Wer heute Kinder und Jugendliche mit Aufmerksamkeitsdefizit/
Hyperaktivitätsstörung (ADHS) behandelt, kann an den Ergebnissen der großen prospektiven doppelblinden multizentrischen Studie über
Behandlungsstrategien für die ADHS, der so genannten MTA-Studie, nicht mehr vorbei gehen. Hierin zeigte sich, dass eine individuell abgestimmte intensivierte
Stimulanzienbehandlung mit Dosierungen bis zu 1,5 mg Methylphenidat (RITALIN u.a.)/kg Körpergewicht/Tag genauso gute Ergebnisse erbrachte wie die
Kombination derselben Therapie mit vielfältigen psychotherapeutischen Interventionen und einer nichtmedikamentösen Therapie weit überlegen
war.1,2...
Von einer Stimulanzientherapie profitieren nicht einige Kinder und Jugendliche mit ADHS, wie Sie schreiben (a-t 2000; 31:
65-6), sondern alle Patienten mit ADHS, wenn die Therapie individuell abgestimmt ist.
Dies setzt sorgfältige Anamnese, Untersuchung und Verhaltensbeobachtung voraus... Ihre Aussage, die Diagnose sei nicht von einem Pädiater allein zu
stellen, ist eine unnötige berufspolitische Einmischung...
Befürchtungen über die "negative Beeinflussung des kindlichen Gehirns" werden von Ihnen mit keiner Quellenangabe begründet, mir ist
aus den letzten Jahrzehnten hierzu auch keine saubere Untersuchung bekannt... Es kommt bei Ihrer Äußerung der Verdacht auf unbegründete
Panikmache auf.
Kinder unter sechs Jahren haben einen gleichen Anspruch auf Behandlung wie ältere, wenn die Diagnose gesichert ist. Die Merkmale des DSM-IV haben sich
auch für diese Altersgruppe als valide erwiesen.3 Ich möchte wissen, was denn die rationale Grundlage für die fragwürdige
Kontraindikation ist, wahrscheinlich der Mangel an Studien, und dem muss in der Tat abgeholfen werden...
Sollten Sie annehmen, dass die vermehrte Verordnung von Methylphenidat auf unüberlegtem Handeln beruht, könnten Sie sich mit Ihrem Artikel geirrt
haben. Verbesserte Diagnostik und Therapie würden einen solchen Anstieg notwendig machen, wenn die Betroffenen angemessen betreut werden sollen...
Dr. med. H.-J. KÜHLE (Kinderarzt)
D-35390 Gießen
Diagnose und Therapie der Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung setzen besondere Kenntnisse voraus. Angesichts der Komplexität des
Krankheitsbildes und der damit verbundenen differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten erscheint Zusammenarbeit mit Kollegen verschiedener Fachrichtungen
ratsam. Diesen Hinweis verstehen wir nicht als berufspolitische Einmischung.
Die Therapie mit Stimulanzien wirkt sich bei gesicherter Diagnose in 80% bis 90% rasch positiv auf die Symptome Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit
aus.1 Andere Verhaltensstörungen (soziale Kompetenz, Lernverhalten) werden deutlich weniger beeinflusst. In der erwähnten MTA-
Studie2 unterscheiden sich medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung beispielsweise nicht hinsichtlich der Besserung aggressiver
Verhaltensweisen. Zudem lässt sich unter der Kombination beider Therapieformen die Methylphenidat-Dosis deutlich verringern.2
Störwirkungen nehmen dosisabhängig zu. Daher sollen 0,5 mg bis 1 mg/kg KG/Tag (maximal 60 mg/Tag) nicht überschritten werden.3
Welche Dosierungen in der MTA-Studie2 tatsächlich verwendet wurden, geht aus den Daten nicht hervor.
Aus Tierversuchen gibt es Hinweise auf die Entwicklung von Lebertumoren.4 Bei der Ratte führt die frühzeitige Gabe von Stimulanzien zu
anhaltenden morphologischen Hirnveränderungen (verringerte Dichte der kortikalen Synapsen) und langfristig verschlechterter
Gedächtnisleistung.5
Langzeitstudien beim Menschen fehlen, ebenso ausreichende Untersuchungen bei Kindern unter sechs Jahren. Bis entsprechende Daten vorliegen, gleicht die
breite Verwendung im Vorschulalter einem unkontrollierten Feldversuch, der keinen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn bringt - schon gar nicht hinsichtlich
potenzieller Langzeitfolgen, -Red.
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