Die Behandlungsergebnisse septischer Zustände sind bislang nicht optimal: Trotz umfangreicher unterstützender Maßnahmen
einschließlich der Verwendung von Antibiotika beträgt die Mortalität von Krankenhauspatienten mit gramnegativer Sepsis auch heute noch bis zu
60%. Insgesamt wird die Häufigkeit gramnegativer Sepsen in Deutschland auf 30.000-70.000 geschätzt.1 Mit der Einführung des ersten
gentechnisch hergestellten humanen monoklonalen Antikörpers zur Behandlung der gramnegativen Sepsis soll so die Ärzte-Zeitung eine
"neue Therapie-Ära" beginnen.1
WIRKUNGEN: Gramnegative Bakteriämien gehen mit der Freisetzung von Endotoxin einher. Endotoxin ist ein Lipopolysaccharid-Bestandteil der
Zellwände gramnegativer Erreger, das eine überschießende Immunantwort triggert und so die systemischen Folgen der gramnegativen
Bakteriämie bis zum Multiorganversagen auslöst. Endotoxin greift dabei auch in das Blutgerinnungssystem ein und fördert die Freisetzung
zellulärer und humoraler Faktoren wie Tumor-Nekrose-Faktor und Interleukin-6. HA-1A soll die Folgen der gramnegativen Bakteriämie abschwächen,
indem es spezifisch an Endotoxin bindet.
KLINIK: In einem randomisierten Doppelblindvergleich gegen Plazebo erhielten 262 Patienten neben angemessener unterstützender Therapie einmalig
100 mg HA-1A verdünnt in Serumalbumin, 281 lediglich Serumalbumin als Plazebo. Anhand klinischer Symptome wurde die Behandlung eingeleitet, bevor die
Diagnose der gramnegativen Bakteriämie durch Blutkultur gesichert war. Von den 543 Patienten ließ sich nur bei 200 eine gramnegative Sepsis feststellen.
Von diesen verstarben innerhalb der vierwöchigen Studiendauer 30% in der HA-1A Gruppe im Vergleich zu 49% unter Plazebo. Deutlicher wird der Nutzen von
HA-1A, wenn die Patienten zur Zeit der Infusion bereits im septischen Schock waren. Hier verstarben 18 (33%) von 54 Personen unter HA-1A gegenüber 27
(57%) von 47 unter Plazebo.2
Ähnliche Ergebnisse bringt die vorläufige Auswertung einer noch laufenden offenen Studie an insgesamt 650 Patienten.3 16 Kinder mit
Meningokokkensepsis erhielten 6 mg/kg bis maximal 100 mg HA-1A. Zwei (12,5%) verstarben bei einer erwarteten Mortalität von mindestens 50%. Diese
Ergebnisse stützen die Hinweise auf den Anti-Endotoxin-Effekt von HA-1A, da die fulminante Meningokokkensepsis mit sehr hohen Endotoxinspiegeln
einhergeht.3
Da eine Blutvergiftung rasch lebensbedrohlich verläuft, sollte nach Ansicht der Autoren der erstgenannten Studie bei Patienten mit Sepsis und
begründetem Verdacht auf gramnegative Infektion eine empirische Immuntherapie mit HA-1A in Erwägung gezogen werden, noch bevor Ergebnisse von
Blutkulturen vorliegen.2 Ein solcher Rat läßt sich hingegen aus den Daten nicht ableiten: Noch fehlen geeignete Kriterien für die Auswahl
der Patienten, die von HA-1A profitieren. Bezogen auf alle Patienten der Studie besteht kein signifikanter Unterschied zwischen HA-1A und Plazebo.6
Andererseits verstarben 40% der Patienten ohne gramnegative Bakteriämie unter Plazebo, aber 45% unter HA-1A.4 Neben diesem für HA-1A
negativen Trend wird beanstandet, daß in der Studie ein Ungleichgewicht zwischen Behandlungs- und Plazebogruppe besteht hinsichtlich Alter,
Leberversagen, akuten Nierenversagens, gleichzeitiger Antibiotikatherapie und anderer Faktoren, die wenn auch nicht statistisch signifikant alle in
die gleiche Richtung gehen und die Ergebnisse zugunsten von HA-1A beinflussen können.5
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: HA-1A darf nur einmal verwendet werden, da die Bildung von Antikörpern gegen HA-1A nicht
auszuschließen ist. Bei 36 Patienten mit Mehrfachgabe ließen sich diese nicht nachweisen.7 HA-1A wurde in der klinischen Studie gut vertragen.
Je ein Patient reagierte mit lokalisierter Urtikaria sowie mit Flush und Blutdruckabfall. Zu klären bleibt, ob Unverträglichkeitsreaktionen durch das schwere
Krankheitsbild der Sepsis überdeckt werden.
KOSTEN: Eine Ampulle zu 100 mg kostet 7.182 DM (Herstellerabgabepreis incl. MwSt.). Würde man in Deutschland sämtliche Patienten mit
gramnegativer Sepsis (geschätzt bis 70.000 pro Jahr) und die Personen mit Verdacht auf gramnegative Sepsis (nach der HA-1A-Studie kommen 2,7
Verdachtsfälle auf eine erwiesene Sepsis) mit HA-1A behandeln, würde dies fast 1,4 Milliarden DM kosten, ohne daß ein Nutzen für die
Gesamtheit der Behandelten dokumentiert ist.
FAZIT: In der vorliegenden Studie senkt der gegen das Endotoxin gramnegativer Erreger gerichtete monoklonale Antikörper HA-1A (CENTOXIN) die
Mortalität septischer Patienten. Im klinischen Alltag müßte die Entscheidung zur Anwendung erfolgen, bevor die Diagnose der gramnegativen
Bakteriämie bakteriologisch gesichert ist. Besteht keine gramnegative Sepsis, bleibt ein Nutzen aus.
Gegen die verbreitete optimistische Interpretation der Studienergebnisse spricht, daß sich bei Auswertung aller Studienpatienten kein signifikanter Vorteil der
HA-1A-Behandlung gegenüber Plazebo feststellen läßt. Solange vor Behandlungsbeginn klare, klinisch faßbare Anwendungskriterien fehlen,
welche Patienten von HA-1A profitieren werden, würde man bei breiter Anwendung des Antikörpers in Deutschland bis zu 1,4 Milliarden DM ohne
gesicherten Nutzen aufwenden.
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