In einer Studie wird auf die Verminderung der durch Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX) beabsichtigten Thrombozytenaggregationshemmung
bei gleichzeitiger Gabe von Atorvastatin (SORTIS) hingewiesen.1 Wie schätzen Sie die klinische Relevanz dieser Interaktion ein?
Dr. med. R. DIETRICH (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-58706 Menden
Interessenkonflikt: keiner
Der Thrombozytenaggregationshemmer Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX) wird erst in der Leber durch Cytochrom P450 (CYP)-Enzyme - vor allem durch CYP 3A4 -
in den wirksamen Metaboliten umgewandelt. Auch die CSE-Hemmer Atorvastatin (SORTIS), Lovastatin (MEVINACOR u.a.) und Simvastatin (ZOCOR u.a.) werden
durch CYP 3A4 verstoffwechselt. Durch Konkurrenz um das CYP-Enzym kann die gleichzeitige Einnahme die Aktivierung von Clopidogrel daher theoretisch mindern.
Im Laborversuch nimmt die Clopidogrelmetabolisierung durch CYP 3A4 in Gegenwart von Atorvastatin deutlich ab.1 Pravastatin (PRAVASIN u.a.) und
Fluvastatin (CRANOC, LOCOL) werden dagegen weitgehend unabhängig von CYP 3A4 abgebaut.
In der im Leserbrief erwähnten nicht randomisierten Studie nehmen 44 Patienten vor und nach elektiver Koronarangioplastie (PTCA) mit Stenteinlage
Clopidogrel ein. Bei Atorvastatin-Anwendern ist die Thrombozytenaggregation bis maximal acht Tage nach dem Eingriff dosisabhängig weniger gehemmt als bei
den Patienten, die Pravastatin einnehmen. Bei gesunden Probanden nimmt die Clopidogrelwirkung unter gleichzeitiger Einnahme des CYP-Enzym-Induktors
Rifampicin (RIFA u.a.) zu, während Hemmstoffe wie Erythromycin (ERYTHROCIN u.a.) die Wirkung verringern.2 Die Methode, mit der die
Plättchenfunktion in diesen Untersuchungen gemessen wird, wird allerdings als wenig etabliert und unzureichend kritisiert.3,4
Lediglich in einer weiteren Studie mit 47 PTCA-Patienten findet sich ebenfalls ein abgeschwächter Clopidogreleffekt bei gleichzeitiger Einnahme von
Atorvastatin oder Simvastatin.5 Sechs andere Laboruntersuchungen mit bis zu 180 Patienten oder gesunden Probanden lassen dagegen keinen Einfluss
verschiedener CSE-Hemmer auf die anhand der Plättchenaggregation oder -aktivierung gemessene Clopidogrelwirkung erkennen.6-11 Mängel
wie die überwiegend fehlende Randomisierung, niedrige Atorvastatin- und hohe Clopidogreldosis oder kleine Fallzahlen schränken die Validität auch
dieser Studien ein.
Randomisierte klinische Studien zur Klärung des Problems liegen nicht vor. In einer retrospektiven Auswertung der CREDO*-Studie,12 in der mehr als
2.000 PTCA-Patienten randomisiert Clopidogrel oder Plazebo einnehmen, liegt die relative Reduktion des primären Endpunktes (Tod, Herzinfarkt oder
Schlaganfall nach einem Jahr) unter gleichzeitiger Einnahme von Pravastatin bei 63,3% gegenüber 49,8% unter Komedikation mit Atorvastatin.13 Der
Unterschied ist nicht signifikant, allerdings war die Studie für diese Auswertung auch nicht "gepowert". Aus retrospektiv erhobenen Daten des
deutschen Herzinfarktregisters MITRA-PLUS* ergibt sich ebenfalls kein statistisch signifikanter Einfluss von Atorvastatin auf die Clopidogrelwirkung. Numerisch liegt
die Mortalität unter Clopidogrel plus Atorvastatin jedoch um relativ 26% höher als bei Kombination mit anderen CSE-Hemmern,14 wobei hier allerdings die
CYP-3A4-abhängigen Statine Simvastatin und Lovastatin mit Pravastatin und Fluvastatin zusammen ausgewertet werden. In einer bisher nicht vollständig
veröffentlichten Auswertung kanadischer Versorgungsdaten sollen sich kardiovaskuläre Komplikationen innerhalb von 30 Tagen nach Koronarintervention
verdoppeln, wenn die Patienten zusätzlich zu Clopidogrel Atorvastatin einnehmen (relatives Risiko 2,0, 95% Konfidenzintervall 1,29-3,23).15
* |
CREDO = Clopidogrel for the Reduction of Events During Observation
MITRA-PLUS = Maximal Individual Therapy of Acute Myocardial Infarction PLUS
|
Auf der Basis der vorliegenden experimentellen und epidemiologischen klinischen Daten lässt sich die Relevanz der möglichen Interaktion nicht
abschließend bewerten. In der Langzeitsekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen dürfte die Frage bei Therapie
gemäß Langzeitinterventionsstudien und evidenzbasierter Leitlinien für die meisten Patienten keine Rolle spielen, da hier weder Clopidogrel noch
Atorvastatin Mittel der Wahl sind (a-t 2004; 35: 25-6 und 56-
60).
In einer der wichtigsten Indikationen für Clopidogrel, der befristeten Einnahme zusätzlich zu Azetylsalizylsäure (ASPIRIN u.a.) beim akuten
Koronarsyndrom, hat allerdings Atorvastatin unter den CSE-Hemmern die besten Daten. Der direkte Vergleich von Atorvastatin mit Pravastatin beim akuten
Koronarsyndrom in der PROVE-IT-Studie (a-t 2004; 35: 41-2),16 in der 72% der Teilnehmer gleichzeitig
Clopidogrel oder Ticlopidin (TIKLYD u.a.) einnehmen, scheint dabei gegen eine ungünstige Wechselwirkung zu sprechen.
Eine zuverlässige Bewertung der klinischen Relevanz einer möglichen
Interaktion zwischen Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX) und dem CSE-Hemmer Atorvastatin (SORTIS), eventuell auch Simvastatin (ZOCOR u.a.) und Lovastatin
(MEVINACOR u.a.) lässt sich aus Mangel an validen Daten derzeit nicht abgeben.
Bei der Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen spielt die
mögliche Wechselwirkung bei den meisten Patienten keine Rolle, da hier weder Clopidogrel noch Atorvastatin Mittel der Wahl sind.
Ist Clopidogrel angezeigt, sollte es vorsichtshalber nicht mit Atorvastatin kombiniert
werden. Einzige Ausnahme stellt das akute Koronarsyndrom bei unter 65-Jährigen, ohne ST-Hebungsinfarkt und ohne Statinvorbe-handlung dar. Hier spricht
die derzeitige Evidenz für einen Nutzen der Kombination.
| | (R = randomisierte Studie)
|
| 1 | CLARKE, T.A., WASKELL, L.A.: Drug
Metab. Dispos. 2003; 31: 53-9 |
| 2 | LAU, W.C. et al.: Circulation 2003; 107: 32
-7 |
| 3 | SHECHTER, M.: Circulation 2003; 107:
e210 |
| 4 | SEREBRUANY, V.L. et al.: Circulation
2003; 107: 1568-9 |
| 5 | NEUBAUER, H. et al.: Eur. Heart J. 2003;
24: 1744-9 |
| 6 | GORCHAKOVA, O. et al.: Eur. Heart J. 2004; 25: 1898-
902 |
R | 7 | MITSIOS, J.V. et al.:
Circulation 2004; 109: 1335-8 |
R | 8 | MÜLLER, I. et al.:
Circulation 2003; 108: 2195-7 |
R | 9 | PIORKOWSKI, M. et al.:
Thromb. Haemost. 2004; 92: 614-20 |
| 10 | SEREBRUANY, V.L. et al.: Arch. Intern.
Med. 2004; 164: 2051-7 |
| 11 | SEREBRUANY, V.L. et al.:
Atherosclerosis 2001; 159: 239-41
|
R | 12 | STEINHUBL, S.R. et al.:
JAMA 2002; 288: 2411-20 |
| 13 | SAW, J. et al.: Circulation 2003; 108: 921
-4 |
| 14 | WIENBERGEN, H. et al.: Am. J. Cardiol.
2003; 92: 285-8 |
| 15 | BROPHY, J. et al.: J. Am. Coll. Cardiol.
2004; 43: 50 A (Abstract) |
R | 16 | CANNON, C.P. et al.: N.
Engl. J. Med. 2004; 350: 1495-504 |
|