Ich möchte Sie bitten, zu dem immer noch nicht zugelassenen Medikament Anagrelid Stellung zu nehmen. Es ist bislang neben
Interferon das einzige wahrscheinlich nichtkanzerogene Medikament in der Behandlung der idiopathischen Thrombozythämie. Es findet in Deutschland bereits
breite Anwendung...
Dr. med. U. von GRÜNHAGEN (Hämatologe/Onkologe)
D-03046 Cottbus
Anagrelid (USA: AGRYLIN) ist in den USA seit März 1997 zur Behandlung der essentiellen Thrombozythämie zugelassen.1 Patienten mit
dieser myeloproliferativen Erkrankung haben erhöhte Blutplättchenwerte und sind thrombosegefährdet. Bis zu zwei Drittel haben jedoch keine
Beschwerden, ihre Lebenserwartung scheint nicht reduziert zu sein. Wann eine Thrombozythämie behandelt werden soll, wird deshalb nicht einheitlich
beurteilt.
Wie Anagrelid die Thrombozytenzahl senkt, ist unklar. In therapeutischer Dosierung soll es unter anderem die Reifung der Megakaryozyten verzögern.2
Kontrollierte Studien zum Nutzen finden wir nicht. In einer unkontrollierten klinischen Prüfung nehmen 546 Patienten mit essentieller Thrombozythämie und
Plättchenwerten über 900.000/µl (oder 650.000/
µl mit Symptomen) mindestens vier Jahre Anagrelid ein.3,4 Bei mehr als 70% sinken die Thrombozytenzahlen unter 600.000/µl oder mindestens
auf die Hälfte des Ausgangswertes. Schutz vor thrombotischen Komplikationen, wie er für Hydroxyurea (LITALIR u.a.) durch randomisierten Vergleich
belegt ist,5 deutet sich auch für Anagrelid an.6
Störwirkungen sind überwiegend auf positiv-inotrope und vasodilatatorische Effekte zurückzuführen. 13% brechen die Therapie wegen
Unverträglichkeit ab. Häufig sind Kopfschmerzen (45%), Schwächezustand (22%), Ödeme (20%), Palpitationen (27%) und andere Herzkreislauf-
sowie Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall (24%).1 Herzinsuffizienz und Myokardinfarkt sind beschrieben.3 Ein leukämieauslösender
Effekt ist bisher nicht nachgewiesen, aber auch nicht ausgeschlossen. Unklar bleibt, ob die leukämische Transformation bei 32 von 942 Anwendern auf die
Grunderkrankung einer chronisch-myeloischen Leukämie zurückzuführen ist.4
Die Behandlung wird mit täglich 2 mg eingeleitet und alle 7 Tage um 0,5 mg auf maximal 5 mg erhöht, wenn die Plättchenzahl nicht ausreichend
sinkt.7 Nach ein bis zwei Wochen ist mit einer Therapieantwort zu rechnen. Innerhalb von vier Tagen nach Absetzen steigen die Thrombozyten wieder
an.1 Aus den USA importiertes Anagrelid kostet 1.319,50 DM für 100 Kapseln zu 0,5 mg.8 Mit Jahrestherapiekosten von 19.250 DM für
täglich 2 mg ist das Mittel gut viermal so teuer wie Hydroxyurea (4.200 DM für 5,5 g bei einem 70 kg schweren Patienten alle drei Tage).
Welchen Stellenwert Anagrelid bei der Behandlung myeloproliferativer Erkrankungen einnehmen wird, muss sich im randomisierten Vergleich mit Mitteln wie
Hydroxyurea, Alkylanzien und Interferon alpha (INTRON A u.a.) und durch Langzeitüberwachung auf ein mögliches leukämogenes Potential noch
erweisen.
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