Die kalten Monate bringen die Zeit der Halsentzündungen. Während Erwachsene und Kinder unter drei Jahren sich überwiegend mit
Viren infizieren, beruht ab dem Vorschulalter praktisch jede zweite Tonsillopharyngitis auf Infektionen durch β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A
(Streptococcus pyogenes),4 in Epidemiezeiten sogar bei neun von zehn Kindern mit typischen Symptomen.1 Streptokokkeninfektionen erfordern
die antibiotische Therapie, um rheumatischem Fieber mit möglichen Herzklappendefekten vorzubeugen.2 Folgeschäden einschließlich der
Poststreptokokken-Glomerulonephritis, für die auch ß-hämolysierende Streptokokken der Gruppe C verantwortlich sein können, waren in
Industrieländern nach dem 2. Weltkrieg selten geworden. Seit Mitte der 80er Jahre tritt rheumatisches Fieber in den USA und Europa u.a. in
Italien zum Teil erneut epidemisch auf.2,3 Insgesamt scheint die Virulenz von S. pyogenes zu steigen. Hierauf deutet auch die Zunahme
lebensbedrohlicher invasiver und toxischer Krankheitsbilder (z.B. toxisches Streptokokken-Schocksyndrom).
KLINISCHES BILD: Zwei bis vier Tage nach der Tröpfcheninfektion setzen akut Hals- und Kopfschmerzen, Fieber über 38° C und
Schluckbeschwerden ein ohne begleitenden Husten oder Schnupfen. Bei der Untersuchung fallen geröteter Rachen, vergrößerte, stark
hyperämische und häufig mit weißlichen, fleckigen Exsudaten belegte Gaumenmandeln sowie schmerzhaft geschwollene Kieferwinkel-Lymphknoten
auf. Bei Kindern können Erbrechen und Bauchschmerzen im Vordergrund stehen.3 Die Beschwerden klingen in der Regel nach einer Woche von selbst
ab.
DIAGNOSE: Vom Krankheitsbild läßt sich nicht auf den Erreger schließen. Virale (z.B. Adeno-, Influenza-, Epstein-Barr-Virus mit der Folge der
infektiösen Mononukleose, HIV) und andere bakterielle Infektionen treten ähnlich in Erscheinung. Die Diagnose nach dem klinischen Bild mag leichter
fallen, wenn Erdbeerzunge und ein typischer feinfleckiger Scharlach-Ausschlag, der die Umgebung des Mundes ausspart (periorale Blässe), das Bild der
Infektion ergänzen.3,4,5 Oft tritt Scharlach nur mit Pharyngitis ohne entzündete Gaumenmandeln auf.6 Adenoviren u.a. können ein
ähnliches Exanthem verursachen.
Zur Klärung dient ein Rachenabstrich. Beide Tonsillen und die Rachenhinterwand werden mit dem Stab abgetupft, ohne Zungen- oder Wangenschleimhaut zu
berühren. Eine Kultur bringt frühestens nach 14 bis 18 Stunden ein Resultat.
Schnelltests (PHADIRECT STREP A u.a.), die das Ergebnis innerhalb weniger Minuten liefern (vgl. a-t 4 [1986], 26), helfen im Zweifelsfall, überflüssige
Behandlungen mit Antibiotika zu vermeiden. Bei niedrigen Keimzahlen auf dem Abstrichtupfer versagen die Tests bei jedem Zehnten bis Fünften. Besteht trotz
negativem Ergebnis klinisch Verdacht auf Streptokokkeninfektion, empfiehlt es sich, zusätzlich eine Kultur anzulegen.3
Maximal jeder Fünfte trägt A-Streptokokken im Rachenraum, ohne Krankheitszeichen aufzuweisen.3,4 Wegen der meist niedrigen Keimzahlen
sind die Betroffenen weder ansteckend noch können sie an rheumatischem Fieber erkranken.4 Üblicherweise besteht kein
Behandlungsbedarf.2,3
PENICILLLIN V (ISPENORAL U.A.) WARUM WIRD SO HOCH DOSIERT?
Unterschiedliche Dosierungsempfehlungen für Penicillin-V-Präparate irritieren. Hersteller weisen für Kinder überwiegend Tagesdosen um 50.000
E pro kg Körpergewicht (KG) aus, so etwa Hoechst für ISPENORAL "40.000-60.000 (-160.000) E/kg KG/Tag" (Rote Liste 1995, 10 020). Gleichlautende
Empfehlungen finden sich im englischen Sprachraum. Die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie setzt hingegen zur Therapie der A-
Streptokokken-Tonsillopharyngitis mit 100.000 E/kg KG auf eine doppelt so hohe Tagesdosis:
Es entspricht einer allgemeinen Beobachtung und auch Aussagen von niedergelassenen Allgemein- und Kinderärzten, daß sie mit den
früher empfohlenen Dosierungen von ca. 50.000 E/kg KG pro Tag nicht selten geringes bzw. Nichtansprechen beobachten. Insbesondere entfiebern die
Kinder erst relativ spät, wenn überhaupt, und haben häufig Rezidive... Möglicherweise ist ein Hauptgrund die Tatsache, daß die Patienten
das Penizillin nicht dreimal täglich, sondern nur zweimal täglich, oder gar nur einmal täglich erhalten. Es gibt zahlreiche Aussagen und
Beobachtungen, sowie Hinweise in der Literatur, daß die Compliance insbesondere bei Penicillin V bei dreimal täglicher Gabe nur bei ca. 50% bis 60%
liegt... In diesen Fällen kann die Dosis so stark reduziert sein, daß Betalaktamase-bildende Begleitkeime, die an der Infektion nicht beteiligt sind, die
geringen vorhandenen Penizillinmengen abbauen können, so daß in der Tiefe der Tonsillen nicht mehr ausreichende Antibiotikumkonzentrationen
vorhanden sind...
Diese Überlegungen haben die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie dazu bewogen, eine höhere Dosis von Penicillin V in der
Größenordnung von 100.000 E/kg KG pro Tag aufgeteilt auf zwei bis drei Einzelgaben zu empfehlen. Bei dieser Maßnahme ist zumindest durch die
Einzeldosen eine so hohe Konzentration im Gewebe gesichert, daß mit einem besseren Ansprechen auf die Therapie gerecht werden kann... Die Amerikaner
bleiben nach wie vor bei ihrer Dosierungsempfehlung, geben jedoch auch zu, daß es darunter häufig zu Therapieversagern kommen kann. Andererseits ist
dort die Compliance vielleicht besser als hierzulande.
Prof. Dr. Dr. D. ADAM
D-80337 München |
BEHANDLUNG: Die antibakterielle Therapie beugt der rheumatischen Folgeerkrankung vor, nicht jedoch der Poststreptokokken-
Glomerulonephritis.2 Den Patienten bzw. den Eltern ist eindrücklich zu erläutern, daß das Antibiotikum zehn Tage lang eingenommen werden
muß, auch wenn die Beschwerden unter der Therapie eher abklingen.7 Die Menge des verordneten Antibiotikums muß für zehn Tage
reichen. Rascher Behandlungsbeginn verringert die Ansteckungsgefahr. Bereits nach 24stündiger Therapiedauer können Gemeinschaftseinrichtungen
wieder besucht werden.7 Abschließende Rachenabstriche zur Überprüfung des Erfolges sind unnötig.1
Antibiotikum der Wahl bleibt Penicillin V (ISOCILLIN u.a.), weil seine präventive Wirkung gut dokumentiert ist.2,4 Die Dosierung soll
ausreichend hohe Konzentrationen im Tonsillengewebe gewährleisten: Jugendliche und Erwachsene erhalten täglich 3 Millionen E, Kinder 100.000 E pro
kg Körpergewicht (siehe Kasten), verteilt auf zwei bis drei nüchtern einzunehmende Dosen für insgesamt zehn Tage.1,5,7 Das
Benzathinsalz des Penicillin V (INFECTOBICILLIN) wird als besser schmeckende Alternative angeboten. Breite Erfahrungen existieren jedoch international für
das übliche Kaliumsalz.
Bis zu 30% der Behandelten tragen den Erreger trotz klinischer Besserung weiterhin, obwohl A-Streptokokken voll sensibel gegenüber Penizillin sind.4
Reinfektionen mit einem anderen Subtyp, Trägertum, mangelnde Einnahmezuverlässigkeit nach Abklingen der Beschwerden und nicht pathogene
betalaktamasebildende Keime der Mundflora können zugrunde liegen.1,2,3,5
Für Penizillinallergiker stehen Makrolide wie Erythromycin (ERYTHROCIN u.a.) zur Verfügung. Auch hier ist die präventive Wirkung
belegt.2 Regional unterschiedlich ausgeprägte Resistenzen der A-Streptokokken sind zu beachten.3,4 Clarithromycin (KLACID) und andere
neuere Makrolide bieten bei resistenten Erregern keine Vorteile.4
Nur wenn Penizillin versagt sowie bei häufigen Reinfektionen, verzögertem Krankheitsverlauf oder wiederholtem Erbrechen des Kindes nach
Penizillingabe auf nüchternen Magen kommt ein Oralcephalosporin wie Cefaclor (PANORAL u.a.) in Betracht.1,7 Ein sicherer Schutz vor
rheumatischem Fieber ist bisher nicht bewiesen.
Örtlich anzuwendende Antibiotika wie Tyrothricin (z.B. in DORITHRICIN) oder Fusafungin (LOCABIOSOL) sowie Desinfektionsmittel (z.B. in
DOBENDAN) bleiben ohne Nutzen. Sie dringen nicht in tiefere Gewebeschichten der Gaumenmandeln vor und schützen nicht vor Spätfolgen von
Infekten mit β-hämolysierenden Streptokokken. Systemische Tetrazykline, Co-trimoxazol (BACTRIM u.a.) und Gyrasehemmer eignen sich nicht
(unzureichende Wirksamkeit, Kontraindikation für Kinder o.a., vgl. Therapiekursbuch '94/95, Seite 356).2
Eine operative Entfernung der Gaumenmandeln wird empfohlen, wenn sich ein Peritonsillarabszeß ausgebildet hat oder bei mehr als sechs bakteriellen
Infekten im Jahr. Zurückkhaltende Empfehlungen sehen eine Indikation zur Operation erst, wenn die Größe der Mandeln zu Behinderungen
führt. Zur symptomatischen Linderung viralbedingter Pharyngitiden dient Parazetamol (BENURON u.a.) bzw. bei Erwachsenen Azetylsalizylsäure (ASPIRIN
u.a.).
FAZIT: Vor allem Kinder im Schulalter erkranken an Streptokokkenangina. Erwachsene mit Halsschmerzen, Schluckbeschwerden und vergrößerten
Gaumenmandeln haben sich häufiger mit Viren angesteckt. Die zehntägige Behandlung einer durch ß-hämolysierende Streptokokken
ausgelösten Tonsillopharyngitis mit Penicillin V (ISOCILLIN u.a.) beugt rheumatischem Fieber und einer Herzschädigung vor. Für Penizillinallergiker
eignen sich Makrolide wie Erythromycin (ERYTHROCIN u.a.). Verläuft die Erkrankung verzögert, kann auf ein Oralcephalosporin (z.B. Cefaclor
[PANORAL u.a.] ausgewichen werden.
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