UMSTRITTEN: ORALER THROMBINHEMMER XIMELAGATRAN (EXANTA) | ||||||
Seit Juni ist mit dem Thrombinhemmer Melagatran/Ximelagatran (MELAGATRAN ASTRAZENECA/EXANTA) das erste orale Antikoagulans seit Einführung der Cumarine im Handel. Deutschland ist weltweit der erste Markt für das Mittel. Die Zulassung beschränkt sich bislang ausschließlich auf die kurzzeitige postoperative Thromboembolieprophylaxe nach elektivem Hüft- oder Kniegelenkersatz.1,2 Sie ist nicht unumstritten: Großbritannien und Irland haben im gegenseitigen Anerkennungsverfahren Ablehnung signalisiert, woraufhin AstraZeneca dort den Antrag zurückgezogen hat.3 Auch die von der Firma angestrebte Zulassung zur langfristigen Thromboembolieprophylaxe erscheint uns wegen der Lebertoxizität des Mittels bedenklich: In Studien entwickeln 6% bis 13% der Patienten Transaminasenanstiege auf mehr als das Dreifache der oberen Norm.4,5 EIGENSCHAFTEN: Das per os anwendbare Prodrug Ximelagatran wird nach Einnahme rasch in Melagatran verstoffwechselt. Melagatran
selbst steht für die Einleitung der Prophylaxe zur Subkutaninjektion zur Verfügung. Die Bioverfügbarkeit von Melagatran nach Einnahme von
Ximelagatran beträgt 23%. Maximale Plasmaspiegel werden bei Subkutaninjektion nach 30 Minuten, bei Einnahme per os nach zwei Stunden erreicht.
Melagatran wird bei einer Halbwertszeit von 2-3 (s.c.) bzw. 4-5 (p.o.) Stunden unverändert hauptsächlich über die Nieren ausgeschieden. Bei
schwerer Niereninsuffizienz ist es kontraindiziert.1,2 KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Die Zulassung basiert auf der METHRO***-III-Studie, einem doppelblinden Vergleich der Neuerung mit dem niedermolekularen Heparin Enoxaparin (CLEXANE). 2.788 durchschnittlich 66 Jahre alte Patienten mit elektivem Hüft- oder Kniegelenkersatz erhalten nach randomisierter Zuteilung entweder vier bis zwölf Stunden postoperativ 3 mg Melagatran subkutan und anschließend - wenn die Einnahme möglich ist - zweimal täglich 24 mg Ximelagatran per os oder beginnend zwölf Stunden vor der Operation einmal täglich 40 mg Enoxaparin (europäische Dosierung) für jeweils acht bis elf Tage. Primärer Endpunkt der auf Überlegenheit von Ximelagatran angelegten Studie ist die Rate venöser Thromboembolien einschließlich tödlicher oder nicht tödlicher Lungenembolien sowie ungeklärter Todesfälle. Zur Diagnose tiefer Venenthrombosen wird ein systematisches phlebographisches Screening durchgeführt.6
Der - ausdrücklich nicht zugelassene - präoperative Beginn der Prophylaxe mit Melagatran, der in einer Phase-III-Studie mit 2.835 Patienten geprüft wird, geht zwar im Vergleich mit Enoxaparin mit weniger im phlebographischen Screening entdeckten Thrombosen einher. Die Häufigkeit symptomatischer venöser Thromboembolien unterscheidet sich mit 0,6% vs. 0,9% jedoch nicht. Schwere Blutungen nehmen aber von 1,2% unter Enoxaparin auf 3,3% signifikant zu. Unter Ximelagatran sterben fünf Patienten im Vergleich zu einem unter Enoxaparin.7 Für die poststationäre Fortführung der Prophylaxe mit Ximelagatran, die - wie uns berichtet wird - Pharmareferenten des Herstellers in Rehabilitationskliniken bereits bewerben sollen, gibt es keine veröffentlichten Daten zu Nutzen und Risiken. Eine Anwendungsdauer von mehr als elf Tagen wird in der Fachinformation ausdrücklich nicht empfohlen.1,2 Die bislang nicht zugelassene Anwendung von Ximelagatran zur Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern wird in zwei ähnlich angelegten Phase-III-Studien mit Warfarin (COUMADIN)-Antikoagulation (Ziel-INR** 2-3) verglichen. Nur eine ist vollständig veröffentlicht. Die teilnehmenden Patienten haben zusätzlich zum Vorhofflimmern mindestens einen weiteren Risikofaktor wie Hypertonie oder sehr hohes Lebensalter. In der publizierten, offen durchgeführten SPORTIF**-III-Studie mit insgesamt 3.410 Patienten wird mit einer jährlichen Rate von 1,6% Schlaganfällen oder systemischen Embolien unter zweimal täglich 36 mg Ximelagatran Nichtunterlegenheit gegenüber Warfarin (2,3% pro Jahr) nachgewiesen (Differenz -0,7%; 95% CI -1,4 bis +0,1). Auch Todesfälle (jeweils 3,2% pro Jahr) und schwere Blutungen unterscheiden sich nicht. In der Ximelagatran-Gruppe nehmen allerdings signifikant mehr Patienten zusätzlich Low-dose-ASS ein.4 Auch in der nach wie vor nicht vollständig veröffentlichten doppelblinden SPORTIF-V-Studie soll Nichtunterlegenheit nachgewiesen sein. Warfarin soll hier jedoch tendenziell besser abschneiden.8 Als Ursache für die voneinander abweichenden Ergebnisse wird eine Verzerrrung durch das offene Design der SPORTIF-III-Studie diskutiert.9
Gänzlich unüberschaubar ist die Lebertoxizität des Mittels. Informationen hierzu beruhen bislang fast ausschließlich auf den unter Beteiligung des Herstellers veröffentlichten Studien, deren Sprachregelung wir als abwiegelnd empfinden. 6% bis 13% der Patienten entwickeln unter längerfristiger Einnahme von Ximelagatran einen Anstieg der Transaminasen auf mehr als das Dreifache der oberen Norm.4,5 In der unveröffentlichten SPORTIF-V- Studie soll ein Patient an den Folgen einer Hepatitis im Zusammenhang mit Ximelagatran gestorben sein.8 Gleichzeitig eingenommenes Erythromycin (MONOMYCIN u.a.) erhöht die Bioverfügbarkeit von Melagatran. Die Interaktion beruht möglicherweise auf Hemmung von Transportproteinen wie P-Glykoprotein und könnte auch bei anderen P-Glykoprotein-Hemmstoffen wie Azithromycin (ZITHROMAX), Clarithromycin (KLACID u.a.) oder Ciclosporin (SANDIMMUN u.a.) gegeben sein. Mit verminderter Bioverfügbarkeit von Melagatran ist bei gleichzeitiger Anwendung von P-Glykoprotein-Induktoren wie Rifampicin (RIFA u.a.) zu rechnen.1,2 KOSTEN: Ximelagatran wird nur an Krankenhaus-versorgende Apotheken geliefert. Bezogen auf Klinikeinkaufspreise*** (ohne MwSt.) verteuert der Thrombinhemmer die Thromboembolieprophylaxe mit 4,50 €/Tag gegenüber niedermolekularen Heparinen wie Enoxaparin (CLEXANE 40, Fertigspritze ca. 2,30 €/Tag, Multidose ca. 1,40 €/Tag) oder Certoparin (MONOEMBOLEX, Fertigspritze ca. 1,60 €/ Tag) bis auf das Dreifache.
Gleichwertigkeit mit dem Standard, einem niedermolekularen Heparin wie Enoxaparin (CLEXANE), ist für die zugelassene Indikation nicht belegt. Die Zulassung basiert weitgehend auf nachträglichen Subgruppen-Analysen einer einzigen Phase-III-Studie. Für die in der Fachinformation ausdrücklich nicht empfohlene verlängerte (z.B. poststationäre) Thromboembolieprophylaxe gibt es überhaupt keine veröffentlichten Daten zu Nutzen und Sicherheit. Unter Langzeitanwendung fällt bei einem hohen Anteil der Patienten Lebertoxizität auf, die sich mangels herstellerunabhängiger Sicherheitsdaten derzeit nicht beurteilen lässt. Vor jeder längerfristigen Verwendung - zum Beispiel zur poststationären Thromboembolieprophylaxe - ist daher zu warnen. Beim derzeitigen Kenntnisstand raten wir von dem gegenüber Standard bis zu dreifach teureren Mittel ab. | ||||||
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