Über 1,5 Millionen Bundesbürger müssen wegen Ulzera cruris behandelt werden. Aufgrund der häufig frustrierenden Heilungsraten
sind Neuerungen gefragt. Seit 1990 wird autologe Wundheilungssubstanz aus Thrombozyten (PDWHF*) von Curative Technologies (CT) vertrieben. Da die
Wundheilungssuppe nicht als Arzneimittel zugelassen ist, versucht die Anbieterfirma, sich durch die Hintertür einer nicht zulassungspflichtigen Rezeptur den
Zutritt zu diesem immensen Markt zu verschaffen. Die Zulassung für ein homologes Präparat ist beim BGA beantragt.
* PDWHF = Platelet-derived Wound Healing
Factors
Chronische Wunden wie diabetische Ulzera, Ulzera aufgrund einer venösen Insuffizienz oder chronische Wunden bei Dekubituspatienten gehen mit
gestörter Wundheilung einher. Stoffwechsel- oder Durchblutungsstörungen, bakterielle Besiedlung und mechanische Beanspruchung stören den
physiologischen Wundheilungsprozeß. Außerdem werden Störungen im immunologischen Geschehen diskutiert.1
WIRKUNGSWEISE: Wachstumsfaktoren wie EGF (Epidermal Growth Factor), IGF-1 (Insulin-like Growth Factor I), TGF-β (Transforming Growth
Factor-beta) und PDGF (Platelet-derived Growth Factor) sollen bei der Wundheilung synergistisch wirken, indem sie die Keratinozyten stimulieren, die Migration
immunkompetener Zellen unterstützen sowie die Kollagensynthese und die Angiogenese fördern.2 In unterschiedlichen in vivo- und vitro-
Experimenten ließ sich die positive Wirkung einzelner oder die synergistische Wirkung unterschiedlicher Faktoren wahrscheinlich machen.3,4,5 Die
Produktion der Faktoren erfolgt in unterschiedlichen Organen und Zellen. Zusammen sollen sie von den alpha-Granula der Thrombozyten freigesetzt
werden.
HERSTELLUNG: Vor Behandlungsbeginn werden dem Patienten 150 ml Blut abgenommen und per Kühlkette zum Zentrallabor von CT geschickt.
Nach Tests zum Ausschluß von Infektionen werden die Thrombozyten isoliert und die Wachstumsfaktoren extrahiert. Die Inhaltsstoffe umfassen neben
Wachstumsfaktoren (EGF, PDGF, TGF-β) eine Ansammlung weiterer Stoffe (Bindegewebe-aktivierender Faktor [CTAP III], Plättchenfaktor 4,
Thrombospodin, Fibrinogen, Fibrinopeptid A, von-Willebrand-Faktor, Albumin, Fibronektin). Welche Stoffe auf den Wundheilungsprozeß wirken sollen, ist nicht
bekannt. Eine neue Studie belegt, daß z.B. TGF-β beim Wundheilungsprozeß entfernt werden kann, ohne diesen negativ zu beeinflussen.12
Die autologe PDWHF-Lösung wird auf einen β-Thromboglobulin-Gehalt über 1000 ng pro Tagesdosierung eingestellt. Die Lösung wird in
Tagesrationen abgefüllt und per Kühlkette dem behandelnden Arzt zugestellt.
KLINISCHE STUDIEN: Ergebnisse aus doppelblinden plazebokontrollierten Studien liegen bei 126 Patienten im Alter zwischen 45 und 80 Jahren vor.
Andere Untersuchungen sind nur offen angelegt. Bei ca. 80% der Patienten soll im Vergleich zur Kontrollgruppe eine Heilung mit 100% Epithelisierung erzielt und eine
Amputation vermieden worden sein.6,7,8 Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug 9 Wochen. Dagegen findet sich in einer aktuellen doppelblind-
plazebokontrollierten Studie bei 18 Patienten keine Verbesserung der Wundheilung mit PDWHF (Heilungsrate 33%) im Vergleich mit konventioneller Therapie
(Heilungsrate 24%).9
INDIKATIONEN: Diese umfassen diabetische Ulzera (49% aller mit PDWHF Behandelten), venöse Ulzera (16%), arterielle Ulzera (9%), Dekubitus (6%),
Kollagenosen (4%) und andere chronische Wunden.
NEBENWIRKUNGEN: Der Hersteller gibt leichte Hautirritationen wie Brennen oder eine reversible Hyperkeratose beim Aufbringen auf die gesunde Haut an.
Weder das Zusammenspiel der einzelnen Wundheilungsfaktoren noch die Auswirkungen eines erhöhten Zellumsatzes mit der Gefahr, Meta- oder Neoplasien
auszulösen, sind geklärt.10 Zudem läßt sich eine sekundäre Induktion von Krebs durch die strukturelle Ähnlichkeit des
EGF-Rezeptors mit dem v-erb-B Onkogen nicht ausschließen.11
ANWENDUNG: Die Applikation sollte erst erfolgen, wenn nach mindestens achtwöchiger konservativer Behandlung der Wunde keine Heilung eintritt.
Voraussetzungen vor Behandlungsbeginn sind: interdisziplinäre Zusammenarbeit, genaue Diagnostik, lokale chirurgische Revaskularisierung und
Sauerstoffsättigung der Wunde über 30 mmHg. Sofort im Anschluß an das chirurgische Debridement (Reinigung der Wunde, Aktivierung der
zellulären Wachstumsfaktorrezeptoren) wird ein mit der autologen PDWHF-Lösung getränkter Mullstreifen in die Wunde gelegt. Mit Vaselinegaze wird
eine feuchte Kammer geschaffen und der Verband 12 Stunden belassen.13 Als Therapieintervall hat man einen 12-Stunden Rhythmus gewählt. Daten
zur Dosiswahl und zum optimalen Therapieintervall liegen nicht vor.
KOSTEN: Sie betragen bei einer zehnwöchigen Behandlung ca. 5.600 DM ohne Verbandmittel.
FAZIT: Einzelne Wachstumsfaktoren wie PDGF5, EGF3 und TGF-β4 unterstützen die Wundheilung. Die heute vorliegenden
Studienergebnisse mit der autologen Wachstumsfaktorsuppe PDWHF behaupten eine höhere Heilungsrate und geringere Amputationsfrequenz. Fast alle
Studien wurden mit finanzieller Unterstützung des Herstellers durchgeführt.
Ungeklärt sind die zellbiologischen Mechanismen der verschiedenen Wachstumsfaktoren und ihr Zusammenspiel bei der Wundheilung, so daß die
Verwendung von Reinsubstanzen wissenschaftlich besser nachvollziehbar wäre. Nebenwirkungen wie die Induktion von Hautkrebs sind aufgrund heutiger
Forschungsergebnisse nicht auszuschließen.10 Daher sollten autologe PDWHF-Rezepturen nur im Rahmen klinischer Studien und bei strenger
Indikationsstellung (diabetische Gangrän, chronisch-venöse Insuffizienz, Dekubitus), interdisziplinärer Behandlung der Grunderkrankung
(konsequente Diabeteseinstellung, Revaskularisierung) bei ausgewählten Patientengruppen angewendet werden. Das besondere Haftungsrisiko des Arztes bei
Verordnung einer Rezeptur mit nicht definierten und nicht zugelassenen Bestandteilen ist zu berücksichtigen.
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