptfreie Produkte wie Johanniskraut oft ohne Wissen des behandelnden Arztes eingenommen werden. Kumulierte Daten lassen eine allenfalls minimale Wirksamkeit von Johanniskraut (JARSIN u.a.) gegenüber Plazebo in der Therapie der Depression erkennen. Vergleichsstudien, in denen Johanniskraut ähnlich abschneidet wie synthetische Antidepressiva, lassen vermutlich nicht den Schluss auf einen klinisch relevanten Nutzen von Johanniskraut zu. Die Ergebnisse dürften eher mit dem ebenfalls nur unwesentlich über den Plazeboeffekt hinausgehenden Nutzen der klassischen Antidepressiva zu erklären sein. Klinisch relevante Interaktionen mit gängigen Arzneimitteln schränken die Anwendbarkeit insbesondere für ältere multimorbide Patienten ein.
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