Im Juni 1993 berichteten wir erstmals über irreversible Blindheit unter der Behandlung mit dem Säureblocker Omeprazol (ANTRA,
GASTROLOC; a-t 7 [1993], 74; 11 [1993], 122). Auch das
Bundesgesundheitsamt (BGA) wurde informiert und wies auf den Zusammenhang zwischen Omeprazol und irreversiblen Seh- bzw. Hörstörungen
hin.1,2 Dies veranlaßte den Hersteller Astra, am 13. März 1994 Experten zu einer Krisensitzung am Frankfurter Flughafen zusammenzurufen. Die
Firma erhielt ein entlastendes Statement, weil Kernaspekte des medizinischen Erkenntnisstandes unbeachtet blieben (a-t 6
[1994], 50).
Dem BGA liegen jetzt aus Deutschland 47 Berichte über Sehstörungen, fünf über Hörstörungen, acht über Fieber und zwei
über Vaskulitiden unter der Behandlung mit Omeprazol vor. In einigen Fällen war Omeprazol das einzige verwendete Arzneimittel. Aus der EU kommen
weitere 50 Berichte über Seh- und 13 über Hörstörungen. Aus England wird ferner über sieben Patienten mit Vaskulitis und aus Frankreich
über fünf Personen mit Fieber berichtet.3 Es ist interessant, daß die meisten Berichte über Seh- (36) und Hörstörungen (12)
aus England kommen, wo eine intravenöse Anwendungsform von Omeprazol nicht zugelassen ist. Die These des BGA, daß das Risiko der Seh- und
Hörstörungen auf der zu hoch dosierten Ampullenform (40 mg Omeprazol) beruht, erscheint daher nicht nachvollziehbar.
Jetzt hat der Europäische Ausschuß für Arzneimittelspezialitäten (CPMP) in Brüssel einen weiteren "Persilschein" erteilt, weil
angeblich kein Zusammenhang zwischen Sehstörungen und Omeprazol bestehen soll. Die herstellerfreundliche, aber verbraucherfeindliche Entscheidung kann
nicht verwundern, denn nur der Hersteller, nicht aber Wissenschaftler und Ärzte, die die Erkrankten betreuen, werden vom CPMP gehört. Die Leitung des
deutschen Arzneimittelinstituts war nicht in der Lage, die hierzulande bekanntgewordenen Berichte über Seh- und Hörstörungen entsprechend den
Vorgaben der EU für die anderen Mitgliedsstaaten wissenschaftlich hinreichend überzeugend aufzuarbeiten. Diese Verzögerungstaktik der
deutschen Behörde verärgerte die französischen Delegierten. Mit Artikel 12 des EU-Vertrages wollen sie nationale Maßnahmen der deutschen
Behörde gegen Omeprazol verhindern.4
Auch die Diskussion über BSE-verseuchtes Fleisch aus England oder über Risiken verbotener Pestizide in Deutschland dokumentiert die
Grundauffassung der EU, daß Anbieterinteressen Vorfahrt vor Verbraucherschutz haben, getreu dem Prinzip, daß der Handel nicht durch
verbraucherorientierte Sicherheitsbedenken eingeschränkt werden darf. Deshalb darf England weiterhin BSE-verseuchtes Fleisch oder Futtermittel exportieren.
Nationale Maßnahmen wie Importverbot dürfen nicht ausgesprochen werden. Die EU-Bürokratie beabsichtigte zudem ein Informationsverbot
über Arzneimittelrisiken, nach dem Mitgliedsstaaten verpflichtet sein sollten, darüber zu wachen, daß "keine Angaben" im Bereich der
Arzneimittelsicherheit verbreitet werden, die "unnötige Beunruhigung auslösen können" und die nicht offiziell bestätigt
wurden.5
Auf welchen Wegen bei den EU-Behörden herstellerfreundliche Entscheidungen zustande kommen können, läßt das Beispiel des ehemaligen
Vorsitzenden des CPMP, Professor Duilio POGGIOLINI, erahnen. Er nahm während seiner Diensttätigkeit in Italien als Beamter der
Gesundheitsbehörde Bestechungsgelder in der vermuteten Höhe von mehr als 100 Millionen Dollar von der Pharmaindustrie entgegen. Als
Gegenleistungen wurden den Firmen Zulassungen und Preiserhöhungen gewährt.6 Daß solches möglicherweise unter seiner Leitung
auch bei der Brüsseler EU-Behörde geschah, wird durch die Entscheidung des CPMP im Falle des Rinderhirnextraktes CRONASSIAL/SYGEN der
italienischen Firma Fidia denkbar. Die in Padua beheimatete Fidia soll Bestechungszahlungen im Wert von 250.000 US-Dollar angeboten haben, damit
CRONASSIAL in Italien auf dem Markt bleiben kann.7 In Gegenwart von POGGIOLINI entschied das CPMP noch 1990 gegen ein Verbot des
Rinderhirnextraktes in den Ländern der EU.8 Dabei war das Mittel bereits 1989 in Deutschland vom Markt genommen worden, weil es schwerste, z.T.
tödliche GUILLAIN-BARRE-Syndrome ausgelöst hatte (a-t 8 [1989], 76).9 Wie jetzt im Fall Omeprazol sah das CPMP auch bei CRONASSIAL
noch 1990 keinen "kausalen" Zusammenhang zwischen immunogener neurologischer Schädigung und Präparat. Erst 1993 nach dem Sturz
von POGGIOLINI breitete sich auch unter Italiens Wissenschaftlern die Kenntnis über die schädliche Wirkung von CRONASSIAL aus.10 Wie
lange wird es im Fall Omeprazol bei der EU dauern?
1989 waren nationale Entscheidungen im Rahmen der Arzneimittelsicherheit noch möglich. Das CPMP hätte Deutschland wegen der
Marktrücknahme verklagen und die Wiedereinführung von CRONASSIAL in der Bundesrepublik anordnen können: Dem
Verbraucher-/Patientenschutz à la Europäische Union fehlt ein Sicherheitsnetz. Im Streitfall dominiert das Herstellerinteresse. Das Risiko tragen die
Patienten. Deshalb ist fraglich, ob das Verbot der Omeprazol-Ampullen Bestand haben wird, das das Arzneimittelinstitut mit Bescheid vom 2. August 1994
ausgesprochen hat.
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