In den vergangenen Ausgaben des "Deutschen Ärzteblatt" fallen mir gehäuft Stellungnahmen zum Thema der
medikamentösen Behandlung der Hyperlipidämie im allgemeinen und besonders bei älteren Patienten auf. Dabei wird nach meinem Eindruck
forcierter als zuvor die Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung nicht nur bei Patienten unter 60-65 Jahren hervorgehoben, sondern auch die Frage
nach der medikamentösen Therapieindikation bei älteren Patienten weitgehend positiv beantwortet.
Werden Sie neuere Veröffentlichungen zum Anlaß nehmen, Ihre zurückhaltende Empfehlung bezüglich der medikamentösen Behandlung
gerade bei Älteren zu korrigieren, oder handelt es sich bei den zunehmenden Stellungnahmen im "D Ä" (auch) um den Versuch,
größere Umsatzeinbußen gerade in dem Bereich der teuren Antihyperlipidämika durch eine Erweiterung des Indikationsbereiches aufzufangen?
Dr. med. E. SIEVERT
D-53175 Bonn
Im Rahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes verzeichnen Anbieter von Lipidsenkern massive Umsatzeinbrüche bis zu 40%. Veröffentlichungen von
"Meinungsbildnern" in Publikationen wie dem Deutschen Ärzteblatt oder der Ärzte Zeitung (z.B. "Wissenschafts-Journal" vom 10.
März 1993) zum angeblichen Nutzen von Lipidsenkern im Alter deuten wir als Abwehrstrategie ohne fundierten Hintergrund: Die koronare Herzkrankheit (KHK)
ist die häufigste Todesursache im höheren Lebensalter. Nur jeder vierte oder fünfte Patient, der wegen eines Herzinfarktes zur Lysetherapie auf die
Intensivstation kommt, läßt vorher deutliche Risikofaktoren erkennen. Noch seltener haben Herzinfarkt-Patienten vorbestehende erhöhte Serum-
Cholesterinwerte. Es erscheint daher zweifelhaft, daß die isolierte Beeinflussung dieses Risikofaktors durch lipidsenkende Arzneimittel wesentlich zur Senkung
des Herzinfarktrisikos beiträgt.
Es gibt keine Studie, die den Nutzen einer blutfett-senkenden medikamentösen Therapie für über 65jährige belegt (vgl. a-t 12 [1991], 111). Im Gegenteil: Nach mehreren Studien gehen "niedrignormale" Cholesterinspiegel bei
älteren Menschen mit erhöhter Mortalität einher.1 Eine Metaanalyse von 35 Studien deutet einen Vorteil der Behandlung mit Lipidsenkern
hinsichtlich der KHK-Sterblichkeit allenfalls für eine kleine Hochrisikogruppe an mit mehr als 50 Todesfällen pro 1.000 Patientenjahre, bei der mehrere
Faktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Angina pectoris, Claudicatio intermittens, Übergewicht und Hypercholesterinämie
zusammentreffen, während bei mittlerem Risiko kein Vorteil und bei niedrigem Risiko sogar ein Nachteil erkennbar wird.2 Kritiker der Studie bezweifeln
den Nutzen blutfettsenkender Medikamente selbst für die Hochrisiko-Patienten.3
Für Personen mit erhöhten Cholesterinwerten ohne weitere Risikofaktoren bringt die Behandlung mit Lipidsenkern keinen Nutzen, unabhängig von
der Altersgruppe. Mit dem Alter steigen die Cholesterinwerte in der Regel an. Erhöhte Spiegel bedeuten für ältere Personen keine Indikation zur
medikamentösen Therapie. Zudem geht die medikamentöse Lipidsenkung mit einem breiten Spektrum z.T. schwerer Unverträglichkeiten einher. In
der Langzeitstudie der WHO lag die Gesamtsterblichkeit unter Clofibrat (REGELAN N u.a.) deutlich höher als in der Kontrollgruppe unter Plazebo (vgl. a-t 1 [1993], 18).4 Ähnliche Risiken werden auch für Fibrate neuerer Generation wie Gemfibrozil
(GEVILON) und Cholesterin-Synthese-Hemmer befürchtet.1,5 Für Fibrate werden zudem kanzerogene Effekte diskutiert (vgl. a-t 9 [1979],
67).
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