Die Folgen von Wechselwirkungen von Antiepileptika mit anderen Arzneimitteln umfassen Wirkungsverlust einer Substanz oder Störwirkungen bis
hin zur Intoxikation. Prinzipiell beruhen die Interaktionen vor allem auf Induktion (vermehrte Bildung) und Inhibition (Hemmung) von Leberenzymen sowie auf der
Beeinflussung der Proteinbindung. Dabei können die Antiepileptika selbst, ihre Metaboliten sowie die Komedikation beteiligt sein.
Bei Zusatz eines zweiten Antiepileptikums wie auch bei Dosisänderung eines Medikamentes in einer Kombination sind die möglichen Interaktionen zu
beachten und entsprechend Kontrollen von Klinik und der Serumspiegel vorzunehmen.1
Phenytoin (PHENHYDAN u.a.) wird zu 98% zu Hydroxyphenytoin verstoffwechselt und als Glukuronid im Urin ausgeschieden. Vor allem wegen seiner nicht
linearen Abbaukinetik ist Phenytoin das Antiepileptikum mit den am häufigsten beobachteten Interaktionen.3,4
Zerebelläre und Hirnstamm-Symptome (Ataxie, Dysarthrie, Verschwommensehen) sind die auffälligsten Zeichen einer Überdosierung. Ein besonders
nützlicher Indikator, nach dem jedoch durch gezielte Untersuchung gefahndet werden muß, ist der nicht erschöpfbare
Blickrichtungsnystagmus.
Unter niedrig dosierter Komedikation mit Phenobarbital (LUMINAL u.a.) sinken die Phenytoin-Serumspiegel, bedingt durch Enzyminduktion, während sie durch
mittlere und höhere Phenobarbital-Konzentrationen bedingt durch kompetitive Enzymhemmung ansteigen. Bei gleichzeitiger Gabe von
Mesuximid (PETINUTIN) nimmt der Phenytoin-Serumspiegel durch kompetitive Enzymhemmung deutlich zu, da Phenytoin, Phenobarbital und Mesuximid über
gemeinsame Stoffwechselwege abgebaut werden.
Valproinsäure (ERGENYL u.a.) verdrängt Phenytoin aus der Bindung an Serumproteine. Der freie Phenytoin-Anteil steigt im Serum abhängig von der
Valproinsäure-Konzentration von etwa 8% bei Monotherapie auf bis zu 20%. Bedingt durch den erhöhten freien Anteil nimmt die Abbaugeschwindigkeit zu,
so daß die Gesamtkonzentration des Phenytoin im Serum wieder abfällt. Stark schwankende Valproinsäure-Konzentrationen im Tagesverlauf
komplizieren die Situation.2 Die Gesamtkonzentration des Phenytoin fällt unter Valproinsäure, die entscheidende freie Konzentration bleibt aber
weitgehend stabil, so daß die therapeutische Wirkung unbeeinträchtigt bleiben kann.
Phenobarbital (LUMINAL u.a.): Phenobarbital wird partiell zu Hydroxyphenobarbital abgebaut und als dessen Glukuronid ausgeschieden. Valproinsäure
steigert die Phenobarbital-Konzentration um 40 bis 80%, vermutlich durch Hemmung der Hydroxylierung, evtl. aber auch durch Verminderung der renalen
Ausscheidung. Die Phenobarbital-Serumkonzentration erhöht sich häufig unter Mesuximid, gelegentlich auch unter Phenytoin, bedingt durch kompetitive
Enzymhemmung.
Primidon (LISKANTIN u.a.): Primidon wird partiell zu Phenobarbital und Phenylethylmalonamid (PEMA) abgebaut. Während der Metabolit Phenobarbital
sowohl zu den erwünschten als auch den unerwünschten Wirkungen von Primidon beitragen kann, erreicht PEMA nur bei
Nierenfunktionsstörungen relevante, dann aber toxische Serumkonzentrationen (>20 µg/ml). Zu Beginn einer Primidontherapie findet sich im Serum fast
nur Primidon, erst allmählich wird Primidon durch Autoinduktion beschleunigt zu Phenobarbital und PEMA abgebaut.
Primidon ruft beim noch nicht adaptierten Patienten leicht akute Unverträglichkeiten wie heftige Kopfschmerzen und Übelkeit hervor. Eine Primidon-
Monotherapie ist daher niedrig dosiert (1/4 bis 1/2 Tablette pro Tag) zu beginnen und erst innerhalb von 5 bis 10 Tagen (beginnende Enzyminduktion) schrittweise
auf die angestrebte Wirkdosis zu erhöhen.
Im metabolischen Gleichgewicht liegt im Serum meist ein Konzentrationsverhältnis von Primidon : Phenobarbital : PEMA von etwa 1 : 1 : 0,3 vor. Alle
enzyminduzierenden Antiepileptika wie Phenytoin, Carbamazepin, aber auch Phenobarbital selbst, verschieben dieses Gleichgewicht zugunsten von Phenobarbital
und PEMA. Zudem lassen Valproinsäure, Mesuximid oder andere Substanzen, die den Abbau von Phenobarbital hemmen, die Konzentration des Metaboliten
Phenobarbital weiter ansteigen. So finden sich bei gemischter Medikation Verhältnisse von Primidon : Phenobarbital : PEMA von 0,2 : 1 : 0,3. Entsprechend
wird bezweifelt, ob die antikonvulsive Wirkung von Primidon bei gemischter Medikation überhaupt zum Tragen kommt und nicht vielmehr auf Phenobarbital
beruht.
Carbamazepin (TEGRETAL u.a.): Carbamazepin wird zum 10,11-Epoxid und zum 10,11-Diol sowie zu einer Reihe weiterer hydroxylierter und anderer
Folgeprodukte abgebaut. In der Anfangsphase der Carbamazepin-Therapie kann die Carbamazepin-Konzentration durch Autoinduktion um etwa 50% abfallen. Ferner
lassen enzyminduzierende Mittel wie Phenobarbital oder Phenytoin die Carbamazepin-Konzentration um bis zu 60% absinken.5
Besondere Aufmerksamkeit verdient das 10,11-Epoxid weniger wegen seiner antikonvulsiven als wegen seiner erheblichen toxischen Effekte. Durch
Pharmaka wie Valproinsäure oder Primidon, die den Abbau des Epoxids blockieren, steigt die Konzentration des Carbamazepin-Epoxids erheblich.
Während Carbamazepin selbst selten bei Serumspiegeln unter 8 µg/ml unerwünschte Wirkungen entfaltet, verursacht das Carbamazepin-Epoxid
meist schon bei Spiegeln über 3 µg/ml erhebliche Störungen wie Übelkeit, Schwindel und Schläfrigkeit. Besonders hohe Carbamazepin-
Epoxid-Werte (über 10 µg/ml) liegen vor, wenn bei Kindern eine Carbamazepin-Therapie begonnen wird.6 Dieser Metabolit als Ursache von
Störwirkungen entgeht dem Kliniker, wenn das Labor wie meist üblich nur die Carbamazepin-Gesamtkonzentration und nicht auch den
Epoxid-Metaboliten bestimmt. Irrtümlicherweise wird in dieser Situation oft die Carbamazepin-Dosis herabgesetzt und dabei das Risiko des Verlustes der
Carbamazepin-Wirkung eingegangen, während die adäquate Maßnahme im Absetzen des zweiten Medikamentes bestünde, das zum
überproportionalen Epoxid-Anstieg geführt hat (meist Valproat).
Unter Kombinationsbehandlung mit Carbamazepin und einem weiteren Medikament sich einstellende unerwünschte Wirkungen sollten stets zur
Konzentrationsbestimmung sowohl des Carbamazepins als auch seines Epoxids veranlassen. Nur so kann klar werden, ob die Dosis von Carbamazepin selbst oder
die des Zweitmedikamentes, das zum Anstieg des Epoxids geführt hat, reduziert werden soll.
Valproinsäure (ERGENYL u.a.): Die Valproinsäure-Konzentration im Serum wird durch enzyminduzierende Medikamente wie Phenobarbital,
Phenytoin oder Carbamazepin im Schnitt um bis zu 50% reduziert.7 Bei gemischter Medikation werden anscheinend auch unter relativ hohen Dosierungen
(bis 5000 mg bei Erwachsenen) kaum Valproinsäure-Werte über 80 µg/ml erreicht. Vermutlich hängt dies mit der abnehmenden
Valproinsäure-Proteinbindung bei steigender Valproinsäure-Konzentration und einer daraus resultierenden erhöhten Elimination zusammen (lineare
Dosis-Spiegelbeziehung).
Chronisch toxische Wirkungen sind auch bei niedrigen Valproinsäurespiegeln möglich. Die in einem kleinen Prozentsatz unter hochdosierter Valproat-
Therapie festzustellenden, nur zum Teil reversiblen neurologischen Störungen (zum Teil parkinsonoid-ataktische, seltener auch dementielle Bilder) entwickelten
sich überwiegend bei Serumspiegeln unter 100 µg/ml.
Ethosuximid (SUXINUTIN u.a.): Abbau durch aliphatische Hydroxylierungsschritte, minimale Proteinbindung. Relevante Interaktionen sind nicht
bekannt.
Mesuximid (PETINUTIN u.a.): Mesuximid wird rasch zum therapeutisch relevanten Metaboliten N-Desmethylmesuximid abgebaut. Infolge ähnlicher
enzymatischer Verstoffwechslung steigt dessen Konzentration im Serum in Gegenwart von Phenytoin oder Phenobarbital durch kompetitive Enzymhemmung
an.
Relevante Einflüsse von Antiepileptika auf andere Pharmaka: Der enzyminduzierende Einfluß von Antiepileptika kann die Wirkung anderer
Wirkstoffe mindern. So gibt es Berichte über reduzierte Blutspiegel von Antikoagulantien unter Phenytoin und Phenobarbital sowie über Ineffektivität
oraler Kontrazeptiva unter Antiepileptika-Einnahme.
Relevante Einflüsse sonstiger Pharmaka auf Antiepileptika: Antazida verringern die Absorption von Phenytoin. Phenytoin wird partiell aus der
Proteinbindung durch Tolbutamid (RASTINON u.a.), Salizylate und Phenylbutazon (BUTAZOLIDIN u.a.) verdrängt. Die Phenytoin-Konzentration im Serum steigt
durch Sultiam (OSPOLOT), Disulfiram (ANTABUS) und Isoniazid (ISOZID u.a.), bedingt durch Hemmung des Phenytoin-Metabolismus. Erythromycin und andere
Antibiotika können die Carbamazepin-Serumkonzentration erhöhen und so Nebenwirkungen verursachen.8
FAZIT: Bei fast allen Antiepileptika gibt es Interaktionen, deren Kenntnis für die Therapieführung wichtig ist. Wegen der interindividuellen Unterschiede
sind Konzentrationsbestimmungen der Wirkstoffe und ihrer Metaboliten erforderlich, vor allem, wenn Nebenwirkungen auftreten oder die Wirkung
nachläßt.
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