Ich werde in letzter Zeit verstärkt von an Fibromyalgie erkrankten Patienten aufgefordert, eine Tropisetron-Therapie
durchzuführen. Wie sehen Sie die Datenlage, insbesondere das Nutzen-Schaden-Verhältnis zu dieser Therapie?
Dr. H. SCHWARZ (Internist)
D-72770 Reutlingen
Als Fibromyalgie werden generalisierte chronische Schmerzen bezeichnet, die sich nicht durch entzündliche oder degenerative Erkrankungen des
Bewegungsapparates erklären lassen. Druckschmerzhaftigkeit bestimmter Körperpunkte ("tender points") untermauert nach den
Klassifikationskriterien der Amerikanischen Rheumatologie-Gesellschaft die Diagnose. Objektive Symptome fehlen. Fibromyalgie ist häufig mit anderen schlecht
definierten Krankheitsbildern wie Reizdarm- oder chronischem Müdigkeits-Syndrom gepaart.1
Vermutet wird eine multifaktorielle, zum Teil psychosomatische Genese. Das gesteigerte Schmerzempfinden erklärt man unter anderem mit verminderten
Serotonin-Serumspiegeln und erhöhten Liquor-Konzentrationen des Schmerzmediators Substanz P. Medikamente, z.B. Antidepressiva oder Analgetika, und
nicht-medikamentöse Maßnahmen wie kognitives Verhaltenstraining, Akupunktur oder Sport scheinen die Beschwerden zumeist nur kurzfristig bei weniger
als der Hälfte der Patienten zu lindern.2
Das Antiemetikum Tropisetron (NAVOBAN) blockiert einen Serotonin-Rezeptor (5-HT3). Es soll die Serotonin-vermittelte Freisetzung der Substanz P hemmen und so
Schmerzen lindern. In der einzigen plazebokontrollierten Studie mit 400 Fibromyalgie-Patienten wird Tropisetron zehn Tage lang in Dosierungen von 5 mg,
10 mg und 15 mg geprüft. Nur die 5-mg-Tagesdosis wirkt mit einer Ansprechrate von 39% besser als das Scheinmedikament (26%). Die Symptome kehren
jedoch in beiden Gruppen im Mittel nach einem Monat zurück.3 Studienabbrecher bleiben bei der Auswertung unberücksichtigt, und
Vertrauensbereiche sind nicht angegeben. Dies schränkt die Aussagekraft der Ergebnisse erheblich ein. Unklar ist, ob möglicherweise Tagesdosierungen
unter 5 mg besser wirken und wie lange die Therapie dauern soll. Kontrollierte Langzeitstudien fehlen.
Auch die Verträglichkeit, besonders bei längerer Anwendung, lässt sich anhand der spärlichen Daten nicht beurteilen.
Gegenwärtig ist Tropisetron zur Behandlung von Zytostatika-induziertem Erbrechen in einer Tagesdosierung von 5 mg für maximal sechs Tage
zugelassen.4 In der plazebokontrollierten Kurzzeitstudie leiden mehr als 35% der Tropisetron-Anwender an Verstopfung, bei bis zu 9% kommt es zu
Infektionen.3 Der in den USA gegen Reizdarmsyndrom zugelassene 5-HT3-Blocker Alosetron (LOTRONEX) musste wegen Darmverschluss,
ischämischer Kolitis und Todesfällen aus dem Handel gezogen werden (s. Seite 57).
FAZIT: Die klinische Erprobung des 5-HT3-Rezeptorblockers Tropisetron (NAVOBAN) bei Fibromyalgie-Syndrom steht allenfalls am Beginn. Wegen zweifelhaften
Nutzens und nicht überschaubarer Risiken raten wir von Therapieversuchen (Achtung: keine zugelassene Indikation!) außerhalb klinischer Studien
ab.
|