Wirksamkeitsbelege für Cholinesterasehemmer wie Donepezil (ARICEPT) bei Morbus ALZHEIMER beschränken sich auf geringfügige
Verbesserungen der Testergebnisse z.B. zu kognitiven Leistungen und Alltagsfähigkeiten (vgl. a-t 2004; 35: 18).
Die klinische Relevanz dieser Befunde ist unklar. Sie werden zudem systematisch überschätzt: Die gegenüber Plazebo deutlich höheren
Ausfallraten ("drop-out") unter den schlecht verträglichen Cholinesterasehemmern werden nicht ausreichend berücksichtigt. Studienabbrecher
haben jedoch einen ungünstigeren Krankheitsverlauf.1 Auch geben die maximal ein Jahr lang durchgeführten Studien keine verlässliche
Auskunft darüber, ob das Fortschreiten der Erkrankung oder eine Heimunterbringung verzögert werden kann.
Bei den bisherigen Arbeiten, die angeblich eine Verzögerung der Heimunterbringung belegen, handelt es sich um Beobachtungsstudien, darunter zwei
Extensionsuntersuchungen randomisierter Doppelblindstudien mit Donepezil bzw. dem mittlerweile aus dem Handel gezogenen Tacrin (früher: COGNEX; a-t 1993; Nr. 11: 124), in denen - unter grobem Verstoß gegen das Intention-to-treat-Prinzip - Patienten, die die
Therapie abbrechen, der Kontrollgruppe zugerechnet werden.2,3 Die Ergebnisse kommen somit durch systematische Selektion von Patienten zustande,
deren höhere Compliance z.B. auf besseren gesundheitlichen Voraussetzungen4 oder auf besserer ambulanter Betreuung5 beruhen kann.
Dennoch wirbt der ARICEPT-Hersteller unter Berufung auf diese fragwürdigen Berechnungen mit der Behauptung: "ARICEPT kann fast zwei Jahre mehr
gemeinsame Zeit schenken."6
Dem widersprechen die Daten einer soeben publizierten, mit öffentlichen Geldern finanzierten plazebokontrollierten Langzeitstudie (AD2000) zu Donepezil an
565 ambulant betreuten ALZHEIMER-Patienten. Täglich 5 mg oder 10 mg Donepezil haben danach keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Heimunterbringung
(relatives Risiko [RR] 0,97; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,72-1,30) oder die Rate der Patienten, bei denen die Behinderung fortschreitet, gemessen am Verlust von
Aktivitäten des täglichen Lebens wie Essen, Trinken oder Ankleiden (RR 1,02; 95% CI 0,72-1,45). Nach drei Jahren sind bei Intention-to-treat-Auswertung
von mehr als 99% der randomisierten Patienten unter Donepezil 42%, unter Plazebo 44% im Heim untergebracht.7
In die industrieunabhängig durchgeführte Studie sollten ursprünglich 3.000 Patienten aufgenommen werden. Dies scheiterte unter anderem am
Widerstand der betroffenen Hersteller, die den Studienbeginn verzögerten, indem sie die Bereitstellung des Arzneimittels und der Plazebos verweigerten.
Dennoch war die Studie ausreichend groß: Eine Verzögerung der Heimeinweisung um sechs Monate hätte verlässlich nachgewiesen werden
können (Power = 90%).7
Wie in den Hersteller-finanzierten Untersuchungen findet sich auch in der AD2000-Studie ein geringfügiger, aber statistisch signifikanter Vorteil für
Donepezil im Hinblick auf den durchschnittlichen Punktwert in Tests auf kognitive Leistungen (Mini-Mental State Examination: Differenz im Verlauf von zwei Jahren
0,8 Punkte [bei insgesamt 30 Punkten]; 95% CI 0,5-1,2) sowie auf Aktivitäten des täglichen Lebens (Bristol Activities of Daily Living Scale: Differenz 1
Punkt [bei insgesamt 60 Punkten]; 95% CI 0,5-1,6). Die Unterschiede liegen deutlich unterhalb dessen, was als klinisch relevant gewertet wird.7 Der Befund
stützt zudem Zweifel, dass die üblicherweise verwendeten Scores klinische Verläufe ausreichend zuverlässig vorhersagen können.
Patienten, die in einer initialen Run-in-Phase scheinbar gut oder moderat auf Donepezil ansprechen, erleiden im weiteren Verlauf die deutlichsten
Verschlechterungen. Dieses Ergebnis spricht dafür, dass die anfänglichen Verbesserungen durch Fluktuation der Erkrankung vorgetäuscht
werden.7 Es steht im Widerspruch zu gängigen Empfehlungen, die Weiterführung einer Therapie vom initialen Ansprechen abhängig zu
machen.
Anders als nach früheren ökonomischen Analysen zu erwarten wäre, zeigt sich in der AD2000 ein Trend zu höheren Kosten unter Donepezil,
wobei hier die Aufwendungen für das Arzneimittel selbst und für die Heimunterbringung nicht eingerechnet sind. Die Mehrkosten beruhen
hauptsächlich auf häufigeren Krankenhausaufenthalten der Donepezil-Anwender. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (29 vs. 23) und
Todesfälle (63 vs. 50) nehmen unter Donepezil gegenüber Plazebo numerisch zu.7
Die Hersteller kontern mit der üblichen Desinformation und schalten am Tage des Erscheinens der Studie eine Werbeanzeige: "Für ALZHEIMER-
Patienten ist jeder Tag Selbständigkeit kostbar. Hiermit (gemeint ist die von einer forschenden Ärztin gezeigte Tablette, Anm. d. Red.) können wir ein
paar hundert Tage dazugewinnen".8 ARICEPT wurde im Jahr 2002 für 45,8 Mio. € zu Lasten der Gesetzlichen Krankenkassen verordnet
(+28,4%), Antidementiva insgesamt für 250 Mio. €.9 Dieses Geld kann sinnvoller verwendet werden: Nutzenbelege liegen z.B. für eine
systematische Schulung und Unterstützung pflegender Angehöriger vor. Die Heimunterbringung kann mit dieser Strategie bei leichten und mittelschweren
Erkrankungen deutlich verzögert werden.10
In der unter Praxisbedingungen industrieunabhängig durchgeführten AD2000-Studie kann kein relevanter Nutzen des Cholinesterasehemmers
Donepezil (ARICEPT) bei ALZHEIMER-Patienten nachgewiesen werden.
Heimunterbringungen und Verlust von Alltagsfähigkeiten werden nicht verzögert.
Bis zum Beweis des Gegenteils ist davon auszugehen, dass der Befund auch für andere Demenzmittel gilt. Die Hersteller sind mehr denn je in der Pflicht, den
Nutzen zu belegen.
Umlenkung finanzieller Ressourcen in wirklich nutzbringende Interventionen ist geboten.
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