Wie beurteilen Sie das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Fumarsäure (FUMADERM) bei Psoriasis?
Dr. A. RHEIN
67429 Neustadt
Ende der 50er Jahre berichtet erstmals ein deutscher Chemiker über die erfolgreiche Selbstbehandlung seiner Schuppenflechte mit Fumarsäure. Seit
den 70er Jahren wird vor allem die kombinierte örtliche und orale Behandlung mit Fumarsäureestern oder -salzen propagiert, zumeist in Verbindung mit
spezieller Diät. Darunter kommt es wiederholt zu - nicht immer reversiblem - Nierenversagen (a-t 7 [1990], 68).
Wegen mangelnder Daten beurteilt das ehemalige Bundesgesundheitsamt 1988 Fumarsäure und seine Abkömmlinge negativ. Dennoch vertreibt eine
Schweizer Firma Fumarsäure-Präparate in Deutschland, die sie in der Schweiz nicht verkaufen darf. 1994 lässt das Nachfolgeinstitut (BfArM) ein
Gemisch aus verschiedenen Fumarsäureestern (FUMADERM) in Deutschland als bislang einzigem Land zu. "Wegen des Behandlungsrisikos" darf
es "nur zur Behandlung von schweren Formen der Psoriasis vulgaris (außer Psoriasis pustulosa oder Psoriasis vom Plaque-Typ)" verordnet werden,
"sofern eine äußerliche Therapie nicht angezeigt ist".1 Obwohl das Mittel überwiegend an Patienten mit Plaque-Psoriasis
geprüft wurde, ist also gerade diese Gruppe - gut 90% der Psoriatiker - von der Anwendung ausgeschlossen. Vor Markteinführung gibt Hermal die Lizenz
an den Schweizer Hersteller zurück, da neue Erkenntnisse die Nutzen-Risiko-Abschätzung negativ ausfallen lassen (a-t 11 [1994], 107). Das BfArM leitet ein Stufenplanverfahren ein, ohne für wirksame Schutzmaßnahmen zu
sorgen.
Der Wirkmechanismus der Fumarsäureester ist bis heute nicht geklärt. Neben der nie bewiesenen Hypothese, dass beim Psoriatiker der
Zitronensäurezyklus gestört sei, könnten zytotoxische Eigenschaften eine Rolle spielen.2
Nach einer lückenhaft veröffentlichten plazebokontrollierten Vergleichstudie sollen bis zu 1.290 mg Fumarsäureester-Gemisch täglich Psoriasis-
Läsionen bei der Hälfte der Patienten um mindestens 70% bessern. Bei jedem Zehnten verschlechtert sich die Schuppenflechte.3 Trotz
einschleichender Dosierung klagen drei von vier Kranken über Störwirkungen. Diese sind neben mangelnder Wirksamkeit Hauptgrund für vorzeitiges
Ausscheiden von 40% der Teilnehmer. Eine gelungene Verblindung erscheint uns unwahrscheinlich. Die Daten der Studie halten wir für widersprüchlich
und praktisch nicht auswertbar: Mehr Patienten haben anscheinend Besserung erfahren, als nach Abzug von Studienabbrechern und Nonrespondern in der Studie
verbleiben. Weitere, zumeist kleine offene Studien4,5,6 bringen ebenfalls wenig überzeugende Ergebnisse. Vergleiche mit anderen Antipsoriatika
fehlen.
Die Behandlung verursacht häufig Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall (32%) und Bauchkrämpfe (15%) sowie eine Flush-Symptomatik (über
50%), außerdem Müdigkeit (bis 20%), Kopfschmerz und Übelkeit.1,4,7 Blutschäden sind eher Regel als Ausnahme und verstärken
den Eindruck der Zytotoxizität: Leukozyten sinken innerhalb eines Jahres um 30%, Lymphozyten um 60%, vor allem durch Abfall der T-Suppressorzellen
(CD8).8 80% entwickeln eine Lymphopenie, 20% eine Leukopenie, mehr als die Hälfte zudem eine - häufig schwere - Eosinophilie (bis 47% der
Gesamtleukozyten).7 Irreversible Panzytopenie ist beschrieben.9
Nierenversagen - in der Fachinformation nicht einmal erwähnt - kommt auch nach Einnahme im empfohlenen Dosisbereich und ohne gleichzeitige lokale
Behandlung vor.10 Das Serumkreatinin steigt in einer Untersuchung bei jedem Dritten an.7 Maximal jeder Achte hat Eiweiß im Urin.4
Bei einer 47jährigen rufen Tubulusschäden eine ausgeprägte Osteomalazie mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung hervor.11
Anstieg der Leberenzyme bei 40% weist auf Lebertoxizität hin.4
Während bislang keine Hinweise auf Mutagenität vorliegen, fehlen weiterführende Kanzerogenitätsstudien, vor allem weil Magenschäden
beim Versuchstier eine 52 Wochen übersteigende Anwendung erschweren.2
Die meisten dermatologischen Zentren verzichten wegen der "zahlreichen Unsicherheiten" auf Fumarsäure, zumal wirksame Alternativen
existieren.12 Wir halten eine Anwendung aufgrund der negativen Nutzen-Risiko-Bilanz für nicht vertretbar, -Red. .
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