Die Ansicht, dass die Zulassung von Arzneimitteln eine Art Qualitätssiegel sei, ist weit verbreitet und wird von Herstellern gefördert: So wirbt
der SINUPRET-Vertreiber Bionorica unter Bezug auf die Neuzulassung von SINUPRET FORTE mit "dokumentierter Qualität und
Wirksamkeit".1 Und die Schering AG versucht, unsere Kritik an der dürftigen Dokumentation des Nutzens der Hormonspirale MIRENA bei
Hypermenorrhoe (a-t 11 [1997], 112) zu entkräften, indem sie auf Zulassungen in verschiedenen Ländern
verweist (a-t 2 [1998], 26).
Doch längst stehen Qualität und Bedeutung von Zulassungsentscheidungen nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland in Frage:2,3 Die
Genehmigung, ein Arzneimittel zu vermarkten, reicht allein nicht aus, diesem einen Platz im Evidenz-basierten Gesundheitswesen zu sichern. "Verordner
müssen wissen, wie Neuerungen im Vergleich zu alternativen Therapieoptionen einzuordnen sind. Vergleichende Studien zur Wirksamkeit und
ökonomische Analysen sind jedoch nicht Bestandteil der Zulassung", so ein Editorial in der britischen Ärztezeitschrift.3
Das deutsche Arzneimittelgesetz stützt zudem keine qualitätsorientierte Arzneitherapie: Nach Paragraph 25 darf die Zulassung selbst dann nicht versagt
werden, wenn "therapeutische Ergebnisse nur in einer beschränkten Zahl von Fällen erzielt worden sind." Wenn Kommissionen beim
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM; z.B. für Homöopathie oder Phytotherapie) Anwendungsgebiete anerkennen, gelten den
Beamten der Zulassungsbehörde die Anforderungen an die Wirksamkeit als erfüllt. Über einen solchen Binnenkonsens wird eine kritische
Überprüfung der Datenlage umgangen.
So verweist das BfArM auf unsere Frage nach der Grundlage der Zulassung einer Kombination aus fünf nicht standardisierten pulverisierten pflanzlichen
Bestandteilen zur Behandlung von Entzündungen der Nasennebenhöhlen (SINUPRET FORTE) auf einen Monographie-Entwurf der für die
Begutachtung von Phytopharmaka zuständigen Kommission E.4 Diese akzeptiert als Wirksamkeitsnachweis "Belege für das
Gesamtpräparat".5 Der Kunstgriff erlaubt die Zulassung auch irrationaler Kombinationen. Um solche zu verhindern, gilt es international als
Standard, dass jeder einzelne Bestandteil zur Wirksamkeit beitragen oder die Verträglichkeit eines anderen Bestandteils verbessern muss (sog.
CROUT'sche Kriterien).6 Solche Belege finden wir für SINUPRET FORTE nicht.
Wer bei Herstellern nach Details zu Neueinführungen fragt, wird nicht selten mit Prospekten oder Abstracts ohne nachvollziehbare Daten abgespeist. Immer
häufiger fällt uns auf, dass Arzneimittel auf den Markt gebracht und beworben werden, ohne dass ein Minimum an Daten verfügbar ist, wie z. B. bei
Eprosartan (TEVETEN; a-t 8 [1997], 82).
Schnelligkeit bei Zulassung und Markteinführung dient kommerziellen Interessen. Auswirkungen auf Arzneimittelsicherheit und Behandlungskosten bleiben
außen vor.2 Dies gilt auch für Medizinprodukte: für weniger als ein Drittel der rund 60 erhältlichen Hüftgelenksimplantate
sind klinische Studien veröffentlicht, Langzeitdaten nur für vier. Ein Produkt musste letztes Jahr vom Markt genommen werden, weil sich das Implantat
innerhalb von zwei Jahren bei jedem vierten lockert, im Vergleich zu jedem zehnten innerhalb von zehn Jahren im Durchschnitt aller
Hüftgelenke.7
Angaben zur Verträglichkeit von Neuerungen sind praktisch wertlos. Aus der klinischen Prüfung lassen sich mit einiger Zuverlässigkeit nur im
Prozentbereich auftretende Schadeffekte erkennen. Als Faustregel gilt: Mindestens 300 Patienten sind zu beobachten, um mit 95%iger Wahrscheinlichkeit eine
Störwirkung als solche zu erkennen, die zu 1% auftritt.8 Dass lebensbedrohliche und tödliche Folgen nicht in der Erprobung, sondern erst Monate
nach breiter Vermarktung erkannt werden, ist die Regel (Beispiel Troglitazon; a-t 12 [1997], 127), dass sie sogar erst
nach jahrelangem Gebrauch offenbar werden, die Ausnahme (z.B. Herzschäden durch Appetithemmer; a-t 9 [1997],
100).
Ausweg aus dem Dilemma bringt der Rat: "Verordne kein neues Arzneimittel, wenn es ein altbewährtes auch tut."9 Werden neue
Pharmaka anfangs konsequent in der Reserve gehalten, bleibt Zeit, den Nutzen mit bewährten Mitteln in praxisrelevanten klinischen Studien zu vergleichen.
Zudem besteht dann die Chance, noch verborgene Risiken von Neuerungen zu erkennen, bevor viele Patienten geschädigt werden. Ein solches Vorgehen
drückt keine Fortschrittsfeindlichkeit aus, sondern Besonnenheit und Qualität ärztlichen Handelns.
FAZIT: Die unzureichende Datenlage bei Neuzulassungen ist alarmierend.10 Das Arzneimittelgesetz sollte für die Zulassung
Vergleichsstudien mit bekannten Therapieprinzipien vorsehen, damit sich der therapeutische Stellenwert von Neuerungen einordnen lässt und die Zulassung
einem echten Qualitätssiegel gleich kommt. Dies wäre mit Sicherheit die richtige Entscheidung für Verordner und Patienten - und langfristig auch
für Firmen und den Standort Deutschland.
Vor Markteinführung müssen relevante Studien öffentlich zugänglich sein. Die Verordnung neuer Arzneimittel gerät sonst zum Vabanque-
Spiel. Die Qualität der ärztlichen Verordnung lässt sich übrigens auch daran messen, ob "Innovationen" gemieden werden.
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