Die koronare Herzkrankheit gilt als Männerleiden. In klinischen Studien stehen Männer im Vordergrund. Das so gewonnene Bild der
Erkrankung läßt sich nicht ohne weiteres auf Frauen übertragen. Die Gefährdung von Frauen durch Koronarerkrankungen wird zudem
häufig unterschätzt.
RISIKOFAKTOREN: Bis zum Alter von 65 Jahren sterben tatsächlich mehr als dreimal so viele Männer an den Folgen der koronaren
Herzkrankheit.1 Junge Frauen sind offenbar besser geschützt, selbst dann, wenn sie rauchen, Übergewicht haben oder an Bluthochdruck leiden.
Besonders die für Frauen typische, den Oberkörper aussparende Fettverteilung soll ein günstiges Zeichen sein.2
Nach den Wechseljahren steigt die Gefahr der Herzerkrankung. Unabhängig vom Alter gilt die Postmenopause als einer der wichtigsten
Risikofaktoren.3 Beobachtungsstudien sprechen dafür, daß die Langzeitanwendung von Sexualhormonen vor kardiovaskulären
Erkrankungen schützt. Belege aus randomisierten Studien fehlen (a-t 4 [1995], 37).
Junge Frauen mit Diabetes mellitus verlieren den besonderen Schutz vor kardiovaskulären Erkrankungen
(a-t 4 [1995], 37). Nach der Framingham-Studie haben Diabetikerinnen ein doppelt so hohes Risiko,
Herzkranzgefäßerkrankungen zu erleiden, wie zuckerkranke Männer.4 Dies gilt zum Teil als Folge häufiger weiterer Risikofaktoren bei
Frauen.3 Gegenwärtig wird geprüft, ob die intensivierte Insulintherapie einer koronaren Herzkrankheit ebenso vorbeugt wie anderen diabetischen
Folgeschäden (vgl. a-t 8 [1993], 78).5
Das Serumcholesterin steigt bei Frauen jenseits des 20. Lebensjahres erheblich langsamer als bei Männern, mit deutlich günstigerem HDL-
Gesamtcholesterin-Verhältnis bis zur Menopause.4 Frauen scheinen höhere Gesamtcholesterinwerte besser zu tolerieren als Männer,
besonders dann, wenn weitere Risikofaktoren fehlen.1,6 Anders als bei Männern signalisiert ein niedriges HDL eine Gefährdung besser als hohe
LDL-Werte.3,4 Ein Nutzen blutfettsenkender Medikamente für sonst gesunde Frauen ist nicht hinreichend belegt. Klinische Studien zur Behandlung
der Hypercholesterinämie beziehen vorwiegend Männer ein (a-t 8 [1996], 75). Zwei aktuelle
Untersuchungen zur Sekundärprophylaxe berücksichtigen weniger als 20% Frauen. Während in der 4S-Studie die Einnahme von Simvastatin
(DENAN u.a.) Frauen mit Herzinfarkt oder Angina pectoris vor erneuten Herzkranzgefäßerkrankungen schützt, läßt sich ein Einfluß auf
die Sterblichkeit statistisch nicht sichern.7 In der noch unveröffentlichten CARE-Studie mit Pravastatin (PRAVASIN) sollen Frauen hinsichtlich
kardiovaskulärer Erkrankungen deutlicher profitieren als Männer. Dem steht jedoch eine beunruhigend hohe Zahl an Brustkrebserkrankungen in der
Verumgruppe (12 [4,2%] versus 1 [0,3%]) gegenüber.8
Frauen mit Bluthochdruck haben ein gegenüber normotensiven Frauen erhöhtes Risiko der koronaren Herzkrankheit oder des Schlaganfalls,
scheinen aber im jüngeren Lebensalter weniger gefährdet zu sein als Männer. Sie profitieren dafür weniger von antihypertensiver
Therapie.2 Ein neuseeländisches Expertengremium empfiehlt bei mildem Hochdruck (bis 170 mmHg systolisch, bis 100 mmHg diastolisch) die
medikamentöse Therapie nur dann, wenn weitere Risikofaktoren vorliegen.9 Für ältere Frauen bedeutet Hypertonie dagegen eine
größere Bedrohung als für Männer.3 Auch der isolierte systolische Hochdruck, Ausdruck des Verlustes der arteriellen Elastizität,
trifft mit nahezu jeder dritten über 65jährigen mehr Frauen als Männer und bedarf der Therapie.5 Betablocker und Diuretika haben Vorrang.
Thiazid-Diuretika schützen möglicherweise vor Knochenbrüchen (a-t 5 [1996], 48). Frauen leiden doppelt so häufig unter ACE-Hemmer-
bedingtem Husten wie Männer.10
Schon ein bis vier Zigaretten am Tag steigern die Gefahr der koronaren Herzkrankheit gegenüber Nichtraucherinnen um mehr als das Doppelte. Das
Risiko nimmt zu, wenn über 35jährige Raucherinnen orale Kontrazeptiva anwenden. Langjähriger Rauchgenuß scheint sich bei Frauen
ungünstiger auszuwirken als bei Männern.3
UNTYPISCHE BESCHWERDEN: Frauen klagen häufiger als Männer über "atypische" Brustschmerzen: Zum einen leiden sie
öfter an vasospastischer Angina oder an nicht ischämisch bedingten Schmerzen wie bei Mitralklappenprolaps. Zum anderen geht auch die koronare
Herzkrankheit bei Frauen häufiger mit ungewöhnlichen Beschwerden wie etwa belastungsunabhängigen Schmerzen einher. Der akute Herzinfarkt
ruft neben dem Brustschmerz oft auch Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit oder Luftnot hervor, im Unterschied zu Männern, bei denen die akute Angina
pectoris allein vorherrscht.3,11 Frauen mit Brustschmerzen leiden seltener an koronarer Herzkrankheit als Männer. Nur bei gut der Hälfte
derjenigen, die in der Coronary Artery Surgery-Studie wegen Angina pectoris untersucht wurden, ließen sich angiographisch Gefäßstenosen
bestätigen.12 Das Belastungs-EKG liefert häufiger falsch-positive Ergebnisse.4
Nach Ansicht amerikanischer Kardiologen hilft die Beachtung des spezifischen Risikoprofils bei Frauen mit Brustschmerzen, überflüssige, kostspielige
Untersuchungen zu vermeiden, gefährdete Patientinnen aber zuverlässiger zu erkennen (Tabellen). Fehlen Hauptrisikofaktoren und bestehen nicht mehr
als ein wichtiger oder zwei weniger wichtige Faktoren z. B. sonst gesunde sportliche junge Raucherin mit untypischen Brustbeschwerden , ist eine
koronare Herzkrankheit wenig wahrscheinlich, das Belastungs-EKG eher falsch positiv und verzichtbar. Für alle anderen empfiehlt sich ein Belastungs-EKG,
das, wenn es positiv oder unklar ausfällt, weitere Untersuchungen nach sich ziehen soll.3
UNTERSCHÄTZTE GEFAHR: Frauen mit pektanginösen Beschwerden werden offensichtlich weniger ernstgenommen als Männer. Nach
einer neueren retrospektiven Untersuchung an 4.000 Patienten unterbleiben bei Frauen mit positivem Belastungs-EKG Folgeuntersuchungen häufiger als bei
Männern (62% vs. 38%). Sie erhalten seltener einen Bypass oder eine Angioplastie (PTCA), aber öfter angstdämpfende Medikamente. Im Verlauf von
zwei Jahren erleiden in dieser Studie mehr Frauen einen Myokardinfarkt oder sterben am Herztod.13
Patientinnen mit Herzinfarkt erreichen die Notaufnahme später als Männer.11 Eine thrombolytische Therapie beginnt mit größerer
Zeitverzögerung oder unterbleibt häufiger.11,14 Die höhere Sterblichkeit von Frauen nach Herzinfarkt und nach Bypassoperationen wird
zum Teil auf diese Defizite zurückgeführt.3,14 Während sich die Infarktmortalität bei Männern in der zweiten Hälfte der 80er
Jahre hierzulande um etwa 4% senken ließ, stieg sie bei Frauen im gleichen Zeitraum um 22%.15
FAZIT: Die koronare Herzkrankheit trifft Frauen ebenso wie Männer, vor allem nach den Wechseljahren. Das besondere Risikoprofil und das häufiger
vom bekannten abweichende Beschwerdebild sind zu beachten, um die Erkrankung bei Frauen zuverlässig erkennen und behandeln zu
können.
|