Quälende, bisweilen schmerzhafte Missempfindungen in den Beinen, meist den Waden, manchmal auch in den Armen, und der heftige Drang, die
Beine zu bewegen, kennzeichnen das Restless-Legs-Syndrom (Syndrom der unruhigen Beine). Die Beschwerden treten hauptsächlich in Ruhe und bei
Entspannung auf, verstärken sich abends und nachts und bessern sich durch Bewegung. Schlafstörungen sind häufig: Die motorische Unruhe
erschwert das Einschlafen. Periodische Beinbewegungen im Schlaf wecken viele Patienten auf oder verhindern den Tiefschlaf. Tagesmüdigkeit ist die
Folge.
2% bis 5% der Bevölkerung sollen an dem häufig spät diagnostizierten oder verkannten Syndrom leiden. Meist lässt sich keine Ursache finden.
Bei einem Teil der Betroffenen wird aber Mangel an Eisen, Folsäure oder Vitamin B12 festgestellt. Unruhige Beine können frühes Zeichen einer
Polyneuropathie sein. Schwangerschaft, chronische Niereninsuffizienz (Urämie), Diabetes mellitus und rheumatoide Arthritis können mit dem Restless-
Legs-Syndrom einhergehen. Auch Medikamente und Genussmittel werden damit in Verbindung gebracht: Dazu gehören Neuroleptika, trizyklische
Antidepressiva, Lithium, H2-Blocker und Antiepileptika sowie anscheinend auch Alkohol. Abzugrenzen ist die Neuroleptika-induzierte Akathisie, ein anhaltender
Bewegungsdrang aus innerer Unruhe.1 Der Verdacht, Koffein könne die Beschwerden auslösen oder verstärken, geht auf eine einzige viel
zitierte Studie von 1978 zurück.2 Nach heutiger Einschätzung kann Koffein bei einzelnen Patienten sogar hilfreich sein.3
Wie das Syndrom entsteht, ist unklar. Unter anderem sollen zentrale dopaminerge und opioide Neurotransmitter-Systeme beteiligt sein. Das idiopathische Restless-
Legs-Syndrom kommt familiär gehäuft vor. Vermutet wird ein autosomal dominanter Erbgang. Die neurologische Untersuchung bleibt in der Regel ohne
auffälligen Befund. Das Leiden beginnt häufig erst im vierten bis fünften Lebensjahrzehnt, kann aber jedes Alter betreffen. Es kann lebenslang
andauern, mit variablem Verlauf. Spontane Remission aller Beschwerden kommt vor.1
BEHANDLUNG: Vorrangig ist nach einer zugrundeliegenden chronischen Erkrankung und nach Eisen- oder Vitaminmangel zu fahnden. Kann eine Ursache
gefunden und behandelt werden, bildet sich oft auch das Restless-Legs-Syndrom zurück. Auf Alkohol ist möglichst zu verzichten. Auch Nikotinabstinenz
soll Erleichterung bringen.1 Neuroleptika, auch die für andere Indikationen erhältlichen Abkömmlinge wie gegen Schwindel angebotenes
Sulpirid (VERTIGO-NEOGAMA u.a.), Antiallergika wie Promethazin (ATOSIL u.a.) oder Magen-Darm-Mittel wie Metoclopramid (PASPERTIN u.a.), sind zu
meiden.2 Bei Schlafstörungen wird geraten, möglichst spät ins Bett zu gehen und in den Vormittag hinein zu schlafen, da sich periodische
Beinbewegungen besonders zwischen Mitternacht und zwei Uhr häufen.5
Bei starken Beschwerden oder schweren Schlafstörungen kommt die symptomatische Therapie mit Arzneimitteln aus den unterschiedlichsten Wirkgruppen in
Betracht. Parkinsonmittel wie Levodopa plus Dekarboxylasehemmstoff (MADOPAR u.a.), Bromocriptin (PRAVIDEL u.a.) oder Pergolid (PARKOTIL), das Opioid
Oxycodon (früher EUKODAL), Clonazepam (RIVOTRIL u.a.), das Antiepileptikum Carbamazepin (TEGRETAL u.a.) und das Bluthochdruckmittel Clonidin
(CATAPRESAN u.a.) sind in zumeist kleinen plazebokontrollierten Studien geprüft. Vergleiche der Wirkstoffe untereinander fehlen praktisch
völlig.1 Kein Arzneimittel ist hierzulande für die Indikation zugelassen.
In drei kleinen Studien mit insgesamt 47 Teilnehmern, darunter eine, die auch Patienten mit Urämie einschließt, lindern 100 mg bis 200 mg* Levodopa
plus Dekarboxylasehemmer zur Nacht Beschwerden deutlich besser als Plazebo. Levodopa mindert die Zahl periodischer Beinbewegungen im Schlaf sowie die
Aufwachphasen.6-8 In einer unkontrollierten Langzeituntersuchung hält der Nutzen bei 26 von 30 Patienten über zwei Jahre an.9 In
einer plazebokontrollierten Studie mit fünf Patienten, die unter urämischen Restless Legs leiden, bleibt ein günstiger Einfluss von 100 mg retardiertem
Levodopa auf die Schlafqualität aber aus.10
* |
Keins der genannten Präparate ist für diese Indikation zugelassen. Dies erfordert besondere Aufklärung der
Patienten.
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Levodopa kann Übelkeit, Kopfschmerzen, orthostatische Hypotonie und Mundtrockenheit hervorrufen. Dyskinesien und Psychosen, wie sie unter den
höheren Dosierungen bei PARKINSON bekannt sind, sind bisher nicht beschrieben.11 Die Dopaminvorstufe kann jedoch die behandelte Symptomatik
selbst verstärken ("Augmentation"). Bei der üblichen Einnahme am Abend nehmen dann Restless-Legs-Beschwerden tagsüber zu: Sie
beginnen früher am Tag, sind intensiver und breiten sich stärker über den Körper aus. Nach einer - allerdings kleinen - prospektiven Studie
betrifft dies bis zu 80% der Patienten, besonders bei hoher Dosierung.12 Nach anderen Erfahrungen ist von 20% bis 30% auszugehen.4
Ob der länger wirkende direkte Dopaminagonist Pergolid hier Vorteile bietet, wie sich in einer Cross-over-Vergleichsstudie mit 11 Patienten13
und in einer Anwendungsbeobachtung14 andeutet, bedarf der Bestätigung in größeren kontrollierten Untersuchungen. Eine
plazebokontrollierte europäische Multizenterstudie mit 200 Patienten soll im Sommer beginnen.4 Pergolid kann bei jedem vierten Symptome
verstärken.15 Das ältere Bromocriptin (7,5 mg/Tag) mindert bei 6 Patienten mit idiopathischen Restless Legs Beinbewegungen im
Schlaf, hat aber keinen deutlich besseren Einfluss auf weitere Schlafparameter als Plazebo.16
Levodopa plus Dekarboxylasehemmer wird heute vielfach als Mittel der ersten Wahl empfohlen.1,11,17 Stehen Einschlafstörungen im
Vordergrund, empfiehlt sich eine kurz wirksame, bei Durchschlafstörungen eher eine Retardzubereitung. Ob die Beschwerden ansprechen, zeigt sich nach den
Erfahrungen Münchner Neurologen schnell. Wenn nach Steigerung von 50 mg auf 200 mg zur Nacht keine Besserung eintritt, lohnt auch kein Versuch mit
Dopaminagonisten.17 Bei Augmentation soll Levodopa abgesetzt werden. Hier wird Pergolid (150 µg bis 750 µg/Tag)17 als hilfreich
angesehen. Wegen häufiger Störwirkungen wie Blutdruckabfall oder Übelkeit ist der Dopaminagonist einschleichend (anfangs 50 µg/Tag)
17 zu dosieren,15 zu Beginn eventuell in Kombination mit dem weniger ZNS-gängigen Antiemetikum Domperidon
(MOTILIUM).4
Schon Thomas WILLIS, auf den die erste Beschreibung des Syndroms zurückgeht, soll vor 300 Jahren auch den Nutzen von Opioiden bei unruhigen
Beinen entdeckt haben.1 Neben zahlreichen positiven Erfahrungsberichten gibt es aber bis heute nur eine plazebokontrollierte Studie mit dem hierzulande
nicht mehr erhältlichen Oxycodon (USA: ROXYCODONE). Täglich 15 mg lindern bei idiopathischer Erkrankung Missempfindungen und motorische Unruhe
in den Beinen, senken die Zahl periodischer Beinbewegungen und der Aufwachphasen in der Nacht und bessern die Schlafqualität.18
Die Frage der Abhängigkeit ist wie bei der Schmerztherapie zu bewerten. Nach einer Langzeituntersuchung über 15 Jahre soll das Risiko gering
sein.1 Auch nach Einschätzung einer uns beratenden Neurologin ist die Sorge vor Abhängigkeit bei Restless-Legs-Patienten
unbegründet.4 Zu Beginn kommt es bei einem Teil der Patienten vorübergehend zu Übelkeit und Erbrechen. Hauptproblem bei der
Einnahme von Opioiden ist die Obstipation. Gegebenenfalls müssen zusätzlich darmwandreizende Abführmittel wie Bisacodyl (DULCOLAX u.a.)
angewendet werden.
Opioide kommen in Betracht, wenn Dopaminergika versagen, nicht vertragen werden oder kontraindiziert sind.11 Bei weniger starken Beschwerden werden
beispielsweise 30 mg bis 50 mg Kodein (CODEINUM PHOSPHORICUM u.a.) zur Nacht eingenommen, bei stärkerer Symptomatik z.B. zweimal täglich 60
mg einer Retardzubereitung mit Dihydrokodeintartrat (DHC MUNDIPHARMA). Hierzulande wird vielfach eine Tilidin/Naloxon-Kombination vom Typ VALORON N
empfohlen. Der Opioidantagonist Naloxon kann aber selbst Restless-Legs-Symptome auslösen.1 Starke Opioide gelten als noch wirksam, wenn bei
schwerem Restless-Legs-Syndrom andere Mittel versagt haben.1
Unter den Benzodiazepinen ist Clonazepam am besten untersucht. In einer von zwei kleinen plazebokontrollierten Studien wirkt es allerdings nicht besser als
das Scheinmedikament.19,20 Zum Einfluss der Benzodiazepine auf periodische Beinbewegungen liegen widersprüchliche Ergebnisse vor.
Aufwachphasen nehmen unter der Behandlung ab. Patienten, die unter den Tranquilizern keine Besserung verspüren und nachts wie gewohnt das Bett
verlassen, gehen ein erhöhtes Risiko ein zu stürzen.1 Bei gleichzeitiger Schlafapnoe sind die Mittel kontraindiziert. Langzeittherapie ist wegen des
Risikos der Toleranzentwicklung und Abhängigkeit zu meiden.11
Die größte plazebokontrollierte Studie mit 174 Patienten liegt zu Carbamazepin vor. Bei einem hohen Plazeboeffekt mindert das Antiepileptikum
(täglich 236 mg im Median) Episoden mit unruhigen Beinen deutlich stärker als das Scheinmedikament. Störwirkungen betreffen 40%.21
Nach klinischer Erfahrung wird Carbamazepin als nicht sehr hilfreich eingeschätzt.15 Nahezu jeder Dritte soll gar nicht ansprechen.11 Am
besten soll es bei jüngeren Patienten mit starken Beschwerden und kürzerer Vorgeschichte wirken.1,22
Das auch bei akutem Opiatentzugssyndrom verwendete Hochdruckmittel Clonidin wird in zwei Studien mit insgesamt 30 Patienten, die an idiopathischem
bzw. urämischem Restless-Legs-Syndrom leiden, mit Plazebo verglichen.23,24 Täglich 50 µg bessern Missempfindungen sowie motorische
Unruhe und fördern das Einschlafen, bleiben aber ohne Einfluss auf Beinbewegungen im Schlaf und verkürzen den REM-Schlaf. Der systolische
Blutdruck sinkt deutlich.23 Eine höhere Dosierung (täglich 150 µg) lindert subjektive Beschwerden bei Patienten mit Niereninsuffizienz ohne
wesentlichen Einfluss auf den Blutdruck.24 In einer unkontrollierten Untersuchung mit 7 Patienten hat Clonidin keinen Nutzen, zwei Teilnehmer klagen
über Verschlechterung ihrer Beschwerden.25 Auch bei Clonidin sehen wir die Gefahr nächtlicher Stürze, wenn der Blutdruck
absinkt.
ANLAUFSTELLEN: Seit 1995 vermittelt die Deutsche Restless Legs Vereinigung RLS e. V. (Schillerstr. 3a, 80336 München) Kontakt unter
Betroffenen. Die von Firmen wie Lilly und Roche unterstützte Selbsthilfegruppe gibt einen "Ratgeber für Betroffene" sowie eine Videokassette
heraus. Im Internet bietet eine homepage Informationen (http://www.med.uni-
muenchen.de/org/rls/homepage.html).
FAZIT: Bis zu 5% der Bevölkerung leiden an "unruhigen Beinen" (Restless Legs), quälenden Missempfindungen mit Bewegungsdrang in
den Beinen in Ruhe, besonders abends und nachts. Das häufig verkannte Syndrom geht vielfach mit Schlafstörungen einher. Arzneimittel zur
symptomatischen Linderung sind in meist kleinen und häufig unkontrollierten Versuchsreihen geprüft. Wegen des hohen Plazeboeffekts sind jedoch
kontrollierte Studien zwingend erforderlich. Hinreichende Vergleichsstudien verschiedener Wirkstoffe fehlen.
Kein Arzneimittel ist hierzulande für die Indikation zugelassen. Eine Pharmakotherapie des Restless-Legs-Syndroms muss daher als Heilversuch gelten. Als Mittel
der Wahl werden heute Levodopa plus Dekarboxylasehemmstoff (MADOPAR u.a.) und Dopaminagonisten wie Pergolid (PARKOTIL) empfohlen. Die dopaminergen
Mittel können bei einem Teil der Anwender die Symptomatik jedoch verstärken (Augmentation). Bei Nichtansprechen oder Unverträglichkeit kommen
Opioide wie Kodein (CODEINUM PHOSPHORICUM u.a.) in Betracht. Die Sorge vor Abhängigkeit ist wahrscheinlich unbegründet. Benzodiazepine,
Carbamazepin (TEGRETAL u.a.) und Clonidin (CATAPRESAN u.a.) gelten allenfalls als Mittel der Reserve. Langzeittherapie mit Tranquilizern ist möglichst zu
meiden.
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