Lang anhaltendes Schreien des neuen Familienmitgliedes wenige Wochen nach der Geburt, typischerweise abends, beeinträchtigt nicht selten das
Elternglück in den ersten Monaten und ist immer wieder Anlass für Misshandlungen durch überforderte Eltern (Schütteltrauma).1 Die
Versicherung des häufig hinzugezogenen Kinderarztes, dass die Schreiepisoden des ansonsten gesunden und gut gedeihenden Sprösslings in der Regel
im vierten bis fünften Lebensmonat von selbst verschwinden, mag betroffene Eltern nicht immer beruhigen, suchen sie doch nach einer plausiblen
Erklärung und einer wirksamen Behandlung für ihr Kind.
Niederländische Praktiker haben jetzt die internationale Literatur der letzten 30 Jahre zur Wirksamkeit verschiedener therapeutischer Maßnahmen
gesichtet und insgesamt 27 Studien zur Behandlung von "Dreimonatskoliken" (Schreiepisoden von mindestens drei Stunden an mindestens drei Tagen
pro Woche über mindestens drei Wochen) ausgewertet.2
Zehn Studien beschäftigen sich mit Diäten zur Behandlung der als Ursache angenommenen Verdauungsbeschwerden. Verzicht auf
Kuhmilch-Eiweiß ist demnach für Flaschenkinder effektiv. Proteine der Kuhmilch können in Frauenmilch übergehen. Stillenden Müttern wird
daher geraten, versuchsweise Kuhmilchprodukte zu meiden. Hypoallergene Kasein- oder Molkehydrolysate sind als Eiweißersatzstoffe den potentiell
allergisierenden Sojaprodukten vorzuziehen. Eine Studie lässt den Nutzen von Kräuterteefläschchen (Fenchel, Kamille u.a.) erkennen. Reduzierung
des Laktose- oder Erhöhung des Fasergehaltes der Säuglingsnahrung bleiben ohne Erfolg. Für den Entschäumer Simethicon
(LEFAX u.a.) lässt sich keine Wirksamkeit nachweisen. Das in Deutschland nicht mehr gebräuchliche Anticholinergikum Dicycloverin
(Großbritannien: MERBENTYL) ist zwar erfolgreich, wird jedoch wegen unter Umständen schwerer unerwünschter Wirkungen nicht empfohlen. Der
Vorbehalt gilt u. E. auch für andere Anticholinergika wie Pipenzolat (ILA-MED M).
Entgegen der landläufigen Meinung schreien Säuglinge nicht weniger, wenn sie herumgetragen werden. Dagegen ist die Empfehlung hilfreich, das Kind
weniger Reizen auszusetzen und es auch einmal liegen zu lassen, wenn das Schreien nicht mehr länger ertragen wird.
FAZIT: Säuglings"koliken" betreffen 15% bis 25% aller Kinder in den ersten drei Lebensmonaten. Nach eingehender körperlicher
Untersuchung zum Ausschluss einer organischen Ursache sind die oft verzweifelten Eltern über die Harmlosigkeit der Symptome aufzuklären und zu
ermutigen, sich selbst nicht zu verausgaben und Überreizung des Säuglings zu vermeiden. Bei Flaschenkindern wird ein einwöchiger Versuch mit
hypoallergener Säuglingsnahrung auf Kasein- oder Molkebasis angeraten, stillenden Müttern versuchsweise der Verzicht auf Kuhmilchprodukte.
Arzneimittel wie Simethicon (LEFAX u.a.) oder Spasmolytika sind nicht empfehlenswert.
1 NÜTZENADEL, W.: pädiat. prax. 53 (1997/98), 488
2 LUCASSEN, P. L. B. J. et al.: Brit. Med. J. 316 (1998), 1563
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