Jährlich erkranken in Deutschland etwa 30.000 Menschen an Lyme*-Borreliose. In Europa wird die bakterielle Infektion mit Borrelia burgdorferi von
der Schildzecke Ixodes ricinus (Gemeiner Holzbock) übertragen. Im Gegensatz zur ebenfalls durch Zecken verbreiteten Frühsommermeningoenzephalitis
(FSME) kann Borreliose in fast allen Regionen Europas unterhalb 1000 m Höhe erworben werden. Ixodes ricinus bevorzugt unterholzreiche Mischwälder,
findet sich beispielsweise aber auch in Hecken, Flussauen und an grasbewachsenen Wegrändern. Die Erkrankung wird hauptsächlich von Anfang
März bis Ende Oktober übertragen:1,2 Bei Temperaturen unterhalb von 5º C bewegen sich Zecken nicht mehr.3
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Benannt nach der US-amerikanischen Ortschaft Lyme, in der 1975 gehäuft Arthritiden in Verbindung mit Zeckenstichen
beobachtet wurden.
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Angaben zum Grad der Durchseuchung der Zecken mit B. burgdorferi weichen zum Teil erheblich voneinander ab. In Deutschland sollen 10% bis 30% infiziert
sein2,4 und damit bis zu 300 mal mehr als mit FSME-Viren, auf die Hersteller von FSME-Impfstoffen die öffentliche Wahrnehmung einseitig ausrichten.
Nach einem wegen des betäubenden Zeckenspeichels schmerzlosen Stich werden die Borrelien beim Saugakt übertragen. Das Infektionsrisiko
hängt von der Dauer der Haftzeit der Zecke ab und steigt nach 24 Stunden deutlich an.4 In den Körper eingedrungen, können sich die
spiralförmigen Bakterien in der Haut sowie über das Blut oder die Lymphbahnen im ganzen Körper ausbreiten und praktisch alle Organsysteme
befallen. In bestimmten Nischen wie dem Zentralnervensystem können sie jahrelang persistieren.
KLINISCHES BILD: Die Borreliose verläuft - mit fließenden Übergängen - in der Regel in drei Stadien. Abheilung ist in jedem Stadium
möglich. Schwere Erkrankungen sind selten.3
Im Stadium I (Lokalinfektion) bildet sich nach einigen Tagen bis Wochen um die Einstichstelle zumeist ein anfangs scheibenförmiges, später
ringförmiges randbetontes Erythem aus, das sogenannte Erythema (chronicum) migrans. Bei Erwachsenen findet sich die Wanderröte
überwiegend im Bereich der unteren Extremitäten, bei Kindern am Kopf.4,5 Die amerikanischen Centers for Disease Control fordern für die
Diagnose einen Mindestdurchmesser von 5 cm. Aus der entzündlichen Veränderung lassen sich bei jedem Zweiten Borrelien isolieren.2
Differentialdiagnostisch abzugrenzende Reaktionen auf Stiche anderer Insekten setzen üblicherweise innerhalb von 48 Stunden ein und sind kleiner. Meist
bildet sich das Erythem innerhalb weniger Wochen spontan zurück. Häufig wird es von Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen begleitet.5 Wie viele
Betroffene Folgeerkrankungen entwickeln, ist unklar.
Im Stadium II (disseminierte Infektion), Wochen bis Monate nach dem Stich, haben die Spirochäten verschiedene Organe erreicht. Neben
Allgemeinsymptomen wie Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen und Fieber sowie Muskel- und Gelenkschmerzen ist oft das Nervensystem betroffen
(Meningitis, Enzephalitis, Enzephalomyelitis u.a.). In Europa erkranken Erwachsene vor allem an Meningoradikuloneuritis (BANNWARTH-GARIN-BUJADOUX-
Syndrom) mit brennenden, reißenden Schmerzschüben, die besonders nachts auftreten.2 Neben sensiblen Ausfällen kommt es zu
peripheren Extremitätenlähmungen. Häufig sind auch der N. facialis und die Augenmuskelnerven betroffen. Im Kindesalter stehen periphere
Fazialisparese und seröse Meningitis im Vordergrund.4
Bei jedem Zwölften manifestiert sich die disseminierte Borreliose am Herz (AV-Block, ferner Perikarditis und Myokarditis).6
Beim Borrelien-Lymphozytom handelt es sich um eine seltene, aber wegweisende Hautmanifestation mit einzelnen großknotigen bräunlich-roten
Tumoren, die gehäuft an Ohren, Mamillen und Skrotum auftreten und sich nach mehreren Monaten meist spontan zurückbilden.2 Zudem werden
Erythema-migrans-ähnliche Hautveränderungen beobachtet.
Entzündungen von Binde- und Regenbogenhaut, Gelenken, Leber und Hoden sowie Milzvergrößerung und generalisierte Lymphadenopathie tragen
zur Vielgestaltigkeit der Erkrankung bei.
Typisch für das Stadium III (persistierende Infektion) sind chronische Krankheitsbilder Monate bis Jahre nach Infektion. In den USA leiden 60% der
Erkrankten an schubweise verlaufender Arthritis an einem oder wenigen Gelenken. Aufgrund anderer Borrelien-Stämme ist in Europa die
Gelenkbeteiligung mit ca. 10% seltener.2 Hier stehen vor allem Hautatrophie (Akrodermatitis chronica atrophicans) und chronisch-neurologische
Beschwerden (z. B. Polyneuropathien) im Vordergrund.2,6 Eine progressive Borrelien-Enzephalomyelitis äußert sich durch schwere
zentralnervöse Ausfälle mit Tetraspastik, Paresen, zerebellären Störungen und Hirnnervenausfällen.
DIAGNOSE: Anamnese, klinisches Bild und die Bestimmung spezifischer Antikörper untermauern die Diagnose. Während sich im Stadium I nur
bei etwa jedem Dritten Antikörper finden, gelingt der Nachweis im Stadium III bei nahezu allen Patienten.2,7 Falsch-positive Ergebnisse durch
Kreuzreaktion mit anderen Antigenen (z.B. Rheumafaktoren, Syphilis) kommen vor.2 Die Kombination verschiedener Tests verbessert die Empfindlichkeit. In
Regionen mit hoher Exposition haben auch Gesunde häufig positive Antikörpertiter.4,7 Spezifische Antikörper lassen sich auch in Liquor
und Synovialflüssigkeit nachweisen.
Im Blut fallen meist erhöhte Senkung, mäßige Leukozytose sowie milde Anämie auf. Leberenzyme können ansteigen. Neurologische
Komplikationen gehen in der Regel mit Zunahme von Zellzahl und Gesamteiweiß im Liquor einher.
VORBEUGUNG: Ein Impfstoff steht bisher nicht zur Verfügung. Insektenrepellents helfen nur kurzfristig. Besten Schutz bietet geschlossene
Kleidung (lange Hosen, festes Schuhwerk). Spätestens nach Aufenthalt in einem Zeckenbiotop (Unterholz meiden, auf den Wegen bleiben), bei längerer
Verweildauer (z. B. Zelten) auch regelmäßig zwischendurch (alle zwei Stunden),1 ist der Körper nach Holzböcken und seinen
Vorstadien, Larve und Nymphe, abzusuchen, um diese möglichst frühzeitig entfernen zu können.1,3 Sie werden mit einer gebogenen
Pinzette (zur Not mit den Fingernägeln) möglichst in Kopfnähe gegriffen und dann ohne Druck auf den Hinterleib nach oben herausgezogen. Die
Tiere nicht mit Öl, Lack oder Klebstoff abtöten, weil dies den Speichelfluss und damit die Erregerübertragung fördert. Einstichstellen sind in den
folgenden vier Wochen auf ein Erythema migrans zu kontrollieren.1 Eine prophylaktische antibiotische Therapie nach einem Stich ist ohne Vorliegen
klinischer Symptome nicht angezeigt.1,3,6
BEHANDLUNG: Antibiotikawahl und Therapiedauer hängen vom Stadium der Erkrankung und von Organbeteiligungen ab. Trotz erfolgreicher
Behandlung sinken die Antikörper lange Zeit oft nur langsam.2,14 Isolierte Erhöhung der Antikörpertiter ohne klinische Symptome erfordert
keine Therapie.
Unter der Behandlung bildet sich nicht nur das Erythema migrans schneller zurück. Auch sekundäre Erkrankungen sollen deutlich seltener
auftreten.3 Etwa 15% der Patienten entwickeln eine JARISCH-HERXHEIMER-ähnliche Reaktion innerhalb der ersten 24 Stunden der
Therapie.6
Heute werden Amoxicillin (AMOXYPEN u.a., 500 mg dreimal täglich) oder Doxycyclin (VIBRAMYCIN u.a., 100 mg zweimal täglich) 10 bis 21 Tage lang per
os empfohlen.3,5,8,9 Bestehen bereits Zeichen der Generalisierung, versagt die Therapie häufiger und soll daher auf bis zu 30 Tage verlängert6
und/oder parenteral angewendet werden.5,8 Bei Unverträglichkeit von Amoxicillin und Kontraindikationen gegen Tetrazykline (Schwangere und Kinder) kommt
Cefuroxim-Axetil (ELOBACT, ZINNAT, 500 mg zweimal täglich) in Betracht.6,8 Makrolide wie Erythromycin (ERYTHROCIN u.a.) schneiden schlechter
ab.10,11
Plazebokontrollierte Studien, die einen Nutzen von Antibiotika bei Neuroborreliose vor allem hinsichtlich der Vermeidung von Spätschäden
belegen, fehlen. Penicillin G (PENICILLIN "GRÜNENTHAL" u.a., 20 Mio E/Tag), Cefotaxim (CLAFORAN, dreimal täglich 2 g), Ceftriaxon
(ROCEPHIN, einmal täglich 2 g) und Doxycyclin (zweimal täglich 100 mg i.v.) wirken etwa gleich gut.6,8,9,12 Intravenöse Anwendung soll
Medikamentenspiegel im Liquor oberhalb der bakteriostatischen Konzentration für B. burgdorferi gewährleisten. Weitgehend durchgesetzt hat sich die
zwei- bis dreiwöchige Behandlung mit Ceftriaxon, zumal sie aufgrund einmal täglicher Anwendung ambulant möglich ist.6,8,9,12 Ob
zusätzlicher Gebrauch von Kortikosteroiden nützt, bleibt offen.8
Systematische Untersuchungen zur Lyme-Karditis fehlen. Bestehen nur geringe Symptome, kommen Amoxicillin, Doxycyclin oder auch Cefuroxim per os
über drei Wochen in Betracht.3 Vor allem bedrohliche AV-Blockierung erfordert wie bei Neuroborreliose die intravenöse Anwendung von
Ceftriaxon, Penicillin G oder Cefotaxim über 14 Tage.3,6,12 Gelegentlich ist ein passagerer Schrittmacher angezeigt.12
Bei Lyme-Arthritis wirken Doxycylin (zweimal täglich 100 mg) oder Amoxicillin (viermal täglich 500 mg), über vier Wochen
eingenommen,3,6,12 bei 70% bzw. 60%.12 Etwa jeder dritte Therapieversager spricht auf hoch dosiertes Penicillin G (z.B. 20 Mio E)3 oder
Ceftriaxon i.v. an.12 Das bessere Abschneiden von Ceftriaxon gegenüber Penicillin G in einer Studie beruht u. E. möglicherweise auf
mißlungener Randomisierung. 2 g und 4 g Ceftriaxon wirken gleich gut.13
Kontrollierte Studien zur Therapie der Akrodermatitis chronica atrophicans fehlen. Penizillin und Tetrazykline lassen in Erfahrungsberichten einen Nutzen
erkennen und sollen etwa drei Wochen lang eingnommen werden. Defektheilung ist die Regel.
FAZIT: Die Lyme-Borreliose beruht auf Infektion mit Borrelia burgdorferi, die durch Stich infizierter Schildzecken (Ixodes ricinus, Holzbock) übertragen wird.
Die Erkrankung verläuft meist leicht. Zunächst breiten sich die Spirochäten in der Haut aus (Wanderröte, Erythema [chronicum] migrans), in
Folgestadien zudem in Nervensystem, Gelenken und Herz (Meningoradikuloneuritis BANNWARTH, Arthritis, Akrodermatitis atrophicans u.a.).
Anamnese, klinisches Bild und Nachweis spezifischer Antikörper untermauern die Diagnose. Im Stadium I reicht die 14tägige Einnahme von Doxycyclin
(VIBRAMYCIN u.a.) oder Amoxicillin (AMOXYPEN u.a.) zumeist aus. Bei Zeichen leichter Karditis, Arthritis und bei späten Hautschäden wird die Therapie
auf drei bis vier Wochen ausgedehnt. Zur Behandlung von Therapieversagern und Neuroborreliose eignet sich Ceftriaxon (ROCEPHIN) intravenös über
zwei bis drei Wochen. Klinische Symptome und Antikörpertiter verändern sich oft nur langsam.
Ein Impfstoff existiert bislang nicht. Zur Vorbeugung ist bei Aufenthalt in Zeckenbiotopen auf schützende Kleidung zu achten und der Körper
regelmäßig nach Zecken abzusuchen, um diese rasch entfernen zu können. Einstichstellen sind vier Wochen lang auf ein Erythema migrans zu
kontrollieren. Ohne klinische Zeichen ist eine prophylaktische antibiotische Behandlung weder nach einem Stich noch bei erhöhten Antikörpertitern
sinnvoll.
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