Mitte der 90er Jahre fielen im französischen Spontanerfassungssystem Multiple-Sklerose (MS)-Erkrankungen nach Hepatitis-B-Impfung (GEN H-B-
VAX u.a.) auf. Die französische Regierung stoppte daraufhin vorübergehend das Impfprogramm gegen Hepatitis B in Schulen (a-t 1998; Nr. 11: 104).1 In mehreren nachfolgenden epidemiologischen Untersuchungen, vorwiegend Fall-
Kontroll-Studien, ließ sich ein Zusammenhang der Impfung mit dem Auftreten von MS jedoch nicht sichern.2-8
Eine im September veröffentlichte Fall-Kontroll-Studie hat die Diskussion jetzt erneut angestoßen. Auf der Basis von Krankenakten der
Forschungsdatenbank britischer Allgemeinmediziner, die etwa 3 Millionen Patienten und damit 5% der Bevölkerung umfasst, errechnen die Autoren ein dreifach
erhöhtes MS-Risiko innerhalb von drei Jahren nach Hepatitis-B-Impfung (Odds Ratio [OR] 3,1; 95% Vertrauensintervall [CI] 1,5 - 6,3).1
Die in vieler Hinsicht methodisch gut durchgeführte Arbeit hat mehrere deutliche Schwächen, die ihre Aussagekraft einschränken. Von den
ursprünglich 713 Patienten der Datenbank mit MS-Diagnose werden 550 ausgeschlossen (wegen Nicht-Bestätigung der Diagnose nach Durchsicht der
Krankenakten, Wechsel des Hausarztes oder unzureichendem Zeitraum, der vor Krankheitsbeginn in der Datenbank erfasst ist). Dieser Auswahlprozess mag
Verzerrungen bewirken. In Großbritannien wurden zudem im Studienzeitraum zwischen 1993 und 2000 nur Hochrisikogruppen gegen Hepatitis B geimpft, also
medizinisches Personal, Reisende in Endemiegebiete, Dialysepatienten, Prostituierte oder Drogenabhängige. Inwieweit Befunde aus diesen speziellen Gruppen
verallgemeinert werden können, ist unklar. Schwerer wiegt möglicherweise, dass die Hepatitis-B-Impfung bei medizinischem Personal in
Großbritannien in der Regel durch den Betriebsarzt vorgenommen wird, so dass die Hausarzt-Datenbank den Impfstatus dieser Gruppe nur unvollständig
erfassen dürfte. Da die Odds Ratio der Studie aber auf sehr kleinen absoluten Zahlen beruht - 11 Geimpfte von 163 MS-Kranken versus 39 Geimpfte von 1565
ohne MS - könnten unvollständige Daten zum Impfstatus das Ergebnis in Frage stellen.9,10
Eine biologische Erklärung für einen Zusammenhang fehlt. Virusinfektionen, z.B. Ebstein-Barr-Virus, werden zwar als Auslöser für MS
diskutiert.1 Zwischen Infektionen mit Hepatitis-B-Virus und MS wird jedoch kein Zusammenhang gesehen.10 Die Weltgesundheitsorganisation sieht
auch vor dem Hintergrund der bisherigen übereinstimmend negativen epidemiologischen Daten keinen überzeugenden Beleg dafür, dass die
Hepatitis-B-Impfung das MS-Risiko erhöht.9,10
Bisherige epidemiologische Studien können übereinstimmend keinen
Zusammenhang zwischen Hepatitis-B-Impfung (GEN H-B-VAX u.a.) und Auftreten einer Multiplen Sklerose (MS) sichern.
Eine aktuelle Fall-Kontroll-Studie beschreibt jetzt ein dreifach erhöhtes MS-Risiko
durch die Impfung.
Schwächen der Arbeit, insbesondere die vermutlich unvollständigen Daten zum
Impfstatus und die geringen Zahlen, die der Berechnung zugrunde liegen, mindern die Aussagekraft der Studie.
Wie die Weltgesundheitsorganisation sehen wir derzeit keinen überzeugenden Beleg
für ein erhöhtes MS-Risiko durch Hepatitis-B-Impfung. Dem Verdacht steht ein klarer Nutzen der Impfung zur Prävention von Hepatitis-B-Infektionen
gegenüber. Die Nutzen-Schaden-Bilanz für die Impfung Jugendlicher und Erwachsener erachten wir nach wie vor als positiv.
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