Die bisherige Datenlage zur Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) mit intravenösen Immunglobulinen (VENIMMUN u.a.) ist spärlich. In zwei
randomisierten kontrollierten Studien wird eine Senkung der Rückfallrate bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose dokumentiert1,2 (a-t 2001; 32: 106-10), eine dritte lässt keinen statistisch fassbaren Effekt erkennen.3 Ob Immunglobuline
das Fortschreiten von Behinderungen verzögern, ist unklar.4 Eine Verbesserung bereits eingetretener Funktionsstörungen -
Muskelschwäche, Visusverlust - lässt sich in zwei methodisch validen Studien nicht belegen.5,6
Jetzt erscheint erstmals eine größere Studie zu Immunglobulinen mit 318 Patienten, die an sekundär-progredienter MS leiden.7 Zu dieser Verlaufsform
gibt es bislang lediglich eine veröffentlichte Studie mit günstiger Wirkung von Interferon-beta 1b (BETAFERON) auf das Fortschreiten von Behinderungen
gemessen am EDSS*-Score,8 die aber durch vier weitere Studien mit Betainterferonen nicht bestätigt wird,9-12 sowie eine Positivstudie mit
dem kardiotoxischen Zytostatikum Mitoxantron (RALENOVA).13
Die Patienten der aktuellen Studie sind im Mittel 44 Jahre alt und seit durchschnittlich 14 Jahren an MS erkrankt. Der mittlere EDSS-Score beträgt 5,2. Bei
diesem Punktwert ist die Arbeitsfähigkeit stark eingeschränkt, die Patienten können aber noch eine begrenzte Strecke gehen. Sie erhalten 27
Monate lang monatlich eine drei- bis vierstündige Infusion mit 1 g Immunglobulin pro kg Körpergewicht oder eine 0,1%ige Albuminlösung als
Scheinmedikament.7
Mit 39 (25%) versus 19 (12%) Patienten brechen signifikant mehr Verumanwender die Therapie ab, davon 10 (6%) wegen unerwünschter Wirkungen. Weder
hinsichtlich des primären Endpunktes, der Zeit bis zu einem am EDSS-Score gemessenen Fortschreiten der Behinderung (relatives Risiko [RR] 1,11; 95%
Vertrauensintervall [CI] 0,80 bis 1,53), noch hinsichtlich irgendeines sekundären Endpunktes wie die jährliche Rückfallrate (0,46 in beiden Gruppen)
oder die im MRT gemessenen ZNS-Läsionen unterscheidet sich die Immunglobulintherapie von Plazebo.7
Unerwünschte Wirkungen sind jedoch unter Immunglobulinen signifikant häufiger (71% versus 57%; p = 0,01), darunter infusionsbegleitende Effekte wie
Kopfschmerzen, Fieber oder Schüttelfrost (4% versus 2%). Beunruhigend ist eine Häufung venöser Thromboembolien, die unter Immunglobulinen
sechs (3,8%) der Patienten betrifft im Vergleich zu einem (0,6%) der Plazebogruppe.7
Von der Anwendung intravenöser Immunglobuline (VENIMMUN u.a.) bei MS ist beim derzeitigen Kenntnisstand abzuraten (Achtung: keine zugelassene
Indikation). Die Publikation der gut zweijährigen Negativstudie, deren Randomisierungsphase im Oktober 1998 abgeschlossen war und die also mit erheblicher
Verzögerung erscheint, ist zu begrüßen. Eine Negativstudie mit Interferon-beta 1b (BETAFERON) bei sekundär progredienter MS liegt seit 2000
lediglich als Abstract14 ohne Ergebnismitteilung vor.
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